Dabei sprachen wir über persönliche Dinge. Auf meine Frage, wie er zu den Pfadfindern gekommen sei, erzählte er von der Scheidung seiner Eltern und der Übersiedlung mit seiner Mutter nach Zehlendorf, wo er zu den Pfadfindern gestoßen sei. Er führte bald eine Gruppe von Jüngeren und begann zwei Jahre später, an seiner Gemeinde einen Stamm mit mehreren Gruppen aufzubauen.
Ende 1960 starb seine Mutter und er zog zurück nach Kleinmachnow zu seinem wieder verheirateten Vater. Weil sein Verhältnis zu der neuen Frau schlecht war, sei ihm der damalige Gauführer Kurt wie ein Vater gewesen, obwohl er nur sieben Jahre älter ist. In dem drei Jahre jüngeren Frieder Baumann habe er einen vertrauten Freund gefunden. Im Juli sei er zum Nachfolger des Gauführers gewählt worden, weil Kurt in der BRD weiter studiert. Deshalb habe man ihn verhaftet, aber bald wieder frei gelassen. Im August habe er schweren Herzens hier im Park seinen Stamm abgegeben, weil ihm die beiden Führungsaufgaben neben dem Studium zu viel geworden seien. Doch er sei sicher, dass sein Nachfolger Peter Schütze die Sache ebenso gut machen werde.
Unter diesem Gespräch hatten wir den Anleger erreicht und fuhren hinüber zur Pfaueninsel. Dabei fragte er mich nach meinem persönlichen Hintergrund und ich erzählte ihm das Nötigste. Auf der Insel besichtigten wir das recht interessante Schloss. Zurück auf dem Festland aßen wir im Restaurant jeder eine Bockwurst und tranken ein Glas Bier. Ich meinte, wir könnten uns doch duzen und er stimmte zu, doch als ich ihn küssen wollte, bot er mir nur die Wange. Auf meine Frage, ob er eine Freundin habe, antwortete er, das sei bei den Pfadfindern nicht üblich. So liefen wir durch den Park zum Bus und klönten noch über die TU. Am Bahnhof Wannsee verabschiedeten wir uns.
Biene
Tagebuch Reinhard 19. 11.
Der Ausflug mit Tina Bauer zur Pfaueninsel war etwas gemischt. Wir fuhren mit dem Bus bis zum Friedhof und liefen zum Anleger. Als sie mich nach der CP fragte, erzählte ich ihr alles von meiner Aufnahme über die Gruppenführung in Paulus und dem Aufbau des Stammes in Arndt. Auch den Tod meiner Mutter und die Rückkehr nach Kleinmachnow verschwieg ich nicht. Beim Warten auf die Fähre fragte ich sie nach ihrem Hintergrund. Sie ist ebenso alt wie ich, wohnt auf dem Wedding, ihr Vater ist Kesselfahrer im Kraftwerk Reuter und ihre Mutter Verkäuferin. Die ganze Familie scheint sehr links eingestellt, was mich nicht unbedingt stört. Mein Gefühl, das sie mich angeln möchte, bestätigte sich im Restaurant, als wir wieder auf dem Festland waren. Bei Bier und Bockwurst schlug sie vor, wir sollten uns duzen und wollte mich nach meiner Zustimmung küssen. Ich bot ihr aber nur die Wange. Dann fragte sie, ob ich eine Freundin habe. Nun konnte ich ihr ganz klar sagen, das sei bei CPern nicht üblich. Da gab sie Ruhe und wir sprachen nur noch über die Uni.
Tagebuch Stephanie 30. 11.
Vati war in der letzten Zeit öfter in Braunschweig und heute hat er die Bombe platzen lassen: Er soll dort im neuen Jahr mit Unterstützung der Technischen Hochschule ein geheimes Institut für Weltraumforschung aufbauen. Ein Haus ist schon für uns gemietet und wir ziehen in zwei Wochen um. Ich muss mich dort an der TH immatrikulieren. Leid tut mir, dass ich die Tanzabende mit der CP aufgeben muss, denn ich habe immer gerne mit Lupus getanzt und mich sogar ein bisschen in ihn verliebt. Auf jeden Fall werde ich mich von ihm persönlich verabschieden.
Tagebuch Reinhard 4. 12.
Heute hat sich Stephanie Kroll von mir verabschiedet. Ihr Vater, ein Physiker in der Weltraumforschung, ist ziemlich überraschend nach Braunschweig berufen worden und siedelt mit seiner Familie noch vor Weihnachten dorthin um. Außer dass wir gut miteinander tanzen konnten, habe ich nie etwas Besonderes für Stephanie gefühlt, doch jetzt tut es mir leid, dass dieses Mädchen nicht mehr da sein wird. Ich bin doch nicht etwa verliebt!
