Gustav Freytag - Die verlorene Handschrift
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Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Erster Theil
Erstes Buch
1.
Eine gelehrte Entdeckung
Es ist später Abend in unserm Stadtwald, leise wispert das Laub in der lauen Sommerluft und aus der Ferne tönt das Geschwirr der Feldgrillen bis unter die Bäume.
Durch die Gipfel fällt bleiches Licht auf den Waldweg und das undeutliche Geäst des Unterholzes. Der Mond besprengt den Pfad mit schimmernden Flecken, er zündet im Gewirr der Blätter und Zweige verlorene Lichter auf, hier läuft es vom Baumstamme bläulich herab wie brennender Spiritus, dort im Grunde leuchten aus tiefer Dunkelheit die Wedel eines Farnkrautes in grünlichem Golde, und über dem Wege ragt der dürre Ast als ungeheures weißes Geweih. Dazwischen aber und darunter schwarze, greifbare Finsterniß. Runder Mond am Himmel, deine Versuche den Wald zu erleuchten sind unordentlich, bleichsüchtig und launenhaft. Bitte, beschränke deine Lichter auf den Damm, der zur Stadt führt, wirf deinen falben Schein nicht allzuschräge über den Weg hinaus, denn linker Hand geht es abschüssig in Sumpf und Wasser.
Pfui, du Lügner! da ist der Sumpf, und der Schuh blieb darin stecken. Aber dir ist das gerade recht, Täuschen und Betrügen ist deine liebste Arbeit, du Phantast unter den Sternen. Man wundert sich allgemein, daß die Menschen der Vorzeit dich als Gott verehrten. Einst hat das griechische Mädchen dich Selene gerufen und sie hat dir die Schale mit purpurnem Mohn bekränzt, um durch deinen Zauber den treulosen Geliebten zu ihrer Thürschwelle zu locken. Damit ist es für immer vorbei. Wir haben die Wissenschaft und Photogen, und du bist herabgekommen zu einem armen alten Gaukler, der fern von Menschen im Walde umherflackert. Zu einem Gaukler! Man erweist dir noch allzuviel Ehre, wenn man dich überhaupt als lebendes Wesen behandelt. Was bist du denn eigentlich? eine Kugel ausgebrannter blasiger Schlacke, luftlos, farbenlos, wasserlos. Bah! eine Kugel? Unsere Gelehrten wissen, daß du nicht einmal rund bist, auch darin lügst du. Wir von der Erde haben dich nach unserer Seite in die Länge gezogen. Du bist gewissermaßen zugespitzt, und deine Gestalt ist erbärmlich und unregelmäßig. Du bist nichts als eine Art großer Erdrübe, welche sich in ewiger Sklaverei um uns herumwälzt.
Der Wald lichtet sich, zwischen der Stadt und dem Wanderer liegt noch eine weite Rasenfläche mit ihrem Weiher. Sei gegrüßt, du grüner Thalgrund; wohlgepflegte Kieswege ziehen sich über die Waldwiese, hier und da erhebt sich lustiges Gebüsch und eine Gartenbank. Auf der Bank rastet bei Tage der wohlhäbige Bürger; die Hände auf das spanische Rohr gestützt, sieht er stolz nach den Thürmen seiner guten Stadt hinüber. Ist heut auch die Flur verwandelt? Vor dem Wanderer breitet sich’s wie eine wogende Wasserfläche, und es wallt, brodelt und ballt sich um die Füße, in endlosen Nebelmassen soweit das Auge reicht. Welches Geisterheer wäscht hier seine grauen Gewänder? Sie flattern von den Bäumen, sie ziehen durch die Luft, mattscheinend, zerfließend, sich wieder verwebend. Und höher erheben sich die dämmrigen Gebilde. Sie schweben dem Wanderer über das Haupt, die düstern Massen der Bäume verschwinden, auch den Himmel verbirgt die Dämmerung, jeder Umriß löst sich auf in ein Chaos von bleichem Licht und wogender Unform. Noch dauert die feste Erde unter den Füßen des Schreitenden, und doch wandelt er geschieden von allen wirklichen Gestalten der Erde unter leuchtenden körperlosen Schatten. Hier sammelt sich’s und dort wieder zu schwebendem Scheine. Langsam schweifen die Luftgebilde an dem Flor, der den Wanderer umhüllt. Hier dringt eine gebeugte Gestalt heran, einem knieenden Weibe vergleichbar, das vor Schmerz zusammenbricht, dort ein Zug in langen wallenden Gewändern wie römische Senatoren, an ihrer Spitze ein Kaiser mit der Strahlenkrone, aber die Krone und das Haupt zerfließen, kopflos und gespenstig gleitet der große Schatten vorüber. – Dunst der feuchten Wiese, wer hat dich so verwandelt? Wetter! das that wieder der Alte dort oben, der gaukelnde Mond.
