Er grinst, und ich muß mich sehr zusammennehmen, um nicht zu hinken. Aber die Freude mache ich ihm nicht.
Das Wort »Vampyr« zuckt in grellroten Leuchtbuchstaben über dem Eingang des Lokals. Sonst ist alles dunkel, bis auf die Schaukästen, in denen Glanzfotos verschiedene Striptease-Tänzerinnen in unnatürlichen Posen zeigen.
»Bleiben Sie draußen«, sagt Heller, »das da drin ist nichts für Sie.«
Ich werde böse. »Herrje, hören Sie auf, mich wie ein Baby zu behandeln!«
»Der Kollege hat recht«, behauptet Herr Schmitt, »es ist wirklich nicht nötig, daß Sie mitkommen, Fräulein Berg. Wir werden da kaum ein Mädchen oder einen kleinen Jungen aufgreifen.«
Ich will mich auf keinen Fall abschieben lassen. »Warten wir’s ab«, sage ich und dränge mich vor.
»Sie wollen wohl unbedingt was erleben?« frotzelt Heller.
Der Einsatzleiter bestimmt sechs von unserer Mannschaft, darunter auch mich, die Kontrolle durchzuführen, die anderen sollen draußen warten. Ich bin froh, daß ich es geschafft habe. Mein Tatendrang ist groß.
Drinnen ist es kaum heller als draußen. Nur die winzige Bühne wird von verschiedenfarbigen Scheinwerfern erleuchtet. Ein Mädchen im weißen Brautkleid mimt eine Braut in der Hochzeitsnacht und entkleidet sich gekonnt. Die Gäste starren gebannt zu ihr hinauf, die Gesichter im Schatten der kleinen roten Tischlampen.
Während Herr Schmitt noch nach dem Geschäftsführer fragt, um ihm den Zweck unseres Hierseins zu erklären, schwärmen wir schon aus.
Die meisten Gäste sind offensichtlich älter als achtzehn Jahre, viele haben sogar die Mitte des Lebens schon überschritten. Es gibt erstaunlich viele alte Herren und ältere Ehepaare, die anscheinend Erinnerungen auffrischen oder sich anregen lassen wollen. In Zweifelsfällen fragen wir nach den Papieren. Zwei junge Männer werden herausgeholt.
Die Stripperin ist jetzt nur noch mit ellenbogenlangen weißen Handschuhen und einem auf dem blonden Haar festgesteckten Schleier bekleidet. Ich schaue mir nicht gern so was an, aber ich zwinge mich dazu, um Heller zu beweisen, daß ich alles andere als zimperlich bin.
So kommt es, daß ich stutzig werde. Das Gesicht des Mädchens ist derart stark geschminkt, daß man ihr Alter unmöglich schätzen kann. Aber der Körper mit dem kleinen Busen, den schmalen Schultern und dem leichten Bauchansatz kommt mir geradezu kindlich vor.
Mark Heller ist, wie könnte es anders sein, dicht hinter mir.
»Ich schau mal in die Garderobe«, flüstere ich ihm zu.
»Wegen der da?« fragt er mit einer Kopfbewegung zur Bühne. »Ich komme mit!«
Es stellt sich heraus, daß es nur eine einzige Garderobe für die fünf Stripperinnen gibt. Hier sitzen sie schlampig und lustlos herum. Es riecht nach Schweiß und Schminke. Eine schreit auf, als wir eintreteft. Sie wirft einen Schuh nach uns, der Heller fast am Kopf getroffen hätte. Er kann sich gerade noch bücken. Von denen ist keine unter Zwanzig. Ich ziehe ihn rasch wieder auf den Flur hinaus, aber ich habe noch festgestellt, daß es keine andere Tür aus der Garderobe gibt, dafür aber zwei Fenster. Sie sind verriegelt, aber das besagt nichts. Der »Vampyr« liegt zu ebener Erde. Also kann man theoretisch leicht auf den Hof hinaus.
»Jetzt können Sie mich auslachen!« Mark Heller reibt sich die Stirn, dort, wo ihn der Schuh beinahe getroffen hätte.
»Ich bin nicht schadenfroh«, erkläre ich. Tatsächlich bin ich im Augenblick sogar ganz froh, ihn in der Nähe zu wissen.
Jetzt kommt die junge Stripperin von der Bühne. Sie hat sich einen schmierigen Morgenmantel übergeworfen, den sie unter dem Kinn zusammenhält. Unten klafft er weit auseinander und enthüllt ihre langen Beine.
»Lassen Sie mich rein«, sagt sie und will an uns vorbei.
Ich klappe meinen Ausweis auf. »Jugendschutzstreife!«
»Na und?« fragt sie gleichgültig, aber das Erschrecken in ihren runden blauen Augen, deren Lider schwer von den angeklebten Wimpern sind, verrät sie.
»Wie alt bist du?« frage ich.
