Der Junge beruhigte seinen Meister. Der Kutscher habe ihm mitgeteilt, dass das meiste Gesindel in Paris zu finden sei und nicht in den Büschen vor der Stadt. Saly atmete auf. Warum war er eigentlich so um sein Leben besorgt? Die Frau, die er liebte, gehörte in eine andere Welt. Sich selber und dem König. Und im Angesicht der Ewigkeit war seine Kunst wertlos. Und er, als Person, war und blieb unwichtig. Wem würde es auffallen, wenn ein Monsieur Saly für immer verschollen bliebe? Verfangen in Dornen heimlich verdorrend...nickte er ein.
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Man erreichte Paris ohne Zwischenfälle. Bis Jean herausgefunden hatte, wann das Atelier in Versailles wieder zur Verfügung stand, quartierte sich Saly in der Stadt ein. Unterwegs war in ihm ein Plan gereift: Was würde ihn ablenken und helfen, die Fertigstellung der Marmorbüste und deren Präsentation durchzustehen? Er würde mit dem Satyr beginnen. Der Faun mit dem Zicklein stand ihm ganz lebendig vor Augen. Der Faun sollte all sein Erkenntnisse ausdrücken. Ein Neuanfang, ein perfektes Werk ohne sie. Ein Ort musste gefunden werden, an dem er unbeschwert arbeiten konnte. Weitab von jeglichen Erinnerungen. Fiebrig wartete er auf Antwort aus dem Louvre: Er hatte Boucher gebeten, ihm ein kleines Atelier zu arrangieren. Und tatsächlich, am selben Abend hielt er eine Einladung zum Souper in Händen. Dies wiederum konnte nur Gutes bedeuten.
Man hatte die schweren Kisten mühsam oben auf dem Dach des Reisecoupés verstaut und wartete auf den Herrn, der abreisen wollte. Dieser stand immer noch mitten in Bureau der Dänischen Reichsvertretung in Paris. Wasserschlebe hörte sich geduldig die komplizierten Anweisungen und Ratschläge seines Vorgesetzten Bernstorff an. Fleißig notierte er alles und nickte dann und wann gewissenhaft. Bernstorff war kein Mann, der auf die letzte Sekunde handelte, dennoch war es soweit gekommen, dass seine Abreise hastig erschien. Man erwartete ihn augenblicklich in Kopenhagen zurück. Der Dringlichkeit entsprechend hatte der Kanzleirat innerhalb von nur zwei Tagen seine sämtlichen abschließenden Geschäfte in Paris erledigen müssen und war ein wenig in Verzug geraten. Die politischen Amtsverpflichtungen hatte er sorgsam als vordringlich erledigt und sich erst danach mit seinen Privatgeschäften abgegeben. Wasserschlebe hatte ihn bei den Vorgängen hinlänglich unterstützt so dass er gerade in diesem Augenblicke zum Stellvertreter des Gesandten des Königreichs Dänemark und Norwegen in Paris ernannt worden war. Stolz hatte er die eigens für dieses ungewöhnliche Amt ausgestellte Urkunde entgegen genommen und den offiziellen Amtseid abgelegt. Jetzt bedankte er sich freundschaftlich bei Bernstorff, der ihn nochmals dazu anhielt, ebenfalls bald nach Kopenhagen zu kommen. Als neuer Außenminister brauchte er den zuverlässigen Sekretär und Freund dort dringend. Im Moment jedoch war Wasserschlebes längerer Aufenthalt in Paris und die Suche nach einem akzeptablen Künstler, der Moltkes Frederik – Denkmal verwirklichen sollte, weitaus wichtiger. In dieser Angelegenheit musste man am besten sofort tätig werden.
Schon länger hatten die beiden Kunstkenner die Werkstatt Coustou im Auge gehabt, denn die Arbeiten des jüngeren Coustous gefielen Bernstorff besonders. Vater und Sohn galten nicht nur als anerkannte Künstler in Frankreich, sondern waren auch im Rest Europas überaus begehrt. Demnach gab es wenig Hoffnung, dass die namhafte Werkstatt Kapazitäten für das dänische Denkmal übrig hatte.
