Ernst-Günther Tietze
Zwischen den Feuern
Liebe überwindet Verfolgung
Roman
Die rote Linie im Berliner Stadtplan zeigt den Verlauf der Mauer um Westberlin vor der Wende
1 © Copyright 2010 Ernst-Günther Tietze Hamburg
2 published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
3 ISBN 978-3-7375-0495-9
Inhalt
Personenverzeichnis
Prolog
Verpflichtung
Verliebt
Ausstieg
Ferien
Hamburg
Flucht
Epilog
1 Prolog
In dieser Erzählung wird ein junger Student und Pfadfinderführer 1961 von der Stasi verhaftet und zur Mitarbeit als IM in West-berlin gezwungen, was er zunächst akzeptiert. Als er sich in eine Pfadfinderkameradin verliebt, deren Vater an einem ge-heimen Weltraumauftrag arbeitet, soll er diesen ausspionieren.
Die immer stärker werdende Liebe zu der Kameradin lässt ihn zur Besinnung kommen und er offenbart sich dem Vater, der ihm eine Verbindung zum Verfassungsschutz verschafft. In dessen Auftrag erklärt er sich bereit, scheinbar weiter für die Stasi zu ar-beiten. Die Liebe zwischen den beiden jungen Menschen wird immer intensiver und sie besiegeln sie in einem gemeinsamen Camping-urlaub im Alsace. Die Eltern der jungen Frau begrüßen die Verbindung.
1991 kann der Mann als früherer Stasi-Verfolgter bei der Stasi-Unterlagen-Behörde seine noch komplett vorhandene Akte kopie-ren. Angewidert erkennen er und seine Frau die perfiden Hintergründe seiner Verfolgung und Missbrauchs durch diesen kra-kenhaften Geheimdienst. In Verbindung mit ihren Briefen und Tagebüchern erlebten sie noch einmal die aufregende und trotz-dem schöne Zeit des Beginns ihrer Liebe vor 29 Jahren.t
1 Verpflichtung
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13
Potsdam, den 25.7.1961
An HA VII des MfS, Berlin-Lichtenberg
Ermittlung
Name, Vorname: Wulff, Reinhard
Geboren am: 1. 4. 1940 in Kleinmachnow
Tätigkeit: Student der Energietechnik
Studienort: TU Berlin West
Massenorganisation:keine in der DDR
Wehrdienst NVA: Ab 1.10.1961 vorgesehen
Wohnhaft: Kleinmachnow,
Ginsterheide 12
W. lebte seit seiner Geburt bei seinen Eltern in Kleinmachnow. Nach ihrer Scheidung im August 1955 siedelte die Mutter mit ihm nach Berlin-Zehlendorf über. Seit ihrem Tode am 3.12.1960 lebt W. wieder bei seinem neu verheirateten Vater, dem Elektromeister Paul Wulff, in Kleinmachnow.
W. besuchte die Grundschule in Kleinmachnow und seit 1950 die Schadow-Oberschule in Berlin-Zehlendorf. Nach dem wegen guter Leistungen vorgezogenen Abitur begann er im März 1958 ein zweijähriges Berufspraktikum im Siemens-Schaltgerätewerk in Westberlin, das er im März 1960 mit einer Fachprüfung abschloss. Seitdem studiert er Energietechnik an der TU in Westberlin. Der Anwerbung zur FDJ hat er sich immer wieder verweigert. Kontakte zu Frauen konnten in Kleinmachnow nicht festgestellt werden. Möglicherweise gibt es sie in Westberlin, wo sich W. hauptsächlich aufhält.
Grund für die Ermittlung ist ein Hinweis des IM Franz auf die Tätigkeit des W. bei den Westberliner Christlichen Pfadfindern. Diese uniformierte Organisation ist mit Aufmärschen und sportlicher Betätigung als vormilitärisch anzusehen und der GST vergleichbar. Sie ist hierarchisch organisiert, wobei dem W. als „Stammesführer“ mehrere Gruppen unterstellt sind. Am 23.7.1961 wurde er zusätzlich zum „Gauführer“ für den gesamten Südwesten Westberlins gewählt.
Da ich diese Tätigkeit als unzulässig ansehe, bitte ich um weitere Instruktionen.
Ortlepp
Ltn.
Tagebuch Reinhard 25. 7.