Weicht hinterwärts, täuschende Bilder der Dämmerung. Das Thal ist durchschritten, vor dem Wanderer schimmern erleuchtete Fenster, hier ragen die nächsten Häuser der Stadt, zwei stattliche Häuser und zwei Hausbesitzer! Hier wohnen Menschen, Steuerzahler, rührig Schaffende; sie hüllen sich zur Nacht in warme Decken und nicht in deine wässrigen Gespinste, o Mond, welche als rollende Tropfen von Haar und Bart träufeln; sie haben ihre Launen und ihre Biederkeit und schätzen deinen Werth, Mond, genau nach den Summen, die du der Stadtkasse an Gaslicht ersparst.
In dem Hause zur linken Hand glänzt aus der obern Fensterreihe eine Lampe nahe den Scheiben. Vergeblich mühst du dich, bleiches Wolkenlicht, deine trügenden Strahlen auch dort hineinzuwerfen. Denn ihn, der dort wohnt, sollst du mit deinen Possen nicht kränken, er ist ein Kind der Sonne und ein Held dieser Geschichte. Es ist der Professor Felix Werner, ein gelehrter Philolog, noch ein junger Herr, aber von wohlverdientem Ruf. Da sitzt er an seinem Arbeitstisch und blickt auf verblichene alte Schrift; ein ansehnlicher Mann; wenn er aufsteht, von guter Mittelgröße, dunkles gelocktes Haar umgibt ihm ein großes Antlitz von kräftiger Bildung, nichts Kleines darin, helle treue Augen unter dunklen Brauen, die Nase leicht gebogen, die Muskeln des Mundes stark entwickelt, wie bei einem beliebten Lehrer der studirenden Jugend natürlich ist. Jetzt gerade fährt ein feines Lächeln darüber und die Wangen sind ihm von der Arbeit oder geheimer Aufregung geröthet. Verschwinde hinter einer Wolke, Mond, die Gesellschaft meines Professors ist mir lieber.
Der Professor sprang von seinem Arbeitstisch auf und durchschritt einige Male eifrig das Zimmer, dann trat er an ein Fenster, welches auf das Nachbarhaus hinsah, stellte zwei große Bücher auf das Fensterbrett, legte ein kleineres darüber und brachte dadurch eine Figur hervor, welche einem griechischen P ähnlich sah und durch den Lichtschein dahinter für die Augen im Nachbarhause sichtbar wurde. Nachdem er dies telegraphische Zeichen gezimmert hatte, eilte er wieder an den Tisch und beugte sich von neuem über sein Buch.
Der Diener trat leise ein, das Abendessen wegzuräumen, welches auf einem Seitentisch zurechtgestellt war. Da er die Speisen unberührt fand, blickte er mißbilligend auf den Professor und blieb lange hinter dem leeren Stuhl stehen. Endlich rückte er sich in militärische Haltung: »Der Herr Professor haben das Abendbrot vergessen.«
»Räumen Sie ab, Gabriel,« befahl der Professor.
Gabriel bewies keinen guten Willen. »Der Herr Professor sollten wenigstens ein Stück kalten Braten zu sich nehmen. Aus Nichts wird Nichts,« fügte er wohlwollend hinzu.
»Es ist nicht in der Ordnung, daß Sie hereinkommen, mich zu stören.«
Gabriel nahm den Teller und trug ihn zum Professor. »Nehmen der Herr Professor wenigstens ein paar Bissen.«
»So geben Sie,« sagte der Professor und aß.
Gabriel benutzte die Pause, in welcher sein Herr widerstandslos bei verständlicher Thätigkeit verweilte, zu einer respectvollen Anmahnung: »Mein seliger Hauptmann hielt sehr auf ein gutes Abendessen.«
»Jetzt aber sind Sie ins Civile übersetzt,« versetzte der Professor lächelnd.
»Es ist aber auch nicht in der Ordnung,« fuhr Gabriel hartnäckig fort, »wenn ich allein den Braten esse, den ich für Sie hole.«
»Ich hoffe, Sie sind jetzt zufrieden,« versetzte der Professor und schob ihm den Teller zurück.
Gabriel zuckte die Achseln. »Es ist zum wenigsten guter Wille. Der Herr Doctor war nicht zu Hause.«
»Ich sehe. Sorgen Sie dafür, daß die Hausthür geöffnet bleibt.«
Gabriel machte Kehrt und entfernte sich mit den Tellern.
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