Sie war die richtige.
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Die Prinzessin hatte bereits eine Eingebung. Zunächst müsste es einen angemessenen Empfang für den Künstler geben. Genauso dringlich war es, ein Quartier für die Familie zu finden. In direkter Nähe zum Theater gab es ein stattliches neues Palais, dessen untere Etage den festen Schauspielensembles als Wohnungen dienten und wo für engagierte, reisende Schauspieltruppen, Sänger oder Musiker das obere Stockwerk reserviert war. Um den Salys eine langfristige Bleibe zu schaffen, würde sie kurzerhand veranlassen, zwei dieser Wohnungen zusammenzulegen. Davon unberührt bliebe das Appartement, welches sie für persönliche Zwecke nutze. Die pflichtschuldigen Besuche bei den Salys könnten einer ausgesprochen nützlichen Tarnung dienen. Wenn die Pariser Damen so waren, wie man sie sich vorstellte.
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Die Gäste für den Empfang hatte die Prinzessin sorgfältigst ausgewählt. Es handelte sich in erster Linie um Mitglieder des Lehrkörpers der Kunst - und Handwerksschule und angesehene Leute, wie Schriftsteller und Wissenschaftler, über deren Kontakt sich Beziehungen ergeben würden, von denen der Bildhauer profitieren konnte. Da sie über Saly herausgefunden hatte, dass dieser eher zu den Künstlerpersönlichkeiten gehörte, die einen bescheidenen Charakter besaßen und beim geringsten Anlass zur hysterischen Überforderung neigten, wollte sie ihn nicht sogleich mit zu vielen neuen Menschen strapazieren. Darum waren auch einige Leute eingeladen, deren Bekanntschaft Saly schon hatte machen dürfen. Der Dichter Klopstock sowie die beiden deutschen Veterinäre Reitzenstein und Prizelius, die den Franzosen auf der Reise begleitet hatten. Ebenso natürlich Wasserschlebe, der ihr versichert hatte, dass ihn eine feste Freundschaft mit dem Künstler verband. Auch Bernstorff war für den Franzosen kein Unbekannter. Man hatte sich bereits flüchtig in Paris kennengelernt und sich im Schriftverkehr auf den künstlerischen Stil des Denkmals einigen können. Demnach würde Saly den Außenminister wohl kaum mehr fürchten. Allein Moltke war ein Wagnis. Dieser pragmatische Mann würde sicherlich die geschäftlichen Beziehungen zu Saly in den Vordergrund spielen und ihn hierdurch als einen von seinen Gunsten Abhängigen dastehen lassen. Wasserschlebes Aufgabe wäre es, Saly diesbezüglich zu schützen und zu verteidigen.
Der Empfang fand auf Schloss Rosenborg statt. Mitten unter den fabelhaftesten Schätzen, die von Dänemarks Königen über die Jahrzehnte angehäuft worden waren. Ein wahrer Tummelplatz für Künstler und Gelehrte.
Saly zeigte sich ebenso beeindruckt wie die anderen Gäste, von denen die meisten das Schloss noch nie hatten betreten dürfen. Mehrere Kammern mit Prunksätteln, Paradewaffen, Rüstungen und prachtvollen Kleidungsstücken. Kostbares Kunsthandwerk, Glas, Porzellan in Schränken und Vitrinen. Und die im Krieg erbeutete Kunstsammlung der schleswigschen Grafen von Gottorf, überall verteilt in den Salons und Prunkkammern. Etwas überwältigt von der Mannigfaltigkeit und Fülle der Gegenstände taumelte Saly hinter den anderen durch die zahlreichen Gänge und Salons. Das Ganze schien kein Ende zu nehmen. Ab und zu blieb man an einem besonderen Gemälde hängen, oder kam zu einem gelungenen Portrait eines Vorfahren, auf das die Prinzessin hinwies, im Großen und Ganzen war das Ensemble allerdings unübersichtlich und planlos. Als hätte man über die Jahrzehnte alles hier hineingestopft. Und das Gebäude war dunkel. Es mochte am roten Stein liegen, der auch im Inneren dominierte oder an den vollgehängte
Wänden und den unmöglich drappierten Möbeln jeder Epoche – man bekam beinahe Atemnot und Beklemmungen. Zumindest befanden sich die Bücher aus der geplünderten Gottorfer Bibliothek, es handele sich immerhin um über tausend an der Zahl, nicht unter diesem Allerlei. Dafür war auf Anraten der Prinzessin eigens eine Bibliothek auf Slotsholmen in erbaut worden, die selbstverständlich jedem Künstler und Gelehrten zur Verfügung stand.
