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Abgekämpft von den Bilderspielen in seinem Kopf hatte Saly jene Brücke erreicht, die sie bereits am Ankunftstag überquert hatten. Sein Blick auf die Reitbahn wurde von den beiden Pavillons majestätisch eingerahmt. Saly kannte nur Versailles, das den Écuyers und Pferden eigene Gebäude und eine großes Sandviereck zugestand. Das dänische Königshaus sprach der Reitkunst offenbar einen hohen Wert zu, wenn es im Zentrum seines neuen Schlosses eine Sandbahn anlegen und die Seitenflügel des Baus den Stallungen und der Manège überließ. Er hielt sich an die rechte Seite, spazierte unter den Arkaden am Marsstall entlang, wo er Prizelius und Reizenstein zu finden hoffte. Es roch nur wenig nach Dung, als er in den kühlen Stallgang trat. Schnauben, Kettenrasseln und Stampfen. Dampfwolken vom Atem der Tiere. Es war ungewöhnlich frisch hier. Saly fühlte, dass die kalte Luft von oben kam. Alle in einiger Höhe angebrachten Fensterluken waren geöffnet. Anders als in der Écurie von Versailles hatten die Pferde deutlich mehr Platz in ihren Ständern, so dass sie sich hinlegen konnten. Eine tiefe, mit Gittern abgedeckte Rinne, die ganz am Gang entlang lief, leitete den Urin ab. Sehr hygienisch kam Saly das vor. Die Gasse war noch nicht gefegt. Strohbündel lagen herum und Säcke mit Sägemehl. Er jetzt viel dem Künstler auf, dass einige Tiere im Stroh standen und andere auf Spänen. Hinten im Gang tat sich etwas. Sofort brach Unruhe unter den Hengsten aus. Scharren und wiehern. Einige Tiere schlugen mit den Köpfen, andere traten von einem Hinterfuß auf den anderen, so dass ihre Kruppen hin und her schwankten. Ein mit Heu beladener Karren kam von draußen über das Pflaster gerattert. Die zweite Morgenmahlzeit. Man fing im oberen Gang an. Jeder Knecht nahm auf jeder Seite mit der Forke ein großes Büschel vom Karren, trat damit zur Flanke seines Pferdes und warf das Heu in die Raufe. So ging es weiter nach vorne. Manchmal fluchte einer der Knechte fluchte und schrie das Pferd an. Dann dauerte es viel länger, bis er wieder aus dem Ständer herauskam. Das Heu auf der Karre reichte genau bis zum Zwischengang. Zehn Pferde auf jeder Seite waren demnach jetzt versorgt. Die leere Karre wurde hinausgeschoben und schnell durch eine volle ersetzt, denn die Pferde, die noch nicht gefüttert worden waren, verbreiteten immer mehr Lärm und Unruhe. Als es mit dem Füttern weiter ging, konnte Saly sehen, warum die Prozedur bei manchem Tier etwas länger dauerte. Statt auf Zuruf wohlerzogen beiseite zu treten, drehte sich ein gieriges Tier lieber dem Futter entgegen. Gefährlich für Nase und Maul des Pferdes. Leicht konnte es sich an den Zinken der Forke verletzen. Für den Knecht war es in diesem Augenblick umso schwerer, das aufgespießte Heu in die Raufe zu bugsieren. Bei den besonders widerspenstigen Fällen war zu beobachten, dass die Knechte, um sich Platz zu verschaffen, eine besondere Technik anwandten. Geschickt verstanden sie es, beim Heben der Gabel dem Pferd das Stielende schräg in die Seite zu drücken. Das Pferd trat sofort zur Seite und das Heu kam ohne Verlust in die Raufe.
Vertieft in seine Beobachtungen hörte Saly plötzlich, dass jemand seinen Namen rief. Am anderen Ende der Stallgasse war Prizelius aufgetaucht und winkte ihm zu. Unter Obacht, dass keines der unruhigen Pferdebeine nach ihm auskeilte, eilte Saly zu ihm hin. Prizelius machte sich gerade irgendwelche Notizen auf dem Schreibbrett, das er vor sich her trug.
„Wie schön, dass ihr es sobald geschafft habt!“ Prizelius lächelte. Dann wies er auf das Geschriebene. Es war eine Skizze zu sehen, Pfeile die sich kreuzten und Richtungen, die wechselten. Aufeinander zu und von links nach rechts. Offenbar die Abstraktion des Fütterungshergangs.
„Die Bedeutung der Zahlen, da, bei den Markierungen. Sind das die Zeitabstände?“, fragte Saly.
