Klopstock erwiderte nichts. Stur und verbissen stocherte er im Essen. Und allmählich überspielte das Klimpern des Bestecks den verebbten Monolog, so dass Saly wieder zu sich finden konnte. Nach und nach kam er, ganz in Hoffnung auf eine neue Seelenverwandtschaft, welche ihn hoffentlich über die Erinnerung an Madame und die gemeinsamen philosophischen Diskurse hinwegtrösten würde, mit sich überein, diesen Schlegel kennenlernen zu wollen. Bedauerlicherweise hatte es an diesem Abend allerdings keine Gelegenheit mehr dazu gegeben, da Saly nach dem Dessert die weiteren Gäste, auf deren Erscheinen die Prinzessin Wert gelegt hatte, nacheinander vorgeführt wurden. Erinnern konnte er sich nachher nur noch an einen fettleibigen, großspurigen Preußen, der als Unternehmer in Kopenhagen Fuß zu fassen suchte und sich fleißig als Kunstmäzen betätigte. Saly hatte sich weder dessen unaussprechlichen Namen merken, noch dem Gerede folgen können, da der hektische Herr keinen Satz vernünftig zu Ende brachte. Wasserschlebe hatte ihn dann aus dessen Fängen befreit und ihm stattdessen einen Künstler, über den gesagt wurde, dass er für die Königsfamilie Medaillions aus Elfenbein anfertige, zur Seite gestellt. Dieser etwas kautzig verschrobene Mann wirkte auf Saly sehr sympathisch. Gern hätte er sich weiter mit dem Kunsthandwerker über die Vielfältigkeit der Materialien, aus denen sich künstlerische Kleinode schnitzen ließen, ausgetauscht.
Aber leider war zu diesem Zeitpunkt Moltke aufgetaucht.
Prompt hatte die Prinzessin ihre Plauderei mit Professor Kratzenstein unterbrochen und den späten Gast in Empfang genommen. Auch Bernstorff hatte seinen Gesprächspartner stehenlassen und war unverzüglich zur Stelle gewesen. Saly stand etwas ratlos und befangen im Abseits und bemerkte nicht einmal, wie er von seinem Freund Wasserschlebe bewacht wurde.
Graf Moltke sah sehr gediegen aus, trug feinstes, nach der neuesten Mode geschneidertes Tuch und eine elegante Perücke. In diesem Aufzug hatte er mehr einem Versailler Hofintellektuellen als einem Politiker geähnelt.
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* * *
Auf dem Weg zurück nach Charlottenborg wurde der Bildhauer behutsam und umständlich genauestens nach dem Eindruck, den Moltke bei ihm hinterlassen hatte, befragt. Denn für Wasserschlebe und Bernstorff war es wichtig herauszufinden, was Saly von nun ab über seinen Auftrag empfand. Wasserschlebe setzte beim Allgemeinen des Abends an:
„Nun, mein lieber Freund. Ein langer, aufregender Abend. Wir hoffen, man hat dich nicht verwirrt. Du warst begeistert von der Prinzessin, konnte man sehen.“
Bernstorff ergänzte:
„Eine überaus interessante Frau, wenngleich nicht gerade als hübsch zu bezeichnen.“
Versonnen blickte Saly in die Nacht:
„Eine wahre Erscheinung. So ätherisch. Wenn ich dieses Wesen als Bildhauer darstellen müsste...ich könnte es nicht.“
Die beiden nickten vielsagend. Nach und nach knüpften sie an die weiteren Gäste an und versuchten, an des Künstlers Meinung zu kommen. Ohne viel Erfolg. Saly ignorierte die meisten der Erwähnten. Erst als man zu Herrn Schlegel kam, erwachte sein Interesse neu.
„Den Herrn Schriftsteller halte ich für einen netten Mann. Er schien mir aus der Seele zu sprechen. Habe ich richtig verstanden, dass er ein Pamphlet über die Fremde, welche uns hier - am nördlichsten Rande Europas – betrifft, verfasst hat? Das würde mich sehr interessieren.“
Bernstorff stellte richtig:
„Nicht ganz, Saly. Es handelt sich bei diesem Herrn Schlegel um den Bruder des kürzlich von uns gegangenen Schriftstellers. Der Mann war nicht nur Dramatiker und Literaturhistoriker, sondern auch ein Kenner und Bewunderer der dänischen Literatur. Viel hat er zu deren Ruhm beigetragen und Literaten wie Holberg über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Schlegels theoretischen Schriften solltet ihr in jedem Fall lesen, denn in gewissem Sinne beschreibt er eure Einstellung zur schönen Kunst und zum Handwerk.“
Als ihm sogleich der Mann aus dem Schnitzgewerbe einfiel fuhr Saly beinahe enthusiastisch fort:
„Auch der Herr, der das Elfenbein bearbeitet, man stellte ihn mir als Hofdrehermeister vor, konnte mich sehr für sich einnehmen. Denn meine heimliche Leidenschaft, müsst ihr wissen, sind Fayencen und Medaillions, mir allerdings bisher nur als Porzellanabguss meiner Gipsmodelle gelungen. Das Schnitzen in ein anderes Material kam mir bisher noch nicht in den Sinn. Ich wünsche mir darüber mehr Kenntnisse und Anregungen.“
Wasserschlebe dachte nach. Wie konnte man jetzt auf Moltke kommen? Die Reihe der Gäste war durch und dessen Auftritt stand an.
