„Oh Scheiße!“ entfuhr es Richard dann doch, als er erkannte, dass der Aufprall nur wenige Meter von ihm entfernt erfolgen würde. Im selben Moment jedoch wurde er beinahe magisch von einem relativ kleinen, vorbeischießenden Wrackteil angezogen, weil aus seinem Inneren heraus ein starkes, tiefrotes Leuchten drang, auf das er starren musste, bis es hinter einer Gesteinsansammlung verschwand.
Nur eine Sekunde später traf der Rumpf des Jumbos fast mit seiner gesamten Grundfläche gleichzeitig, wie wenn man mit einer flachen Hand auf einen Tisch haute, derart wuchtig auf, dass der Boden ganz erbärmlich erzitterte.
Die Luft wurde unter dem Schiff hervor gepresst und jagte wie ein Orkan über die Ebene, holte Richard augenblicklich von den Füßen und katapultierte ihn mehrere Meter weit über einen großen Felsbrocken hinweg wieder zu Boden, wo er wuchtig aufschlug und Mühe hatte, bei Besinnung zu bleiben.
Dennoch war er sich sehr schnell bewusst, welches Glück er gehabt hatte, als nur wenige Augenblicke später die wohl größte Flammenfaust, die er je gesehen hatte, über den Felsen vor ihm hinweg strich und ihm Haare, Haut und Kleidung versenkte, bevor ihm zentnerweise Erde und Staub auf den Körper fielen, die die gewaltige Hitze von ihm nahmen und ihn seines Bewusstseins beraubten.
Es war wie ein Schlachtfeld.
Eine Schneise der Vernichtung.
Die vollständige Zerstörung eines stolzen Flugzeugs unter der unvorstellbaren Wucht eines gewaltigen Aufpralls.
Überall Brandherde, teilweise genährt von austretenden Gasen aus dem Inneren der Maschine, Explosionen, kleine, mittlere, ein Stakkato aus Detonationen, die die Luft nicht zur Ruhe kommen ließen, große, wuchtige, die die Konstruktion immer und immer wieder zerrissen, Wrackteile in den Himmel katapultierten, sie meilenweit verstreuten, bevor sie wie Torpedos wieder zu Boden schlugen und weiterhin Zerstörung verursachten.
Flammenherde, die die Umgebung zum Tag machten und den Blick auf die mächtige Staubwolke freigaben, die sich in den Himmel schob.
Die Umgebung erfüllt von einem tiefen, bedrohlichen Brummen, das die furchtbaren Nachwirkungen dieses gewaltigen Absturzes deutlich spürbar machten.
Der Boden vibrierte noch immer unter der unbändigen Wucht des Aufschlages, gab seine Schwingungen in die Tiefe ab, wo sie nur langsam im Erdinneren verhallten.
So blieb das Szenario für Minuten erhalten, nährte sich immer wieder selbst, bevor es an Intensität verlor und allmählich verstummte.
Doch nicht vollständig, denn als die großen Explosionen endeten und sich die Flammen senkten, war da wieder Bewegung.
Schnelle Bewegung. Hektisch und... lebendig!
Er lebte, soviel wusste er gerade noch.
Denn er spürte zum ersten Mal in seinem Leben wirklich alle Knochen in seinem Leib.
Und er musste eine irrsinnige Menge davon in sich haben, denn die Schmerzen, die sie aussendeten, waren absolut überwältigend, brachten ihn fast um die Besinnung.
Aber nur fast.
Denn da war noch immer die furchtbare, alles überschattende Frage, was zum Teufel nur passiert war, dass diese schreckliche Katastrophe ausgelöst hatte?
Und diese Frage trieb ihn an, ließ ihn nicht ruhen, obwohl sein Körper ganz eindeutig gegen jede Art von Bewegung rebellierte und tierische Schmerzen verursachte.
Doch diese Schmerzen nahm er gern in Kauf, denn neben der Frage nach dem Ursprung des Absturzes, empfand er es als großes Wunder, sich überhaupt bewegen zu können.
Bei all den gewaltigen, irrsinnigen Kräften jeglicher Art, die in den Momenten vor dem Aufschlag, aber ganz speziell danach, auf ihn und seinen Körper gewirkt hatten - haben mussten - wäre es nur mehr als verständlich gewesen, wenn er zerquetscht, zermatscht, zerstört in alle Winde verstreut worden wäre.
