Gleich nach der Ankunft in meiner Wohnung schickte ich der Geliebten eine SMS, ich sei gut angekommen und denke ständig an sie, jetzt wolle ich mich mit dem Bericht beschäftigen, den ich im Flieger schon vorbereitet hätte. Li-Ming antwortete sofort, dankte mir für die schönen Tage und wünschte mir viel Erfolg. Nachdem ich um 22 Uhr den Bericht über das Symposium sauber formatiert und einen vorsichtigen Vorschlag eingefügt hatte, die Uni sollte sich auch mit den Möglichkeiten für die chinesische Medizin beschäftigen, fielen mir die Augen zu, ich hatte ja in der letzten Nacht kaum geschlafen.
Einigermaßen ausgeschlafen saß ich am Montagvormittag vor Professor Baumann, der gleich wissen wollte, wie es mir in San Francisco gefallen habe, und nach meinen begeisterten Worten interessiert meinen Bericht entgegennahm. „Wie meinen Sie denn, können wir Ihre Erfahrungen bei uns nutzen?“, wollte er wissen. Das war Wasser auf meine Mühle. „Ich habe ja nur einen kleinen Einblick in ein Teilgebiet der chinesischen Medizin gewonnen“, sagte ich bescheiden, „aber ich halte diese Medizin für so wertvoll, dass wir sie bei uns aufnehmen sollten. Ihr Freund in San Francisco hat nach dem Symposium schon eine Mitarbeiterin mit dem Aufbau eines solchen Lehrstuhls beauftragt. Sie ist eine chinesisch-stämmige Amerikanerin, die mich an diesen Tagen betreut hat, und als nächstes in China die Grundlagen für eine solche Abteilung eruieren will.“ „Interessant“, meinte er, „verfolgen Sie doch bitte diese Idee weiter.“
Ich überlegte, ob ich ihm von meinem Konzept berichten sollte, aber weil es noch nicht genügend ausgearbeitet war, beschloss ich, ein wenig zu warten und dankte für den Auftrag. In einer Mail berichtete ich Li-Ming von dem Auftrag und fragte, wann sie nach China reisen würde, ich wolle versuchen, mich bei ihr anzuhängen. Weil bei ihr noch Nacht war, erwartete ich keine schnelle Antwort, vor allem musste ich mich in der Klinik wieder in den Dienstplan einordnen. Nach dem Dienst machte ich mich an die Arbeit, ein Konzept für die Einführung der chinesischen Medizin an unserer Fakultät zu entwerfen. „Es müsste die Punkte
5. Was,
6. Wie,
7. Wann,
8. Wo,
9. Warum
umfassen“, dachte ich und gegen Mitternacht stand ein brauchbares Gerüst auf meinem Tablet. Beim „Was“ entschied ich mich zunächst für die beiden verständlichsten Teilgebiete, die Kräuterheilkunde und die Akupunktur und nahm mir zur Begründung das „Warum“ vor. Die Kräuterheilkunde begründete ich damit, dass die Pharmaindustrie inzwischen in großem Umfang nach natürlichen Heilmitteln sucht, um sie in ihre Produktpalette aufzunehmen. „Was dabei aber völlig fehlt“, schrieb ich, „sind die vielfältigen Anwendungskriterien, von denen ich in meinem Bericht über das Symposium einen kleinen Teil beschrieben habe. Dies Wissen fehlt den Pharmakonzernen völlig und nur eine von chinesischen Spezialisten angeleitete wissenschaftliche Dokumentation kann diese wertvollen Kenntnisse bei uns zur Geltung bringen. Die Akupunktur wird in Europa bereits vielfach und erfolgreich praktiziert, aber das geschieht weitgehend intuitiv, die wissenschaftliche Grundlage aus der genauen Kenntnis der Körpermeridiane fehlt. Diese Kenntnis ist nur durch intensives Studium bei chinesischen Ärzten zu gewinnen. Wenn wir mit praktischen Anwendungen verbundene Seminare darüber anbieten, geben wir unseren Ärzten die notwendige Sicherheit in der Anwendung einer wertvollen Heilkunst.“
Für das „Wie“ schlug ich ganz klar einen neuen Lehrstuhl für chinesische Heilkunst vor, für den wir unter Umständen zu Beginn chinesische Fachleute gewinnen müssten. Verbunden sollte dieser Lehrstuhl, wie bei uns üblich, mit der praktischen Anwendung im Klinikum sein, womit auch das „Wo“ geklärt war. Für das „Wann“ war ich mir darüber klar, dass eine Menge Vorbereitungen nötig waren. Ein Lehrplan musste entwickelt, geeignete Vortragende gefunden und Unterrichtsmaterial beschafft werden und das Ganze war in den Rahmen der Fakultät einzubinden einschließlich der Finanzierung. Alles in allem wäre sicherlich ein halbes Jahr bis zur Einführung nötig. Zum Abschluss erwähnte ich die Reise der amerikanischen Ärztin nach China und wies auf die Möglichkeit hin, sich ihr anzuschließen und dadurch erste Kenntnisse und Verbindungen in China zu gewinnen.
