Sie werden vieles hören, was Ihnen bisher fremd erschien, und ich bitte Sie herzlich, mit offenen Ohren den Vorträgen zu lauschen. Die Lehrstunden in diesem Symposium teilen sich täglich auf zwei Unterrichtseinheiten auf, die erste dauert von 9 bis 13 Uhr. Nach einer Mittagspause in einen Nebenraum der Mensa läuft die zweite von 14 bis 18 Uhr. Morgen Abend schließt sich an den Unterricht ein gemeinsames Abendessen mit anschließender Musik und Tanz an und am Donnerstag endet die Veranstaltung offiziell nach dem Mittagessen, unsere Gäste stehen Ihnen aber danach noch eine Weile zur Verfügung.“
Danach übergab er das Wort an einen der beiden Gäste. Dieser schon etwas ältere Herr hatte auf einem Tisch vor dem Katheder eine Anzahl verschiedene Pflanzenteile ausgebreitet, dazu gehörten Wurzeln, Rindenstücke, Blüten, Stängel und Blätter. Dann begann er in ausgezeichnetem Englisch zu sprechen:
„Die mehrere tausend Jahre alte chinesische Heilkunst beruht auf mehreren Fachrichtungen:
- Kräuterheilkunde,
- Akupunktur,
- Tuina-Massage,
- Qi Gong,
- Nährmittelkunde.
Wir bräuchten viele Jahre, um uns mit allen Gebieten zu beschäftigen, deshalb zeigen wir Ihnen an diesen drei Tagen nur die Kräuterheilkunde, auch Arzneimitteltherapie genannt, als wichtigste Säule unserer Heilkunst. Die Akupunktur ist zwar auch eine wesentliche Säule, aber bei Ihnen schon gut bekannt und fundiert. Dagegen ist die Kräuterheilkunde noch weitgehend unbekannt und wir haben mit Dr. Saurach vereinbart, das Symposium dieser Wissenschaft zu widmen. Seit zweitausend Jahren erweisen Pflanzenteile wie Wurzeln, Rinden, Blüten, Stängel und Blätter ihre heilende Wirkung, was wir Ihnen an diesen Tagen vorführen wollen. Demgegenüber haben tierische Produkte von Elefanten und Nashörnern keinerlei medizinischen Erfolg und ihr Verkauf ist in der Volksrepublik verboten.
Eine Rezeptur in der Kräuterheilkunde besteht aus einer Mischung mehrerer Arzneimittel und wird nach intensiver Diagnose durch den Arzt individuell auf den Patienten und seine Krankheitssituation abgestimmt, dabei ergänzen und unterstützen die kombinierten Arzneimittel sich in ihrer Wirkung. Behandelbar mit chinesischer Medizin sind außer Knochenbrüchen nahezu alle Krankheiten, wobei auch bei ihnen Kräuter die Heilung beschleunigen können.
Heute beschränken wir uns zunächst auf das Kennenlernen der Pflanzenteile und ich werde Ihnen bei jedem Präparat die Anwendung schildern. Wie wir eine passende Mischung der Heilmittel für die individuelle Situation des Patienten finden, wird Ihnen morgen mein Kollege erläutern und der dritte Tag steht Ihnen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung.“ Dann besprach er ausführlich die Wirkung der einzelnen Pflanzenteile und zeigte dazu jedes Teil vergrößert auf der Bildwand. Dabei wurde er immer wieder von Fragen unterbrochen, die er bereitwillig beantwortete und ich machte mir auf meinem Tablet Notizen.
Bis 13 Uhr hatte der Dozent knapp die Hälfte der Präparate erläutert, dann bat Herr Saurach alle Teilnehmer zum Essen. Endlich konnte ich wieder neben Li-Ming sitzen. Sie berichtete, Dr. Saurach habe sie für die Leitung der Abteilung Chinesische Heilkunst der Fakultät vorgeschlagen und ich beglückwünschte sie dazu. „Sehen wir uns heute Abend in der Bar“, fragte sie, bevor wir wieder in den Hörsaal gingen, und ich stimmte gerne zu. Während der Vorlesung malte ich mir aus, wie der Abend weiter gehen könnte, sicherlich würden unsere Küsse intensiver werden.
In der zweiten Unterrichtseinheit erläuterte der Redner seine übrigen Präparate und immer wieder gab es erstaunte Rückfragen aus dem Auditorium, weil viele nur die pharmazeutische Chemie gewohnten Ärzte sich nicht vorstellen konnten, welche Heilwirkungen mit einfachen Pflanzen zu erreichen sind. Nach dem Ende der Vorlesung um 18 Uhr verließ Dr. Saurach mit den Vortragenden den Saal, aber viele Zuhörer diskutierten noch untereinander das Gehörte. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Ablehnenden sichtbar zurückging.
