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Teurer Freund Marigny!
Ich möchte dir von den Misständen hier in Schloss Charlottenborg berichten. Das erste, was meine Familie betrifft, verhält sich so, dass es für Vater, Mutter und meine beiden Schwestern, entgegen der schriftlichen Absprachen, derer du Zeuge warst, keine Wohnung gibt. Folglich musste ich die meinige räumen und sie ihnen überlassen. Diese Tatsache bereitet uns allen viele Umstände, nicht nur, dass man wenig Schlaf findet sondern auch, dass die Bedrängnis untereinander zu nicht verzeihlichen Worten und Handlungen führt. Insbesondere Madame Saly, der es gesundheitlich eher schlecht als recht zu gehen scheint, regt sich über ihre Lage auf und scheucht ihre Töchter wie Dienstboten, die uns übrigens immer noch nicht zugebilligt wurden. Eine Zofe und ein Hausdiener müssten uns doch gewiss zustehen. Kannst du die Vereinbarungen diesbezüglich in den Unterlagen überprüfen? Da Kisten mit mit Schriftstücken noch nicht ausgepackt wurden (ich weiß nicht, wo mein Bureau sein wird), kann ich meine Kopien gar nicht finden. Außerdem plagt mich eine weitere, peinliche Unannehmlichkeit: Mir droht langsam das Geld auszugehen! Zum Essen müssen wir nach außerhalb, in private Gasthäuser, was sehr kostspielig ist (die Versorgung des Hofpersonals, so wie wir es von Versailles her kennen, scheint auf Christiansborg nicht üblich - oder aber wir sind dort nicht willkommen). Und ich hatte hohe Arztkosten zu begleichen. Der Arm von Jean (es handelt sich immer noch um den Pferdebiss), drohte steif zu werden, weshalb ein Chirurg gerufen werden musste, der das entzündete Fleisch vom Muskel trennte und diesen wieder funktionstüchtig machte. Mehr darüber im Brief an Adoree. Jean geht es also wieder leidlich, dennoch darf er beim Einrichten des vorzüglichen Ateliers, welches zu meinem Stolz prächtig werden wird, nicht mit anpacken. Erinnerst du dich an das Glashaus auf Bellevue?
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Salys Herz setzte einen Moment aus, als er die erleuchtete Madame in sich fühlte.
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So einen Anbau, nur wesentlich größer, gibt es auch hier. Ganz für mich und meine Arbeit. Nun, jetzt zum Winter hin kann man ihn nicht gut nutzen, es ist zugig und oft so feucht, dass das ganze Glas beschlägt. Aber im Sommer! Darauf freue ich mich sehr. Im Übrigen, der Werkstatt fehlt es an nichts, aber auch wirklich gar nichts. Diesbezüglich ist alles perfekt. Mir scheint aber, die Dänen gehen davon aus, dass jemand nicht essen muss, wenn er ein Künstler ist. Und auch sein Alltag nur von der Kunst bestimmt wird. In gewisser Weise wünsche ich mir solch ein Leben fernab der weltlichen Probleme – aber trage ich nicht auch die Verantwortung für die Meinigen und ihr Wohlergehen? So erzürnt es mich ein wenig, noch keine Apanage gesehen zu haben, und dass noch niemand Offizielles mich hat bei Hofe oder der Handelskompagnie eingeführt und abgesehen von den Unannehmlichkeiten, die ich bereits schilderte, fühle ich mich ein wenig übersehen. Nur der gute Wasserschlebe hält zu mir (er hat mir sogar ein wenig Geld vorgestreckt) und versucht, alles in Ordnung zu bringen.
Bitte grüße meine liebe Adoree von mir, ein Brief an sie ist unterwegs!
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Dein Freund Saly
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P.S. Es wäre schön, wenn deine Tante, das sie sich so gut mit meiner Mutter verstanden hat, ein paar Zeilen zur Aufmunterung an sie richtet.
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Spät in der Nacht fuhr ein schwerer Wagen lärmend in den Innenhof ein. Das Dröhnen der eisenbeschlagenen Pferdehufe hallte von den Wänden wider und erschütterte die beiden schlafenden Monsieurs Saly im Parterre. Zuerst schreckte der Vater hoch, dann der Sohn. Bei beiden hatten das Holz der notdürftigen Liegen dem Poltern Resonanz gegeben und sich ihn ihren Gehörgängen verstärkt.
„Der Gepäckwagen!“ rief Saly.
Da man sich für den dürftigen Schlaf nicht entkleidet hatte, war es ein Leichtes, zur Tür zu eilen um den lang erwarteten Jean in Empfang zu nehmen.
Jean war übermüdet, hungrig und fror. Saly tat es sehr Leid, dass er dem Jungen kein besseres Quartier bieten konnte, als ein paar Leinensäcke vor dem Kaminfeuer im Atelier. Immerhin gelang es Joseph, sich nach oben zu schleichen und eine wollene Decke sowie Reste vom Reiseproviant aus der Wohnung zu stibitzen. Mehr war nicht möglich. Überhaupt hatte sich seit ihrer Ankunft im neuen Zuhause noch nichts entwickelt. Es gab weder Dienerschaft, noch Küchenpersonal, so dass man vor dem Zubettgehen alles hatte selber arrangieren müssen. Mühselig und unerfreulich nach einer so langen Reise. Den Empfang hatte sich der Künstler anders vorgestellt.