Sonntag bin ich zum Nachfolger des Gauführers Kurt gewählt worden, der in Westdeutschland weiter studieren will. Die Wahl fiel sehr knapp zwischen Frieder und mir aus, der in meinen Augen ein besserer Führer ist als ich. Der Freund gratulierte mir herzlich, aber um unsere Freundschaft zu bewahren, bat ich ihn, die Schulung der jungen Führer im Gau zu übernehmen.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13
Berlin-Lichtenberg, den 26.7.1961
Betr. Wulff, Reinhard, Ermittlung vom 25.7.1961
Aktennotiz
Die Tätigkeit des W. wird von der HA VII ebenfalls als unzulässig und sogar gefährlich angesehen. Die Angelegenheit muss von uns eingehend untersucht werden. Zu diesem Zweck ist der W. am 27.7. abends zu verhaften und in das Gefängnis Hohenschönhausen zu verbringen.
Hoffmann
Maj.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
Berlin-Lichtenberg, den 26.7.1961
An Gefängnisverwaltung Hohenschönhausen
Betr. Wulff, Reinhard,
Verwahrauftrag
Der genannte wird morgen Abend bei Ihnen eingeliefert. Er ist in einer Einzelzelle zur Vernehmung durch mich bereit zu halten.
Hoffmann
Maj.
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abteilung XVII/4/13
An Volkspolizeikommando Kleinmachnow
Potsdam den 27.7.1961
Betr. Wulff, Reinhard, Klmn, Ginsterheide 12
Festnahmeauftrag
Der W. ist heute Abend ohne Angabe von Gründen festzunehmen und in das Gefängnis Hohenschönhausen des MfS zu verbringen.
Ortlepp
Ltn.
Dienststelle der Volkspolizei Kleinmachnow
An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13
Kleinmachnow, den 27.7.1961
Betr. Festnahmeauftrag Wulff, Reinhard
Bericht
Der W. wurde auftragsgemäß am 27.7.1961 um 22 Uhr festgenommen und in das Gefängnis Hohenschönhausen des MfS verbracht.
Jürgens
OLtn.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
Berlin-Lichtenberg, den 1.8.1961
Betr. Wulff, Reinhard
Vernehmungsprotokoll
Am 27.7.1961 habe ich den Kleinmachnower Reinhard Wulff wegen vermuteten Landesverrats verhaften und in das UG Hohenschönhausen verbringen lassen. Grund ist ein Hinweis der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam, Abt. XVII/4/13, dass W. an führender Stelle in einer vormilitärischen Organisation der BRD in Westberlin tätig ist. Dabei handelt es sich um die sogenannte Christlichen Pfadfinderschaft. Heute habe ich ihn wegen dieser Tätigkeit vernommen, er ist sich jedoch keines Verstoßes gegen die Gesetze der DDR bewusst.
Mit seiner Führungstätigkeit bei den Westberliner Christlichen Pfadfindern konfrontiert bestritt W. vehement, dass es sich um eine vormilitärische Organisation handle. Die Christlichen Pfadfinder seien eine eng an die jeweiligen Kirchengemeinden gebundene christliche Gemeinschaft mit einem jungengemäßen Anspruch. Ihre Tätigkeit bestehe aus Heimabenden zu bestimmten Themen, Volks- und Fahrtenliedern und regelmäßiger Bibelarbeit. Im Sommer würden Wanderfahrten mit Schlafen im Zelt und Lagerfeuern unternommen. Sicherlich unterschieden sich die Christlichen Pfadfinder von den reinen Gemeinde-Jugendkreisen, die nur die Bibel läsen und Kirchenlieder sängen, aber eine bestimmte Sorte von Jungen damit nicht begeistern könnten.
Mit Militär habe das aber nicht das Geringste zu tun, viele der Mitglieder lehnten die Wiederbewaffnung der BRD entschieden ab. Außer Fahrtenmessern, die sie beim Zelten und Kochen brauchten, hätten sie keinerlei Waffen. Den Hinweis auf die hierarchische Struktur der Organisation beantwortete W. so: Eine gewisse Gleichheit der Gruppen in den Gemeinden sei nur durch eine lose übergemeindliche Organisation zu gewährleisten. Vor allem eine einheitliche Schulung der Leitungskräfte sei nur auf diese Weise möglich. Auch die Uniformierung (er wehrte diesen Begriff ab und nannte es eine Pfadfindertracht) erhöhe den Zusammenhalt in den Gruppen. Auf meine Frage nach Kontakten mit Frauen, die in seinem Alter doch selbstverständlich seien, antwortete er, das sei bei Pfadfindern nicht üblich.
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