„Der Herr Spengler“, so übernahm Bernstorff, „kam verarmt aus London hierher und machte sich bald einen Namen mit seinem seltenen Gewerbe. Moltke ließ ihn bei der Ausstattung seines Palais mitwirken und führte den Sachsen dann bei Hofe ein. Aufgrund einiger Verschönerungen, die ihm im Hinblick auf die Ausschmückung des Schlossinventars gelangen, konnte man Spengler auch als Lehrmeister bei Hofe etablieren. Auf Moltkes Fürsprache hin wurde der Mann eingestellt, um den König bei seinen handwerklichen Betätigungen anzuleiten. Nebenbei gesagt, König Frederik drechselt gerne. Man vermutet, es gibt ihm Entspannung.“
Saly stellte sich einen König vor der Drechselbank vor. Doch, das Abspanen glich dem Abspannen. Moltke musste das gewusst haben.
„Ich habe noch zu danken wegen der Zusammenführung mit dem Grafen, der mir allerdings zunächst recht distanziert vorkam, sich dann aber dank eurer behutsamen Lenkung des Gesprächs als wahrer Kunstkenner und Unterstützer unserer Zunft herausstellte. Ein imponierender Herr. Einschüchternd und geschäftsmäßig lässt er sich an aber ist dann doch voller Enthusiasmus für die Kunst. Ich wage zu behaupten, dass der Graf meinen bescheidenen, rudimentären Ausführungen zum Denkmalentwurf mit Achtung begegnete und sogar Interesse an meinen Plänen zeigte. Ich sehe der Begehung des Schlossplatzes von Amalienborg und dem Besuch des moltke' schen Palais mit hoher Erwartung entgegen. Geht es nämlich direkt um die Kunst und um das Wissen darüber, fühlt man sich trotz alle der Fremde plötzlich heimisch und geborgen im eigenen Metier.“
Dermaßen ausführlich hatte man Saly bisher noch nie sprechen hören. Es mussten die Erinnerungen an die Erfahrungen von Versailles sein, die sich hier äußerten.
Am nächsten Morgen wurde Saly sehnsüchtig von den Frauen seiner Familie erwartet. Selbst die Mutter war guter Dinge und wollte alles über den Abend wissen. Saly selber plagte ein wenig das Kopfweh, dennoch bemühte er sich, beim Bericht über die neuen Bekanntschaften, die guten Neuigkeiten und das Auftreten der Prinzessin euphorisch zu klingen. Die in den Augen der Damen unbedeutenden Leute waren schnell abgehakt, aber über die Prinzessin wollten sie alles wissen. Genauestens musste Saly deren Garderobe beschreiben, ihre Gestalt und ihr Auftreten. Dabei unterließ er es tunlichst zu erwähnen, dass die Schwester des Königs hinkte und einen merkwürdigen Hals hatte. Es wäre ihm wie Verrat an der großzügigen, strahlenden Dame vorgekommen. Deshalb lenkte er die Frauen kurzerhand ab und teilte mit, wo man die Familie in Zukunft unter brächte. Nun war die Aufregung perfekt. Die Schwestern liefen zum Fenster, versuchten das besagte Gebäude zu finden und der bettlägrigen Mutter den Ausblick zu beschrieben. Alles andere, wie auch Salys Begegnung mit dem anspruchsvollen Brotherren Moltke, versank in Unwichtigkeit.
Saly nahm seinen Vater zur Seite und erzählte, was der Pastor zu ihm gesagt hatte. Joseph war überrascht und wurde verlegen.
„So, wie du mir seine Worte überbringst, müsste man meinen, ich sei ein berühmter Komponist. Wie der Mann wohl darauf gekommen ist? Sollte es mir nicht mehr als peinlich sein, dass ich diesem erfundenen Ruf nie entsprechen werde? Kannst du das nicht gerade rücken?“ Ängstlich sah der Vater den Sohn an.
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