Aber ganz im Gegenteil: Je mehr er sich bewegte, desto schneller verschwanden seine Schmerzen und er musste überrascht feststellen, dass er diese Katastrophe bis auf einige Prellungen, Schürf- und Schnittwunden leichter Art beinahe unverletzt überstanden hatte.
Er erhob sich vollständig, versuchte sich in dem Halbdunkel zu orientieren.
Der Aufprall hatte ihn einige Meter aus der Maschine geschleudert.
Überall sah er die zerstörte Hülle des Jumbos, aus der Funken sprühten, Rauch stieg.
Sofort schaute er sich intensiv um, doch außer den lebendigen Flammen der Hölle konnte er kein Lebenszeichen, keine weitere Bewegung erkennen.
Doch das konnte nicht sein. Er hatte überlebt und er wusste nur zu genau, dass dies drei andere auch getan haben mussten.
Er musste sie finden, dann gemeinsam mit Ihnen den Koffer suchen, in dem sich ihre Hoffnungen, ihre Zukunft - ihr Leben - befand, um nach so unendlich langer Zeit endlich sicher zu sein, den Weg allen Irdischen gehen zu können.
Er begann zu laufen, sich von der Unglücksstelle zu entfernen, strebte einem kleinen Hügel entgegen, um von dort aus eine bessere Übersicht zu haben, wurde dabei hektischer, sein Atem ging stoßweise und schwer, er begann zu stöhnen.
Als er die Spitze des Hügels erreicht hatte, gaben seine Beine unter ihm nach und er krachte wuchtig gegen einen Felsbrocken.
Er schrie einmal schmerzhaft auf, atmete dann tief durch und drehte sich wieder in Richtung Absturzstelle.
Und erst jetzt, von dieser etwas erhöhten Position aus, konnte er das gesamte Ausmaß dieser furchtbaren Katastrophe überblicken, als er die völlig zerfetzten, lichterloh brennenden, erzitternden, berstenden, sterbenden Überreste des einst so stolzen Jumbos sehen konnte, wie er systematisch ausgelöscht wurde.
Und beinahe augenblicklich begann er zu weinen, weil er seine Ohnmacht ganz einfach nicht mehr unter Kontrolle bekam, wusste er doch, dass ihre Suche nach dem Leben ein zweites Mal unendlich vielen Umschuldigen den Tod gebracht hatte.
Er hörte die Geräusche einige Meter neben sich mehr zufällig, als er sich ein wenig beruhigt und sein Tränenfluss nachgelassen hatte.
Dann aber registrierte er sie sehr deutlich.
Und war sofort wieder ängstlich, denn er konnte sie nicht einordnen.
Schnell huschte er hinter den Felsbrocken, verharrte dort ohne Atem, aber totaler innerer Anspannung.
Die Geräusche kamen näher. Schleppende Geräusche, so als würde etwas Schweres über den Boden gezogen. Und...und Stimmen!
Er lauschte genauer. Da waren Geräusche wie Husten, Stöhnen, schweres Atmen und dieses schleppende Geräusch. Sie alle übertönten die Stimmen.
Und doch! Je näher sie kamen, desto deutlicher war es.
Schnell erhob er sich, lief den Hügel wieder herunter und konnte kaum glauben, was er sah.
„Jonathan...!“ schoss es aus seinem Munde hervor.
Die beiden stehenden Gestalten hielten abrupt und ziemlich entsetzt in ihrer Bewegung inne. „...Marcus!“ Erst jetzt erkannte er die dritte Gestalt am Boden. Blutüberströmt. Leblos. Es war Carlos.
„Es hat ihn schwer erwischt!“ antwortete Marcus. Sein Blick war tieftraurig, erschöpft, erschlagen.
„Oh, Jonathan, was ist nur passiert?“ Er ging auf seine Freunde zu, die allesamt älter aussahen, als er.
„Ich weiß es nicht Max!“ Jonathan sank zu Boden, seine erschöpften Beine knickten einfach unter ihm weg. „Ich weiß es nicht!“
„Wir hatten es von Anfang an gewusst. Der Kristall war viel zu lange verschollen. Es musste etwas an ihm dran sein. Und unser Interesse war wohl zu offensichtlich. Dass erzeugte Gier. Und Gier macht blind. Wir hätten uns niemals auf diesen Flug einlassen dürfen!“ führte Jonathan weiter aus, während er sich um Carlos kümmerte. „Aber wer konnte denn schon ahnen, dass die Übergabe über den Wolken stattfinden sollte?“ Er zog seine Jacke aus und legte sie Carlos unter den Kopf. „Wir hatten nicht die geringste Chance!“
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