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Wie erleichtert Saly war, als man den roten Salon erreichte, wo die Gäste das Dinér erwartete. Er saß er zwischen Wasserschlebe und Bernstorff. Abgeschirmt und sicher.
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Die beiden Herren hatten ihn mit einer Kalesche aus Charlottenborg abgeholt. Gerade, als der Bildhauer beim Pudern seiner besten Perücke war und sich in einem halb blinden Spiegel, der irgendwo im Atelier herum stand, begutachtete, war Wasserschlebe eingetreten.
„Wir sollten uns ein wenig eilen, da die Prinzessin uns vor den anderen Gästen erwartet. Sie möchte dich vorab treffen. Allein. Also ein kleines Rendevous.“
Wasserschlebe lächelte.
Saly zog sich seinen Rock zurecht, zupfte an seiner Weste herum:
„Kann ich mich so sehen lassen? Mich dünkt, als habe ich eine Erwartung zu erfüllen. Es handelt sich hier um meine ...beste Kleidung ...“ abruptes Schweigen. Melancholisch starrte er in sein benebeltes Spiegelbild. Der Anzug war für die Feier in Bellevue gedacht gewesen, Madame hatte den Rock in Auftrag gegeben, bei ihrem Schneider, in Paris.
Wasserschlebe, der die schwankende Stimmung des Künstlers bemerkte, versuchte diesen mit einem Scherz wieder in die Welt zurückzuholen:
„Du siehst aus wie ein Marquis aus Paris, oder wie ein Duc, nicht unbedingt wie ein Bildhauer!“
Saly sinnierte weiter:
„Obwohl zu meinem Nachteil, will ich mich doch für das Souper bedanken, welches meiner Familie serviert wurde. Denn deine Essensspende der Grund dafür, dass ich genötigt war, die schwere Kleiderkiste aus dem Foyer allein und ohne Hilfe hierher zu schleifen. Jean darf ja nicht schwer heben und sollte auch etwas Warmes bekommen...“
Versteinert starrte er auf den Boden. Im Marmor waren tiefe Kratzspuren entstanden, so wie damals, in Versailles, als sie die Werkzeugkiste über das Parkett im Salon gezogen hatten...Wasserschlebe drängte nun aus dieser Atmosphäre, der Mann musste bei Sinnen bleiben, war es doch ein wichtiger Abend. Er wies nach draußen:
„Die Kutsche wartet und mit ihr Minister Bernstorff...“
Wasserschlebe verschwieg wohlweislich, dass es die Prinzessin gewesen war, die, den Imbiss für die Familie des Franzosen organisiert hatte. Saly hätte die Großzügigkeit nicht verstanden.
Neben der eleganten Kutsche, die von zwei glänzenden Füchsen gezogen wurde, stand ein Lakai, der den Tritt hinunter klappte. Noch bevor Saly einen Fuß darauf setzen konnte, wurde ihm aus dem Inneren des Wagens von Außenminister Bernstorff die Hand gereicht:
„Monsieur Saly! Wie schön euch wieder zu sehen! Ich hörte, ihr und eure Familie habt die Reise gut überstanden. Lediglich eure verehrte Frau Mutter hatte mit einer Krankheit zu kämpfen. Ich hoffe, unser Doktor Berger hat sein bestes getan!“
Saly spürte den festen, unbehandschuhten Händedruck, welcher dazu einlud, sich nicht in des Ministers Schuld zu fühlen. Dennoch war es beschämend, dass er für den Chirurgen, der auf Bernstorffs Vermittlung hin die Kranken wieder zusammengeflickt hatte, noch nicht einmal den Lohn hatte aus eigener Tasche bezahlen können.
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Es hatte bereits gedämmert, als die Kutsche durch die belebte Stadt gefahren war. Über den Nytorv und den großen Boulevard zum Kongenshave, so dass man aus der Ferne das erleuchte Schloss Rosenborg sehen konnte. Bernstorff plauderte, wies auf dieses oder jenes Gebäude und ließ kurz bei einer Kirche halten.
„Ihr werdet heute Abend auch Pastor Cramer treffen, einen meiner engsten Freunde. Den Leiter dieser Gemeinde, die uns Deutschsprachige gewissermaßen zusammenhält. Wir unter uns, als eigenes Völkchen im Exil.“
Der Wagen fuhr weiter.
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