Und richtig, die vorsichtige Anfrage war unvermittelt abgeschmettert worden. Ein wenig verloren hatten die beiden Gesandten in der Werkstatt Coustou gestanden und sich von einem der Agenten anhören müssen, welche Bestellungen in der Reihenfolge vor ihrem Anerbieten stünden. Da es sich, wie der Kontorist stolz und unnachgiebig verkündete, um ein Auftragsvolumen von schätzungsweise mehr als zehn Jahren handelte, könne man nur empfehlen, es doch lieber woanders zu versuchen. Trotz der erniedrigenden Abweisung, hatte Bernstorff es verstanden, Coustou später mit einer reichlichen Zuwendung zu locken. Wenigstens wollte er den gefeierten Künstler dazu anhalten, sich der dänischen Angelegenheit zu erinnern, um dadurch gegebenenfalls einem anderen Auftrag Vorsprung zu verschaffen. Beizeiten wäre sicherlich ein Denkmal eines neuen Herrschers von Nöten ... Bernstorff galt als Realist. Danach hatten sie sich zusammen mit dem Akademieleiter Coypel in den Ateliers des Louvre umgesehen. Dort war der Name Saly zwar das erste Mal gefallen, aber man war nicht weiter darauf eingegangen. Denn zunächst wollte man der Fürsprache Coypels nachgeben und den Meister Bouchardon aufzusuchen.
In der Werkstatt Bouchardons hatte es ganz wüst ausgesehen. Hier fehlte offensichtlich die ordnende Hand. Der für Bouchardons Geschäfte Zuständige, Monsieur Pigalle, war abwesend. Er hielt sich gerade in Nancy auf, um den Triumphbogen zu begutachten. Da man mit dem alten Bouchardon selbst Vorlieb nehmen musste, ergab sich eine peinliche Situation. Der Alte war wohl schwerhörig und hatte verstanden, es handle sich bei Bernstorff und Wasserschlebe um Gesandte aus Spanien. Davon war er auch nicht mehr abzubringen. Während des gesamten Gesprächs hatte er die beiden Deutschen mit 'Senõres' angeredet und immer wieder spanische Vokabeln einfließen lassen. Nicht nur dieser Umstand hatte die Kommunikation erschwert, sondern auch das notwendige Anschreien, was in den Antworten des alten Bildhauers als krächzende Wortfetzen im Laut- Leise Modus widerklang. So kam man hier zu keinem Ergebnis. Glücklicherweise war Wasserschlebe die rettende Idee gekommen. Er schrieb zu ihrem Anliegen ein paar Sätze in großen Lettern auf und überreichte das Schriftstück dem Alten. Man musste ihm seinen Zwicker aufsetzen, bevor er den Text entziffern konnte. Laut las er die Zeilen vor. Das klappte noch recht gut. Langsam erhellte sich seine Miene und ihn ergriff eine unbestimmte Aktivität. Offensichtlich suchte er etwas auf seinem mit Zeichnungen überhäuften Schreibtisch. Das gewisse Blatt hatte er schon bald gefunden und hielt es nun Bernstorff direkt unter die Nase. Es zeigte das Reiterdenkmal von König Ludwig dem Fünfzehnten. Wasserschlebe tat begeistert, damit der Alte verstand. Langsam quälte sich dieser nun aus seinem Sessel. Der Mann war recht abgemagert, krumm und wacklig auf den Beinen. Trotzdem schritt er zielsicher aus dem Büro voran durch die Tür hinein in den alten Teil der Werkstatt. Dort stand das verhüllte Denkmal in zweieinhalbfacher Größe. Auf des Meisters Anweisung hin zogen Bernstorff und sein Sekretär die Stoffbahnen herunter und standen unter den Augen eines prächtigen Pferdes. Obenauf thronte der König und sah hinweg über sein Volk. Wie auf der Zeichnung trug der Herrscher einfachste Kleidung mit natürlicher Frisur. Sein Sitz zu Pferde war genauso bequem. Ohne Sattel schien er das Tier mit nur mit dem Gesäß und einem lockeren Schenkel zu lenken. Die Zügelfaust trug der Reiter entspannt vor dem Bauch, die Kandare stand kaum an. Merkwürdig war, was er in der Linken trug. Es handelte sich um eine Art Stab, der auf dem Oberschenkel ruhte. Die beiden Gesandten sahen sich an. Wohl ein phantastisches Werk, aber eignete sich dieser Stil für die Darstellung des Herrschers eines so unbedeutenden Landes wie Dänemark – Norwegen? Sollte man nicht eher etwas Heroisches, Großes erwarten?
Unsicher, aber dennoch gefangen von der Demonstration, verneigte man sich huldvoll vor dem greisen Künstler und beschloss, seinem Assistenten Pigalle eine Anfrage zu schreiben. Die Zeichnung nahm man mit.
Pigalles Antwort war ziemlich zuletzt gekommen, nämlich einen Tag vor der Abreise des neuen Dänischen Außenministers. Er lehnte ab. Man habe sich ja wohl selbst vom Zustand des Meisters überzeugen können, selbstverständlich wäre eine weite Reise diesem nicht mehr zuzumuten.
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