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
5.12.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
IM hat in den Vorlesungen des Prof. Essens die politische Einstellung der anderen Hörer erkundet. Die meisten lehnen seine DDR-freundlichen Ansichten entschieden ab, einige empfehlen ihm sogar in Zwischenrufen, nach „drüben“ zu gehen. Nur der etwa 25 jährige Heinrich Möhlmann unterstützt den Professor und wird deshalb von den anderen verlacht. Ich habe IM beauftragt, diesen Studenten intensiv zu observieren. Das nächste Treffen habe ich wegen der Weihnachtsferien erst auf den 23.1.1962 festgelegt.
Schnecke
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
11.12.1961
Betr. IM Schlosser
Notiz
Da ich Anfang Januar vier Monate für ein Praktikum nach Erlangen gehe, muss ich die Überwachung des IM vorerst beenden.
Bisher habe ich bei ihm keine nachteiligen Haltungen feststellen können. Dass er mir nichts über seine Tätigkeit als IM verraten hat, sehe ich als positiv an.
Biene
Tagebuch Reinhard 15. 12.
Heute nach den letzten Vorlesungen habe ich Tina Bauer zu einem Kaffee eingeladen, weil ich mich vor Weihnachten von ihr verabschieden wollte. Wir waren uns doch ein wenig näher gekommen und sie ist wohl ein anständiges und auch nettes Mädel. So habe ich ihr von meinem Besuch bei Tante Friedel und der anschließenden Fahrt in den Bayerischen Wald erzählt, worauf sie mir sagte, dass sie vier Monate ein Praktikum bei Siemens in Erlangen machen werde. Irgendwie hat sie mich doch ein bisschen angerührt, wenn ich sie auch nicht als Freundin haben möchte. Einmal kann ich das ohnehin nicht als CPer und zum anderen wissen wir noch viel zu wenig voneinander.
An Abteilung XVII/1/2 des MfS
15.12.1961
Betr. IM Schlosser
Bericht
Nach der letzten Vorlesung vor Weihnachten lud mich heute die Zielperson ganz unvermittelt zum Kaffee ein. Dabei erzählte er, dass er Weihnachten bei seiner Tante in Hamburg verbringen wird, die ihm die Mutter ersetzt. Am zweiten Feiertag fährt er bis zum 7.1.1962 mit einer Gruppe von Pfadfinderführern in den Bayerischen Wald, wo sie in einer alten Bauernhütte die Jahreswende feiern und Ski laufen wollen. Für die Fahrt stellt die Jugendbehörde Busse zur Verfügung, weil ihnen die Berliner Umgebung versperrt ist.
Ich sagte ihm, dass ich Anfang Januar für ein viermonatiges Praktikum nach Erlangen fahren werde. Auf seine Frage sagte ich, dass ich Nachrichtentechnik studiere und nur aus Interesse bei der Energietechnik geschnuppert habe. Er fand das gut, ohne Verdacht zu schöpfen. Obwohl er mir zum Abschied ein hübsches geschnitztes Reh als Weihnachtsgeschenk gab, weiß ich nicht, ob es mir irgendwann gelingen könnte, ihn aufzubrechen. Seine Ablehnung einer Freundschaft mit einer Frau scheint sehr stark durch die Pfadfinder begründet zu sein.
Biene
Tagebuch Stephanie 19. 12.
Jetzt haben wir uns einigermaßen in Braunschweig eingerichtet und kommen etwas zur Ruhe. Vati hat ein kleines Haus mit fünf Zimmern ganz in der Nähe der TU gemietet und musste sich gleich intensiv um seine neue Aufgabe kümmern, so dass das Einrichten bei Mutti und mir hängen blieb. Helmut kommt ja erst zu Weihnachten. Zum Glück muss ich mich erst im Januar an der TU anmelden. Jetzt freue ich mich auf ein ruhiges Weihnachtsfest.
Abteilung XVII/1/2 des MfS
Berlin-Lichtenberg, den 20.12.1961
Betr. IM Schlosser
Aktennotiz
Die Überwachung des IM hat einige Erkenntnisse über seine geistige Haltung gebracht, er scheint loyal für uns zu arbeiten. Deshalb und weil IM Biene die nächsten vier Monate nicht in Berlin ist, kann die Überwachung vorerst eingestellt werden.
Hoffmann
Maj.
Tagebuch Reinhard 2. 1. 1962
Weihnachten verbrachte ich bei Tante Friedel in Hamburg, die mir jetzt, wo ich von meinem Vater ganz abgeschnitten bin, einen Rest von Familie bietet. Ich fühlte mich richtig zu Hause bei ihr.
Читать дальше