Hoffmann
Maj.
Tagebuch Reinhard 20. 8.
Die Kontaktperson, ein älterer Typ wie ein Oberlehrer, hat mich am Dienstag im Fischtal getroffen. Mich stach der Hafer und ich fragte ihn, ob er in Westberlin lebe oder jedes Mal von der DDR herüber komme. Ärgerlich wies er mich zurecht, solche Fragen seien verboten und beauftragte mich, die Organisation und den oberen Führungskreis der CP auszuforschen. Wir wissen ja längst, dass die Berliner CP zum großen Teil ein langweiliger Haufen ist, den einige alte Männer nach dem Krieg aus der Erinnerung an die Vorkriegszeit wieder ins Leben gerufen haben. Nur unser Zehlendorfer Gau ist jugendbewegt und einigermaßen straff organisiert.
Gestern habe ich meinen Stamm abgegeben. Siebzehn Jungen, die schon lange genug im Stamm sind, um beurteilen zu können, wer als neuer Führer in Frage kommt trafen sich in einem Lager im Glienicker Park. Es wurde eine schwere Entscheidung, erst um 1:30 war Nudel gewählt. Es war fein zu sehen, wie Jungen, die sonst nicht viel sagen, bei einer wichtigen Entscheidung verantwortlich und überlegt reden und handeln. Das ist besonders schön, wenn man weiß, dass man den Jungen das erst beigebracht hat. Heute war es ein seltsames Gefühl, als ich dem Stamm seinen neuen Führer vorstellte, den Stamm, den ich selbst aufgebaut habe, in dem ich jeden Jungen ganz genau kenne, manchen genauer als seine Eltern, von den Lehrern ganz zu schweigen. Irgendwie war ein Loch da, eine leere Stelle. Aber wenn ich mein Studium ordentlich durchziehen will, kann ich nicht gleichzeitig beide Führungsaufgaben ausführen. Und ich bin sicher, dass Nudel kein schlechterer Stammesführer sein wird als ich, er hat das nötige Charisma und eine große Einsatzbereitschaft
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
21.8.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
Die Zielperson fuhr am Nachmittag des 19. 8.1961 mit 17 Jungen zwischen ca. 15 und 17 Jahren auf Rädern in den Glienicker Park. Sie bauten Zelte auf und kochten am Abend einen großen Topf Tee mit allerlei Gewürzen. Nachdem sie Brote geschmiert und gegessen hatten, versammelte sie sich um ein Lagerfeuer und sangen einige Lieder. Dann eröffnete die Zielperson den Jungen, dass er die Stammesführung abgeben wolle und sie einen Nachfolger wählen müssten. Bis 1:30 Uhr berieten sie sehr ernsthaft und mit vielen Diskussionen über seine Nachfolge und wählten nach langer Diskussion einen ca. 17 jährigen, den sie Nudel nannten.
Am Vormittag des 20.8. kamen viele andere, auch jüngere Jungen dazu und die Zielperson stellte ihnen den neuen Stammesführer vor. Kirchliche und Volkslieder wurden gesungen. Nach einem selbst gekochten Mittagessen wurde das Lager abgebaut und alle verließen den Platz, den sie vorher sehr sorgfältig in Ordnung gebracht hatten. Ich hatte keinen Eindruck unzulässiger Tätigkeit.
Biene
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
29.8.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
IM übergab mir heute ein Organigramm der Christlichen Pfadfinderschaft in der BRD und Westberlin und detaillierte Informationen über den Aufbau der Organisation.
Die eigentliche Arbeit geschieht in kleinen Gruppen von maximal zehn Jungen ab 12 Jahren an einer Kirchengemeinde, sie werden „Sippe“ genannt. Bestehen mehrere Sippen, auch unterschiedlichen Alters an einer Gemeinde, bilden sie eine „Siedlung“ mit einem übergeordneten Führer, der meist einer der Sippenführer und für die Koordination und den Kontakt zu den Gemeindeorganen zuständig ist. Ab etwa vier Sippen und einer Bewährungszeit von zwei Jahren wird die Siedlung offiziell als „Stamm“ anerkannt. Mehrere Stämme und Siedlungen in einer Region bilden einen „Gau“ und die Gaue eines Bundeslandes eine Landesmark. Für den gesamten Bund in der BRD und Westberlin ist ein „Bundesführer“ zuständig, der mit einem kleinen Büro in Kassel sitzt. Bis auf ihn sind alle Führer ehrenamtlich und werden von dazu berechtigten Jungen gewählt.
