Obwohl einiges in seinen Aussagen plausibel klang, blieb ich bei dem Vorwurf, er sei als DDR-Bürger führend in einer vormilitärischen Organisation der feindlichen BRD tätig und drohte ihm einen Prozess wegen Landesverrats mit hoher Zuchthausstrafe an. Dies könne er nur vermeiden, wenn er sich bereit erkläre, als Informant für das MFS zu arbeiten. Er bat um Bedenkzeit, die ich ihm gewährte.
Hoffmann
Maj.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
Berlin-Lichtenberg, den 2.8.1961
Betr. Wulff, Reinhard
Vernehmungsprotokoll
Heute erklärte der W. sich in einem weiteren Verhör zur Mitarbeit als IM bereit und fragte, was er dafür bekomme. Ich nannte ihm eine monatliche Bezahlung von 50,- DM und er unterschrieb die Verpflichtungserklärung, worauf er freigelassen und wieder nach Kleinmachnow verbracht wurde. Wegen seiner vielfältigen Kontakte in Westberlin ist er dort zum Einsatz zu bringen. Sein Codename ist „Schlosser“.
Sein Verhältnis zu Frauen ist gelegentlich zu überprüfen, weil seine diesbezügliche Antwort zweifelhaft erscheint.
Hoffmann
Maj.
Tagebuch Reinhard 2. 8.
Am 27. Juli verhaftete mich abends ein Einsatzkommando aus unserer Wohnung und brachte mich in einem Gefangenen-Transportwagen in die Zentrale des MfS, wo sie meine Fingerabdrücke nahmen und mich fotografierten. Ich musste mich nackend ausziehen, wurde abgetastet und an allen Körperöffnungen, selbst am Hintern und unter der Vorhaut untersucht und bekam einen Gefängnisdress. Eine Doppelzelle, etwa zweieinhalb mal dreieinhalb Meter groß mit zwei Holzpritschen und Decken, einem Spülklosett, einem Waschbecken, einem Hocker, einem kleinen Tisch und einer nackten Neonröhre an der Decke, die Tag und Nacht brannte, war jetzt mein ganzes Reich. An einer Seite war ein Fenster aus Glasbausteinen, dahinter schimmerte ein Gitter durch, so konnte ich sehen, wann es Abend wurde, denn meine Uhr hatten sie mir abgenommen. Über den Glasbausteinen gab es eine winzige Lüftungsklappe, die ich sofort öffnete, denn in der Zelle stank es. In der mit zwei Riegeln und einem Schloss gesicherten Tür gab es eine Klappe, in die alle paar Stunden jemand schaute, ob ich noch am Leben war. Durch diese Klappe musste ich zur Essenszeit eine Plastikschüssel und einen Becher hinaus reichen, die mir dann gefüllt zurück gereicht wurden. Das Essen war mäßig, sättigte aber, ich war ja von der Mensakost nicht verwöhnt.
Nach vier Tagen, an denen ich nicht wusste, was sie von mir wollten, wurde ich aus der Zelle geholt und über lange Gänge durch Gittertüren, die jedes Mal auf und hinter mir wieder zu geschlossen wurden, zum Verhör geführt. In einem größeren hellen Raum saß hinter einem Schreibtisch ein älterer ziemlich molliger Stasimajor mit Geheimratsecken und Schnurrbart. Ich musste mich auf einen Hocker in der Ecke setzen. Der Major wollte zunächst meine Personalien wissen, die er mit einer vor ihm liegenden Akte verglich, dann fragte er, ob ich wisse, warum ich hier sei. Als ich antwortete, ich hätte wirklich nicht die geringste Ahnung, warf er mir vor, Gauführer einer vormilitärischen Jugendorganisation im Westen zu sein, was den Gesetzen der DDR widerspreche. Ich bestritt den vormilitärischen Charakter der CP und wies auf die enge Bindung der Stämme an die Kirchengemeinden hin. Trotzdem drohte er mir einen Prozess wegen Landesverrats an. Als Alternative bot er mir eine Spitzeltätigkeit für die Stasi mit 50 Mark Monatsgehalt an und da ich mich nicht gleich entscheiden konnte, kam ich auf denselben verschlungenen Wegen wieder in die Zelle. Heute wurde ich wieder zum Verhör gebracht, der Major riet mir dringend, mit ihnen zu kooperieren, sonst sehe es für mich sehr schlecht aus. Nachdem ich notgedrungen unterschrieben hatte, wurde ich wieder nach Hause gebracht.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
An Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13
Berlin-Lichtenberg, den 5.8.1961
Betr. IM Schlosser
Aktennotiz
Da die Möglichkeit einer Sperre zwischen der DDR und den Berliner Westsektoren nicht auszuschließen ist, ist der IM aufzufordern, nach Westberlin zu übersiedeln und dort sein gewohntes Leben weiter zu führen. Eine Unterkunft wird von uns bezahlt. Diese Übersiedlung kann als „Republikflucht“ kaschiert werden. Nur dadurch ist seine weitere IM-Tätigkeit in Westberlin gewährleistet.
