Das Schloss von außen wirkte völlig stillos, erinnerte jedoch in weiten Teilen an eine verspielte Abart der Renaissance. Lediglich die Zierden aus roten Ziegeln, die sich vortrefflich vom Grau des Sandsteins abhoben, gaben dem Gebäude Zusammenhalt.
Dem entsprechend die Prinzessin, passender Aufzug und Empfang. Saly spürte sofort, dass diese Frau sehr speziell war. Ebenso speziell wie Madame de Pompadour. Wenn auch in einer völlig entgegengesetzten Weise. Diese Frau war beinahe hässlich. Unterstrichen durch die Wahl der Garderobe. Das überbreite Cul, jenes Untergestell, welches bei den Pariser Damen schon längst passé war, bauschte sich üppig an den Seiten und ließ den die Mitte der Figur untergehen. Noch unvorteilhafter wirkte der steife Kragen, der sich seltsam über eine kropfähnliche Wölbung nahe der Kehle stülpte. Die Vorrichtung ließ den Nacken überlang wirken und betonte die dünne Frisur, welche aus eigenen, stark gekürzten Haaren bestand. Lediglich der Schmuck, den die Dame trug, wies auf die besondere Herkunft hin.
Die Begrüßung gestaltete sich recht beachtenswert. Derweil die Prinzessin auf Saly zuging, fiel nämlich auf, dass jenes altmodische Kleidergestell zu einer Seite stärker schwang. Nur ganz flüchtig, als wenn eine leichte Hüftlahmheit zu kaschieren sei. Noch im Zweifel, was er davon zu halten hatte, umfasste die Prinzessin zutraulich mit beiden Händen Salys Rechte und hieß ihn willkommen.
Worte funkelten Saly an. Und mit jedem glänzte die merkwürdige Gestalt mehr. Die Sätze ließen das Abbild erblühen. Noch nie war ihm Derartiges begegnet. Eine Gestalt, die im Atemzug ihrer sprachlichen Lautäußerung so einvernehmend schön wirkte. Allein wie die Töne Schwingungen erzeugten und im ausladenden Kleid mitvibrierten. Gleichsam um die Taille zitterten. Saly war so sehr von der Erscheinung geblendet, dass er der ausgiebigen Konversation, in welcher sie ihm nach und nach alle Probleme und Sorgen entlockte, gedanklich nicht hatte folgen können. Erst, als die Prinzessin beteuerte, die Familie Saly stünde von nun an unter ihrem persönlichen Schutz, erwachte der Bildhauer aus seiner Trance.
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Bei den Vorspeisen verwickelte man Saly ins Gespräch mit seinem Gegenüber, das ihm als Architekt und Leiter der Kunsthandwerksschule, Herr Eigtved, vorgestellt wurde. Daneben saß Kupferstecher Preisler, der dem folgenden Gespräch zwar aufmerksam zuhörte, sich aber nicht beteiligte. Saly vermutete, dass der Mann es mit der französischen Sprache schwer hatte und sich anstrengen musste, den Sinn der Unterhaltung zu verstehen. Diese beiden Herren waren also die Federführenden. Kurz nach der Annahme des Auftrages hatte man ihm alle Unterlagen über Frederikstad, den neuen, modernen Stadtteil Kopenhagens, nach Paris gesandt. Die Baupläne des dänischen Architekten und die kunstfertigen Kupferstiche Preislers sollten Saly beeindrucken. Auf dem Papier befand sich das neue Schloss im Zentrum. Und in die Mitte der im Rund gelegenen Palais hatte Preisler ein nur schemenhaft umrissenes Reiterdenkmal gesetzt.
In das Gespräch mischte sich nun ein anderer Herr ein, der sich als Drucker ausgab. Berling, so sein Name, hatte den Einfall gehabt, ein kleines Heftchen herauszugeben, das den Stand der Bauarbeiten von Amalienborg dokumentierte. Nun wollte er von Saly wissen, ob sich ein weiteres Pamphlet lohne, welches die Entstehung des Denkmals vom ersten Entwurf bis zur Fertigstellung aufzeige. Sicherlich seien die Bürger Kopenhagens sehr an diesen Dingen interessiert. Der Herr Architekt und sein Kompagnon zeigten sich begeistert und baten Saly um seine Meinung. Verlegen räusperte sich der Franzose:
„Sie müssen wissen, man ist ja gerade erst in Dänemark angekommen. Ich hatte noch keinerlei Gelegenheit, das vorzügliche architektonische Ensemble, dessen Schöpfer hier vor mir sitzen, persönlich in Augenschein zu nehmen.“
Ein wenig zögerlich klingt der berühmte Monsieur Bildhauer aus dem fernen Paris, dachte Eigtved bei sich. Gar nicht so forsch und selbstsicher, wie angenommen. Das könnte ja noch etwas werden. Der Mann hatte sicherlich noch keinen Entwurf in der Tasche.