„Ja, genau. Um die Zeit zu verkürzen, habe ich mir überlegt, muss man gleichzeitig und doppelt verfahren. Eine Futtertour beginnt am oberen Gang, die andere am unteren. In der Mitte sollten sich die leeren Karren dann treffen. So ist es kürzere Anspannung für die Tiere, es geht schneller und bald lernen sie, etwas mehr Geduld zu haben. Jedoch ist zu bedenken, dass der Personalaufwand größer wird und man benötigt eine weitere Karre beim zweiten Heulager. Da muss ich erst nachdenken, ob sich das rechnet!“
Der Tierdoktor kritzelte eine wenig auf dem Blatt herum. Zweifelsohne ging es ihm darum, die Verhältnisse zu verbessern.
Saly dachte nach:
„Man könnte es doch auch noch anders machen. Wenn die Pferde das erste Mal fressen, legt man bei jedem Standplatz das Heu für die nächste Mahlzeit sofort zurecht, das merken die Tiere dann gar nicht, und beim nächsten Füttern geht es schneller.“ So hatte Saly es auf Bellevue gesehen.
„Eine ausgezeichnete Idee. Leider muss ich euch sagen, sind darauf sind schon viele vor euch gekommen, ja, dieses Verfahren wird sogar meist angewendet. Ich aber halte davon nichts, einmal wegen der Hygiene, denn das Futter verschmutzt auf dem Stallgang und zum anderen wegen der Brandgefahr. Man sollte diese nicht unterschätzen. Wer einmal Pferde hat in einem brennenden Stall elendig zu Grunde gehen sehen, der wird Heulager auf dem Fluchtgang zu verhindern wissen.“
Saly nickte. Da stand wohl ein wahrer Experte vor ihm.
Der Deutsche hatte sich einen Arbeitsplatz im Kontor des Stallmeisters eingerichtet. Prizelius bot Saly einen Stuhl an. Dieser sah sich im Raum um. An den Wänden hingen Pläne über Fütterung, den Stalldienst und Listen mit Pferdenamen. Außerdem gab es einen Glasschrank mit Tinkturen und Pasten. Und ein Regal mit vielen Büchern. Prizelius beobachte den Bildhauer genau. Dann fragte er:
„Wann könntet ihr euch denn losmachen? Wir würden gerne noch in dieser Woche reisen.“
Saly antwortete rasch:
„Je eher, desto lieber. Muss ich doch baldmöglichst mit meiner Arbeit beginnen. Mehr Wissen über das Geschöpf Pferd kann nur von Vorteil sein. Ich hoffe sehen zu dürfen, wie es in Freiheit lebt, sich in der Natur bewegt, was es frisst, da draußen, wie es sich zur Familie stellt und ob man einen Unterschied zwischen der Gattung an sich und diesen gezähmten Reittieren hier erkennen kann.“
„Um ehrlich zu sein, ich hätte nicht gedacht, dass ihr euch als Künstler mit derartigen Recherchen, und dazu noch in solch aufwendigem Umfang, vorbereitet. Ihr seid ja wahrlich zum Naturforscher und Tierbeobachter geboren! Also, packt euren Skizzenblock und was ihr sonst noch so benötigt und lasst uns morgen aufbrechen! Habt ihr ein Reittier?“
Saly errötete.
„Ich, äh, kann gar nicht reiten.“
Dann fiel jedoch ein:
„Aber den Einspänner zu lenken, das habe ich in Paris gelernt. Von meinem Freund Poisson, nein Marigni...“
Etwas verwirrt fügte der Künstler hinzu:
„Vorher hieß er Poisson, als wir uns kennen lernten, er war Bauminister, müsst ihr wissen, in Versailles. Dann starb sein Onkel und er bekam dessen Titel...“
Versunken in die Erinnerungen wusste Saly gar nicht mehr recht, um was es eigentlich ging.
„Na gut, dann fahrt ihr eben mit dem Einspänner neben uns her. Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht bis morgen ein Gefährt mit einem lieben Gaul davor für euch auftreiben könnte!“
Im Atelier lag ein Brief aus Paris. Eigentlich waren es zwei in einer Kuverttasche. Der kürzere war von Abel de Marigny, der lange von Adoree. Um sich die Spannung und Freude zu erhalten, befasste sich Saly zunächst mit dem Schreiben seines Freundes. Dieser teilte ihm mit, dass er noch einmal die Vereinbarungen über Salys Einkünfte studiert habe. Die monatliche Apanage von einhundertfünfzig Kurant würde erst dann ausgezahlt, wenn die bildhauerische Arbeit offiziell aufgenommen worden sei. Um sofortige Zahlungen zu ermöglichen, müsse man darlegen, dass der Begriff der bildhauerischen Tätigkeit die notwendigen Vorbereitungen mit einbeziehe. Besichtigungen, Skizzen oder Recherchen gehören demnach de facto zum künstlerischen Akt an sich.
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