»Achtzehn«, behauptet sie, aber ich weiß, daß es gelogen ist.
»Zeig mir mal deine Papiere!«
Sie lacht. »Glauben Sie etwa, mein Kostüm hat Taschen?«
»Gut, dann gehen wir zusammen rein.« Ich öffne die Tür zur Garderobe.
»Ich bleibe hier«, verspricht Heller. »Sie brauchen bloß einen Laut von sich zu geben, wenn jemand frech wird.«
»Danke.«
Die Stripperinnen starren uns an.
»He, was soll das?« fragt mich eine fette Negerin. »Bist du etwa die Tante von der Kleinen? Oder was?«
»Ich bin Kriminalbeamtin, aber lassen Sie sich durch mich nicht stören. Ich interessiere mich nur für die Kleine.«
Es wird plötzlich still in dem überhitzten Raum.
Das Mädchen hat sich bis zu einem der Schminktische durchgedrängt. Sie macht sich an ihren Sachen zu schaffen, so, als wolle sie ihren Ausweis suchen. Dann, mit einer plötzlichen Bewegung, will sie das Fenster aufreißen.
Ich packe sie beim Handgelenk. »Das hat doch keinen Sinn, wie weit, glaubst du wohl, wirst du in dieser Aufmachung kommen? Es stehen noch sechs Leute von uns draußen.«
Sie gibt sich geschlagen. »Ich habe keine Papiere.«
»Soll das heißen, daß man dich einfach so, ohne lang zu fragen, hier eingestellt hat?«
Sie nickt mit zusammengepreßten Lippen.
»Und du bist auch noch keine achtzehn. Hör auf zu lügen. Wir werden dich mit auf die Wache nehmen und so oder so alles über dich herausbekommen.
»Fünfzehn«, gesteht sie kaum hörbar.
Das trifft mich wie ein Schlag. Ich habe sie zwar für minderjährig gehalten — aber doch nicht für so jung! Ich habe Mühe, mir mein Mitleid und mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. »Und wie heißt du?«
»Doris … Doris Sieben …«
»Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast … ich heiße Monika Berg. Und nun zieh dich mal schön an und pack deine Sachen zusammen.«
Doris hat sich auf den Hocker gesetzt, reißt sich eine ihrer falschen Wimpern ab und blickt mich von unten herauf an. »Wollen Sie mich verhaften?«
»Unsinn! Du bist ja noch ein Kind.«
»Dann, bitte … würden Sie wohl draußen warten, bis ich …?« Ihr Blick ist herzzerreißend. »Es ist mir peinlich, mich vor Ihnen umzuziehen.«
»Das nehme ich dir nicht ab, Doris. Mach keine Geschichten. Also los!«
Mir ist es peinlicher als ihr, ihr beim Umziehen zuzusehen. Aber ich muß es tun, denn dieses Mädchen scheint zu jedem Trick fähig. Ihr weißer, noch so unberührt wirkender Körper wirkt so kindlich, und doch, was mag sie schon alles damit angestellt haben! Fünfzehn Jahre! Ich selbst war immerhin sechzehn gewesen, als ich Conny in die Hände fiel, dem Mann, der mein Leben beinahe zugrunde gerichtet hätte.
Als sie fertig ist, durchstöbere ich ihre Handtasche, ein erbärmliches Ding aus weißem Plastik. Aber es ist nichts darin außer zwei Lippenstiften, einem Kamm, einem schmutzigen zerknüllten Taschentuch, einem Täschchen mit etwas Kleingeld. In einem Seitenfach entdecke ich ein paar größere Scheine und eine Packung mit Präservativen.
Unwillkürlich blicke ich sie an.
Sie wird ein bißchen verlegen, und das zeigt mir, daß sie doch noch nicht ganz verloren ist. In diesem Augenblick entschließe ich mich, sie auf den richtigen Weg zurückzubringen.
Knappe zehn Minuten später sitzen wir uns in einem Hinterzimmer des Polizeireviers 23 gegenüber. Nebenan verhört Mark Heller einen der beiden jungen Männer. Auch Herr Wolff vom Jugendamt war mit zurückgekommen. Er erwartet auf der Wache unsere Berichte. Er ist es, der in jedem Fall das letzte Wort über das Schicksal der Aufgegriffenen zu sprechen hat.
Der Raum ist dürftig ausgestattet. Es gibt einen wackligen alten Schreibtisch mit einer Schreibmaschine und einem Telefon darauf, einen hölzernen Sessel mit flachem Polster, einen Stuhl vor dem Schreibtisch und einen in der Ecke. Das ist alles. Ich hätte mich gern in einer angenehmeren Umgebung mit Doris unterhalten. Sie sieht jetzt, abgeschminkt, in Jeans und einem gestreiften Pullover, harmlos, etwas verschüchtert und sehr jung aus. Ihre Hände, Teenagerhände mit abgebissenen Nägeln, spielen unruhig mit der Plastiktasche.
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