Jean erzählte beim Essen, wie es ihm inzwischen ergangen war. Von den Ängsten in der Fremde, vom Heimweh nach Lisette, den Unannehmlichkeiten, die es machte, wenn man ohne Geld reiste und vom Lichtblick des Aufeinandertreffens mit den beiden deutschen Rossärzten bei Roskilde. Wie glücklich er gewesen war, bekannte Gesichter zu sehen. Auch sein Arm habe gelitten, da er die Wunde nicht immer habe reinigen können. Saly sah sich die Stelle an, der Verband sah verdreckt und abgerissen aus.
„Morgen werden wir sofort nach einem guten Arzt rufen. Nun musst du dich ausruhen. Stell dir einfach vor, du bist endlich an dem Ort angekommen, von dem du immer geträumt hast. So lange dauerte unsere Reise.“
Nachdenklich kratze sich Saly am Kopf. Eine merkwürdige Übertragung. Hatte er Kopenhagen damit gemeint?
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Am nächsten Morgen nieselte es draußen vor sich hin und in Gedanken an die Gräben und die Nähe zum Meer, fröstelte Saly. In Venedig, der Stadt im Wasser, war es auch oft nebelig und feucht gewesen. Nur anders. Hatte man sich dort nicht ständig in heller Erwartung des Durchbrechens der Sonne in der Blüte des eigenen jungen Lebens befunden? Auf dem Kanale der Erwartung war man vor sich hin getrieben. In Zuversicht geschwommen und an den alten Meistern gewachsen.
An diesem Ort jedoch, schob sich von See her die Dunkelheit heran und drohte die Welt zu verschlingen. Weder Nacht noch Tag wäre es bald und weder tot noch lebendig würde man sich fühlen. In diesem kleinen Land hoch im Norden.
Er fragte sich gerade, wie es weitergehen sollte, mit seinem Gemüt , wie er all das bewältigen sollte, was ihm noch bevorstand, als er die vertraute Stimme Wasserschlebes hörte. Der Freund kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und entschuldigte sich vielmals um das plötzliche Verschwinden am Vortage. Ob denn auf Charlottenborg alles zur Zufriedenheit wäre? Wasserschlebe wurde unaufgefordert und gnadenlos mit den Problemen, die sich aus dem provisorischen Zusammenleben ergaben, konfrontiert. Als er den französischen Damen seine Aufwartung machte, bombardierten die ihn mit den Vorwürfen, die eigentlich für wen auch immer bestimmt waren. So flüchtete der Sekretär des Außenministers bald und versprach Saly im Weggehen, er werde sich sofort um alles kümmern. Weil ihm noch etwas eingefallen war, kurz auf der Treppe, holte einen Brief hervor und nahm aus der Geldbörse ein Silberstück. Beides steckte er dem Künstler zu. Saly schaute auf den Brief. Das Geldstück fiel herunter, so dass er sich danach bücken musste. Das Papier zitterte in seinen Fingern. Die Post war von Adoree. Sofort überkam ihn erleichternde Freude. Als lugte aus dem Pergament die Sonne hervor sprach das Mädchen zu ihm:
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Mein liebster, teurer Freund!
Wenn du diese Zielen liest bist du, was ich hoffe, wohlbehalten mit deiner Familie am Ziele angekommen. Heimlich habe ich auf Post von der Tour gehofft, und immer, wenn ein Bote kam, mit stockendem Herzen dagesessen ob einer guten oder schlechten Nachricht von euch. Da ich mich auch ein wenig im Reisen üben konnte, weiß ich um die Strapazen und verzeihe dir, dass du mich mit keiner Zeile bedacht hast. Sicherlich aber konntest du einige hübsche Skizzen anfertigen, von der Landschaft, von den Leuten und was es sonst noch alles so gibt, dort oben, im Norden. Kannst du verstehen, dass ich mir Dänemark gar nicht vorstellen will? Denn mehr denn je trage ich die Sonne Italiens im Herzen und - jetzt muss es endlich heraus - auch darunter. Du stutzt? Ja, du hast verstanden: Ich erwarte ein Kind! Abel und ich sind überglücklich – und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie stolz wir beide sind! Und wie das Temperament meines Vaters überschäumt in Erwartung noch eines unverhofften Enkels! Madame Philidor, meine liebe Mutter, kann von nichts anderem mehr reden und hastet durch ganz Paris, um die erlesenste Aussteuer für das Baby zusammenzustellen. Darf ich sagen, dass auch meine Schwägerin aufgelöst in Freude die Nachricht entgegen nahm? Seither fühlt sie sich besser und schmiedet bereits Pläne für das Kleine. Da, mein lieber Freund, ist mir, in meiner tragenden Rolle, oft ein wenig zu viel! Wie gerne hätte ich jetzt dich um mich, dich, dem ich mich außerhalb des Aufhebens um das Baby Alles anvertrauen könnte... Lass mich bitte nicht allein mit diesen „Schwangeren“ und teilhaben an jenen schöpferischen Abenteuern, die wir, wie so oft schon gemeinsam entwirrt haben. So dringend ist es mir, dass wir unsere philosophischen Exkurse über Kunst und das Leben fortsetzen – da ich mich sonst wie eine Kranke fühle, die man schonen und von der Welt fernhalten muss.
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