Wie gestern Abend lud Dr. Saurach Li-Ming und mich zu 19 Uhr zum Essen mit den Gästen ein. Das Restaurant sei weniger vornehm als gestern sagte er lächelnd, trotzdem konnten wir ein köstliches Menü genießen. Danach führte der Gastgeber uns wieder in die Bar, wo er dem Vortragenden bei einem Glas Cognac für sein vorzügliches Referat dankte. Die vielen Rückfragen hätten klar gezeigt, dass das Symposium ein Fenster aufgestoßen habe, das er sicherlich ausbauen könne. Nach einiger Plauderei sagte der Gast, der Tag habe ihn ermüdet und er würde sich gerne zurückziehen. Darauf verließ Dr. Saurach mit den Gästen die Bar und ich schaute Li-Ming an. „Lass uns auch gehen“, sagte sie, „hier ist es mir zu öffentlich.“
Ich war gespannt, was sie vorhatte, aber sie fuhr stracks zum Gästehaus, verließ mit mir den Wagen und zog mich wortlos in den leeren Frühstücksraum, wo sie mich umarmte und ihre Lippen auf meine drückte. Nach dieser schönen Einladung übernahm ich die Führung und meine Zunge fand schnell den Weg zwischen ihre Lippen, was sie ebenso schnell beantwortete. Begeistert spielten unsere Zungen miteinander, wir konnten gar nicht aufhören und drückten uns eng aneinander. Li-Ming atmete immer heftiger, doch dann trennte sie sich von mir und flüsterte „Ich genieße deine wundervollen Küsse sehr und freue mich auf das nächste Mal, aber jetzt muss ich erst mal fahren. Ich werde von dir träumen und wünsche dir dasselbe.“ Sie drehte sich um und war verschwunden, ich schaute ihr nach wie einem Geist, dann ging ich völlig verwirrt schlafen. Diese Li-Ming und ich hatten uns leidenschaftlich geküsst, nachdem sie sich dafür geöffnet hatte und sie hatte mir eine Aussicht auf mehr gegeben. Jetzt waren wir mit Sicherheit beim „Du“ angekommen. Erst nachdem ich mir erfolgreich vorgestellt hatte, wie schön es sei, vollkommen mit ihr verbunden zu sein, konnte ich einschlafen
Ich schlief unruhig und war noch ziemlich durcheinander, als der Wecker um 7 Uhr klingelte. Wie an den beiden letzten Tagen kam Li-Ming an meinen Tisch, aber bevor sie sich setzte und eine Tasse Kaffee bestellte, gab sie mir einen leichten Lippenkuss. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen“, meinte sie lächelnd, worauf ich erwiderte, dass ich nach dem aufregenden Abend eine Weile gebraucht hätte, um einzuschlafen, denn ich hatte lange an sie denken müssen. „Das ist mir genauso gegangen“, gab sie zu, „aber jetzt müssen wir los.“ Wir fuhren ein Stück, bis sie an einer einsamen Stelle den Wagen anhielt und sich zu mir beugte, endlich konnten wir uns richtig küssen und taten es ausgiebig. Erst nach einer Weile startete sie den Wagen wieder und fuhr uns zum Vorlesungsgebäude, wo Dr. Saurach und die beiden Chinesen schon beim Pult saßen und die Zuhörer allmählich eintrudelten.
Der zweite der beiden chinesischen Wissenschaftler begann sein Referat mit den Eindrücken, die der Arzt zunächst vom Patienten und seiner Krankheit gewinnen muss, um die richtige Mischung der Heilmittel zusammen zu stellen. Dafür nutzt er:
1. Sehen,
2. Hören,
3. Fühlen,
4. Riechen.
An Beispielen erklärte er, wie der Arzt aus diesen Eindrücken das spezifische Leiden erkennen und die richtige Rezeptur herausfinden kann. Natürlich könne man keine gebrochenen Beine oder andere Verletzungen mit den beschriebenen Planzenteilen heilen, aber sehr wohl die Heilung beschleunigen, sagte er. Dann nannte er die Krankheiten, die mit chinesischer Medizin gut behandelbar sind:
- Krankheiten des Bewegungsapparates
- Atemwegserkrankungen,
- Verdauungsstörungen
- Urogenitale Erkrankungen,
- Gynäkologische Erkrankungen,
- Infektiöse Erkrankungen,
- Hauterkrankungen,
- Erkrankungen des Nervensystems,
- Neurologische Erkrankungen,
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