Ist ein Junge etwa ein Jahr dabei, kann er nach einer Reihe praktischer und theoretischer Prüfungen als „Knappe“ bestätigt werden und ist damit zur Wahl des Siedlungs/Stammesführers berechtigt. Die praktischen Prüfungen umfassen Kenntnisse des Zeltbaus, Anlegen eines Lagerfeuers, Kochen und Erste Hilfe. Zu den theoretischen Prüfungen gehören sowohl Kartenkunde und Umgang mit dem Kompass als auch Grundkenntnisse der Bibel und von Liedern, die in den Heimabenden gesungen werden. Ab 15 Jahren können die Jungen nach weiteren, schwierigeren Prüfungen als „Späher“ bestätigt werden und sind zur Wahl des Gauführers berechtigt.
Das Leben in den Sippen besteht einerseits aus wöchentlichen Heimabenden mit Liedern, Bibelarbeiten (Diskussionen) und meist einem Thema, das einer der Jungen vorbereitet. Auf der anderen Seite werden mehrmals im Jahr „Fahrten“ unternommen mit Wanderungen und Schlafen im Zelt. Da den Jungen die DDR nicht zugänglich ist, lässt die Berliner Jugendbehörde sie kostenlos mit Bussen in das Fahrtengebiet in Westdeutschland und auch wieder zurück fahren, Ältere Gruppen machen auch Auslandsfahrten.
Die Berliner CP ist nach dem Krieg von einigen alten Männern aus der Erinnerung an die Vorkriegszeit wieder ins Leben gerufen worden und zum großen Teil ein langweiliger Haufen. Nur der Zehlendorfer Gau sei recht jugendbewegt und straff organisiert. In Westdeutschland gebe es einige ähnlich jugendbewegte Gruppen, mit einem Gauführer hat IM Briefkontakt.
Wenn manche organisatorischen Einheiten auch straffer organisiert sind als andere, konnte aus den Aussagen des IM keine vormilitärische Ausbildung abgeleitet werden. Die einzige Waffe, die jeder Junge auf Fahrten trägt, ist ein feststehendes Fahrtenmesser, das zum Zelten und Kochen gebraucht wird.
Als nächste Aufgabe wurde IM beauftragt, die Struktur der Kirchengemeinden und die politische Einstellung der Pfarrer in seinem Kirchenbezirk auszuforschen. Das nächste Treffen ist für den 12.9.1961 vorgesehen.
Schnecke
Tagebuch Reinhard 2. 9.
Dienstag traf ich den Oberlehrer zum zweiten Mal und klärte ihn eingehend über die Struktur und Ziele der CP auf. Bis zum 12.9. soll ich die politische Einstellung der Zehlendorfer Pastoren ergründen.
Seit gestern führe ich die Tanzabende mit den Evangelischen Mädchenpfadfindern weiter, zum Glück ist jetzt die 18 jährige Ingrid Hollmann dabei, die ausgezeichnet tanzt und es den Neuen auch gut beibringen kann. Ich tanze wieder am liebsten mit der EMP-Führerin Stephanie Kroll. Wenn wir uns drehen, ergreift alles die Flucht und lässt uns viel Platz. Sie ist ein tolles Mädchen, ohne mädchenhaft empfindlich zu sein.
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
2.9.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
Gestern nahm die Zielperson im Jugendhaus am Waldsee an einer Art Tanzkurs teil, der von einer jungen Dame mit Namen Ingrid geleitet wird, Alter knapp 20 Jahre. Die Gruppe von sieben Jungen und sechs Mädchen lernten Foxtrott und Wiener Walzer. Die Zielperson und einige andere hatten wohl schon Vorkenntnisse. Er tanzte hauptsächlich und sehr wild mit einer etwa 20 jährigen blonden Dame, die Stephanie genannt wurde, doch schien keine engere Bindung mit ihr zu bestehen. Die Veranstaltung dauerte knapp zwei Stunden.
Biene
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
12.9.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
IM übergab eine Liste der evangelischen Pfarrer im Kirchenkreis Berlin-Zehlendorf. Die meisten der 7 Gemeinden haben zwei Pfarrer, darüber hat ein Superintendent das Sagen. Außerdem gibt es einen Pfarrer für Jugendarbeit. Die meisten Pfarrer neigen der CDU zu, nur der Jugendpfarrer soll links orientiert sein. An jeder Gemeinde existiert ein von den Gemeindemitgliedern gewählter Gemeindekirchenrat, der über die Finanzen der Gemeinde entscheidet. Die verschiedenen Arbeitskreise für Jugend, Alte etc. werden von ehrenamtlichen Mitgliedern geleitet.
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