Ich ließ das Schriftstück durch ein Übersetzungsprogramm ins Englische bringen, korrigierte die schlimmsten Fehler und schickte es als Mailanhang zu Li-Ming mit der Bitte, es kritisch durchzusehen. Schon nach zehn Minuten hatte ich die Antwort: Abgesehen von ein paar kleinen Änderungen fand sie das Konzept gut und hoffte, mein Chef würde darauf anspringen. Sie würde sich sehr freuen, wenn ich mich auch mit der chinesischen Medizin beschäftigen müsse und mich natürlich gerne nach China mitnehmen. Sie reise frühestens in vier Wochen, da sie dort die notwendigen Kontakte öffnen müsse. Ich solle am Ball bleiben und alles versuchen, sie zu begleiten, denn sie habe große Sehnsucht nach mir. Diese Aussage freute mich ganz besonders und ich wollte alles tun, um diesen Wunsch zu realisieren. Das antwortete ich ihr und fügte hinzu, dass ich mich ebenso nach ihr sehne, dann ging ich beruhigt ins Bett. Doch schlafen konnte ich noch nicht, die Erinnerung an die wundervolle innige Begegnung mit meiner Strahlenden ließ mich in Gedanken zärtlich mit ihr vereinigen.
Am nächsten Morgen war Professor Baumann nicht erreichbar, deshalb gab ich mein Konzept im Sekretariat ab und ging an die Arbeit in der Klinik. Während meiner Abwesenheit war vieles liegen geblieben. Nachmittags ließ der Chef mich zu sich rufen. Mit den Worten: „Da haben Sie ja gleich ein ganzes Programm vorgeschlagen“, eröffnete er lächelnd das Gespräch. „Aber ich bin voll Ihrer Meinung, schließlich habe ich Sie ja nach San Francisco geschickt, weil ich die Fakultät in dieser Richtung weiter entwickeln will. Ich werde Ihre Vorschläge im Fakultätsrat vorlegen und hoffe, dass die Kollegen zustimmen. Wann fährt denn Ihre Amerikanerin nach China?“ „In etwa vier Wochen“, antwortete ich voller Hoffnung, bald wieder meine Geliebte treffen zu können. „Das könnten Sie vielleicht schaffen“, meinte mein Chef gut gelaunt, „und bis dahin sammeln Sie alles zu diesem Thema, dessen Sie habhaft werden können.“ Froh verließ ich das Büro und mailte Li-Ming gleich einen kurzen Bericht, auf den sie sofort antwortete, sie freue sich schon darauf, mir ihr Land zu zeigen. Neben der täglichen Arbeit war ich nur noch im Internet und sammelte Informationen über natürliche chinesische Medikamente. Dabei erkannte ich, wie umfassend uns die beiden Chinesen in San Francisco informiert hatten, es war ein vollkommener Überblick über die wichtigsten Stoffe, wozu ich jetzt Einzelheiten fand und die Wirkungsmechanismen begriff.
Am Mittwoch nach Ostern ließ Professor Baumann mich wieder zu sich rufen. „Wir hatten im Fakultätsrat eine sehr erregte Debatte über Ihr Papier. Einige Vertreter der klassischen Medizin sahen Medizinmänner und Hexen bei uns einziehen, sie konnten sich überhaupt nicht vorstellen, dass es sich bei der chinesischen Medizin um eine Jahrtausende alte exakte Wissenschaft handelt. Zum Glück hatte ich mich vorher an der Humboldt-Universität in Berlin schlau gemacht, die schon seit langem diese Medizin im Lehrplan hat und wo Sie ja auch Vorlesungen zu diesem Thema gehört haben. Immerhin konnte ich mit diesem Wissen die Kollegen überzeugen, die chinesische Richtung auch bei uns aufzunehmen. Jedenfalls darf ich Sie beauftragen, alle notwendigen Informationen dafür zusammen zu stellen, wozu auch eine baldige Reise nach China gehört.
Wenn Sie es noch zeitlich hinkriegen können, dürfen Sie Ihre amerikanisch-chinesische Kollegin begleiten. Wie lange wird diese Reise dauern?“ Li-Ming hat von einer Weile gesprochen, überlegte ich und sagte, „Ein Monat wird wohl mindestens nötig sein. Wenn Sie mir diese Zeit mit einer Option auf eventuelle Verlängerung und mögliche Wiederholung genehmigen, kann ich die Reise planen.“ „OK“, antwortete er lächelnd, „aber ich würde gerne noch wissen, wie Sie zu dieser Dame stehen. Aus Ihrer Begeisterung schätze ich, dass es sich nicht nur um ein fachliches Interesse handelt.“ Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und antwortete zögernd, dass ich schon ein gewisses Interesse an ihr hätte. „Solange ihre Forschung nicht darunter leidet, habe ich nichts dagegen“, meinte der Chef grinsend und ich erwiderte, vielleicht würde meine Forschung ja sogar von einer näheren Zusammenarbeit profitieren.
Читать дальше