Vor der Suppe kam der Herr Professor Berger, seines Zeichens Chirurg, an Salys Seite, erkundigte sich nach dem Genesungsfortschritt der Frau Mutter und stellte dem Künstler obendrein Pastor Cramer vor, der neben ihm stand. Man habe ihm, Cramer, schon einiges vom der Familie aus Frankreich erzählt. Ob es denn wohl möglich sei, Monsieur Joseph, der ja wohl ein begnadeter Komponist und Kirchenmusiker sei, einmal persönlich kennen zu lernen? Saly zuckte verdutzt und räusperte sich verlegen:
„Mein Vater spielt ganz leidlich einige Instrumente, darunter auch die Orgel. Leider, verehrter Herr Pastor, kenne ich mich mit der Qualität der Kompositionen, von denen eine Vielzahl vorliegt, nicht aus. Deshalb maße ich es mir nicht an, darüber urteilen zu können.“
„Genau deswegen“, so der Pastor, „würde ich den Musikus gern selber kennen lernen. Und auch ihr Fräulein Tochter, das, so wurde mir gesagt, wahre Anteilnahme für Bedürftige empfinde und ausgesprochene Begabung für die Pflege Kranker habe. Uns fehlen dringend Schwestern für das Spital und die Betreuung weiterer Einrichtungen. Ob man das Fräulein wohl damit belästigen darf?“
Saly zögerte verdutzt. Alle hier waren so freundlich und nahmen ihn und die Seinigen ungemein wichtig. Falls dies keine bloße Taktik war, so schuldete er dem Geistlichen eine Antwort:
„Bitte, mein Herr, besucht uns doch in den nächsten Tagen in Charlottenborg. Es ist zwar noch ein wenig behelfsmäßig dort, aber ich weiß, dass mein Vater und Martine sich über euer Kommen freuen würden.“
Jetzt machte sich die Prinzessin bemerkbar:
„Wartet damit noch einige Tage, Herr Cramer. Die Familie sollte zunächst ihr neues Heim bezogen haben. Man wird Euch dann Bescheid geben.“
Undzu Saly:
„Selbstverständlich, Monsieur, dürft ihr eure Lieben vorab einweihen und ihnen in Aussicht stellen, dass ihre Lage sich bald verbessern wird.“
Dieser strahlende Singsang. Diese Energie.
Dieselbe Aura, bei beiden Frauen.
Der Hauptgang wurde gereicht und Saly achtete nicht darauf. Ein Herr, schräg gegenüber des Druckers Berling, zog seine Aufmerksamkeit auf sich, indem er seinen Teller hoch hielt, zunächst mit dem Finger auf den sich darunter befindlichen Stempel wies und dann auf sich selber. Wasserschlebe flüsterte Saly zu:
„Das ist der Herr Fortling. Der Leiter der königlichen Porzellanmanufaktur. Ein sehr interessanter Mann, der sich vorzüglichst auf die Kunst des Brennens versteht. Experte auf seinem Gebiet. Ich glaube, er möchte dir einen Vorschlag machen. Du solltest dich nachher einmal in seine Nähe begeben, um ihn anzuhören.“
Saly lächelte und nickte dem porzellanartig Geschminkten zu. Am anderen Ende des Tisches entbrannte ein lautes Gespräch. Klopstock, den Saly vorher noch gar nicht bemerkt hatte, stritt aufgeregt mit seinem Tischnachbarn:
„Herr Schlegel, mäßigen sie sich in ihren Behauptungen!“, klang es auf Deutsch hinüber. Der Gemahnte reagierte ironisch und glitt ins Französische hinüber, als er bemerkte, dass man die Aufmerksamkeit auf ihn richtete:
„Meine Absicht, Klopstock, basiert nicht auf Behauptungen, sondern auf Tatsachen. Wir fühlen uns als Fremde und sind es auch. Deswegen sollten wir die Kultur des Gastlandes achten und ehren, etwas daraus lernen wollen und weitergeben an die Welt. An euere Schweizer, zum Beispiel, oder nach Molieres Frankreich. Als bloßer Fürsprecher eurer selbst aber, werdet ihr das Fremdsein zu spüren bekommen, an eurem eigenen Leib und eurer viel gepriesenen menschlichen Seele ertragen müssen. Ob ihr darüber leiden werdet, sollt ihr selber entscheiden. Mein Bruder jedenfalls nahm die Herausforderung an und zog daraus seine Schlüsse. Für die historische und literarische Wissenschaft. Das, mein junger Heißsporn, brachte ihm hohe Anerkennung von Seiten seiner Gastgeber ein. Einen Respekt, den ihr wohl niemals erlangen werdet, zieht ihr doch, kaum dass ihr euch hier niedergelassen, ganz ungeniert alle Aufmerksamkeit auf euch und euer sogenanntes Werk.“
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