Hoffmann
Maj.
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13
Potsdam den 6.8.1961
Betr. IM Schlosser
Gesprächsprotokoll
IM wurde aufgefordert, unverzüglich und ohne Information seines Vaters nach Westberlin zu übersiedeln und sich dort unter Hinweis auf die im Juli erfolgte Festnahme als politischer Flüchtling registrieren zu lassen. Ein möbliertes Zimmer werde vom MfS bezahlt und er müsse umgehend seine Anschrift melden. Sein Honorar erhalte er künftig in DM West. Eine Kontaktperson werde sich bei ihm melden.
Ortlepp
Ltn.
Tagebuch Reinhard 8. 8.
Wie von der Stasi in Potsdam angewiesen, bin ich nach Zehlendorf umgezogen und habe meinem Vater nur einen Brief hinterlassen, in dem ich meine Verhaftung als Grund angab. Als ich nach der Verhaftung zurückkam, hatte ich lediglich erzählt, dass man von mir etwas über die CP wissen wollte. Mit seiner neuen Frau Eva verstehe ich mich überhaupt nicht.
In der Juttastraße, ganz in der Nähe unserer früheren Wohnung habe ich ein hübsches möbliertes Zimmer mit Bad- und Küchenbenutzung, gefunden, dessen Adresse und Kosten ich der Stasi melden werde. In der Küche mache ich hauptsächlich Wasser für Kaffee und Tee heiß, mittags esse ich in der Mensa und nur am Wochenende koche ich mir etwas. Manchmal bin ich sonntags bei Frieder zum Essen eingeladen. Tante Friedel und den CP-Kameraden erzählte ich lediglich, dass ich nach der sechstägigen Verhaftung durch die Stasi nach Westberlin geflohen sei. Als „DDR-Flüchtling“ erhalte ich ein Stipendium vom Berliner Senat.
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam Abteilung XVII/4/13
Potsdam den 9.8.1961
Betr. IM Schlosser
Gesprächsprotokoll
IM hat mir mitgeteilt dass er weisungsgemäß nach Westberlin umgezogen ist Er hat ein möbliertes Zimmer in Berlin-Zehlendorf, Juttastr. 5 für 85,- DM West gemietet.
Ortlepp
Ltn.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
An HM Schnecke
Berlin-Lichtenberg, den 10.8.1961
Betr. IM Schlosser
Kontaktauftrag
Sie haben unverzüglich Kontakt mit dem IM aufzunehmen. Er wohnt in Berlin-Zehlendorf, Juttastr. 5 und soll alle zwei Wochen einen Bericht über alle seine Tätigkeiten schreiben und Ihnen an einem jeweils genannten Treffpunkt abgeben. Zunächst soll er über die Organisation und den oberen Führungskreis des Christlichen Pfadfinderbundes berichten.
Hoffmann
Maj.
Tagebuch Reinhard 14. 8.
Als gestern die Mauer gebaut wurde, wusste ich, warum ich nach Westberlin „fliehen“ musste. Mir ist das sehr lieb, sonst wäre ich vom Studium und der CP abgeschnitten gewesen.
Heute erhielt ich einen Brief ohne Absender, der mich zu einem Treffpunkt auf einer Bank im Fischtal beorderte.
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
15.8.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
IM wurde heute kontaktiert und aufgefordert, über die Organisation und den oberen Führungskreis des Christlichen Pfadfinderbundes zu berichten. Er macht einen recht aufmüpfigen Eindruck. Der nächste Kontakt ist für den 29.8.1961 vorgesehen.
Schnecke
Abteilung XVII/1/2 des MfS
An IM Biene
Berlin-Lichtenberg, den 17.8.1961
Betr. IM Schlosser
Beobachtungsauftrag
Weil Sie wie der IM an der Westberliner TU studieren, werden Sie zur Prüfung seiner Loyalität und Zuverlässigkeit mit seiner Überwachung beauftragt. Vorerst sollen Sie den IM unauffällig beobachten, um mit seinen Lebensgewohnheiten vertraut zu werden. Zum Semesterbeginn sollen Sie sich bei denselben Vorlesungen und Seminaren einschreiben, die er belegt hat und versuchen, sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn Ihnen dabei der Aufbau einer persönlichen Beziehung gelingt, wäre das von Vorteil. Ihre Aufgabe ist es, seine politische Einstellung auszuforschen und seine Verschwiegenheit über die IM-Tätigkeit zu prüfen.
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