Hallo Stella!
Jemand hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht. Klicke jetzt hier und sieh nach, wer dein Freund sein möchte.
Herzliche Grüße,
dein Friendsbook-Team
Die Ampel vor mir ist noch nicht auf grün umgesprungen, so folge ich mit einer dunklen Vorahnung dem angegebenen Link. Schon öffnet sich die entsprechende Internetseite auf meinem Handydisplay. Meine vagen Befürchtungen bestätigen sich. Gleich zwei Mitteilungen erwarten mich.
Felix S. hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht!
und
Felix S. hat dir eine Nachricht geschickt!
Hinter mir ertönt ein wütendes Hupen. Mist, es ist grün. Schnell werfe ich das Handy zurück in die Tasche und fahre an, allerdings nur, bis ich die Kreuzung überquert habe. Bei der erstbesten Möglichkeit fahre ich rechts heran und ziehe mein Telefon mit rasendem Herzen wieder hervor. Ich muss wissen, was mein aktueller Bürofeind Nummer eins mir geschrieben hat. Jetzt sofort. Ich rufe die zweite Mitteilung auf und lese:
Vielleicht haben Sie in Zukunft Zeit, sich ein bisschen öfter in Online-Communitys herumzutreiben. ;-)
Ein ungläubiges Keuchen entschlüpft mir. Hat der sie noch alle? Eine dermaßen plumpe Anspielung hätte ich nicht einmal ihm zugetraut. Was soll das darstellen? Hat ihn sein Onkel wegen meines spitzen Kommentars vorhin in die Mangel genommen und dies ist seine Rache, indem er mich daran erinnert, wie viel Freizeit ich dank ihm in nächster Zeit haben werde? Und dann dieser neckische Zwinkersmiley. Als wären wir ganz dicke miteinander. Sorry, Felix S., solche Freunde brauche ich nicht! Umgehend öffne ich die zweite Mitteilung.
Felix S. hat dir einen Freundschaftsantrag gemacht. Möchtest du ihn annehmen?
Ich zögere nicht einmal eine Sekunde, bevor ich auf den leuchtend roten Auswahlbutton klicke.
Danke, ich verzichte!
Artikel 3 - Familie und andere Katastrophen
Das Hähnchen-Piccata schmeckt köstlich. Wenigstens auf Bens Kochkünste ist Verlass, wenn man schon nicht mehr darauf bauen kann, dass gute Arbeit belohnt wird. Seit den schockierenden Neuigkeiten am Nachmittag bin ich hin- und hergerissen zwischen meinen Hassgedanken gegenüber meines Vorgesetzten und seiner rechten Hand und einem gewissen Trotzgefühl, hervorgerufen durch mein Vorhaben, mich nicht kleinkriegen zu lassen. Immerhin ist es mir bis jetzt erfolgreich gelungen, meine Freunde nicht damit zu behelligen. Irgendetwas sagt mir, dass sie nicht allzu viel Verständnis für meine derzeitige Lage aufbringen würden. Überhaupt ist die Stimmung bei Weitem nicht so unbeschwert, wie ich es von unseren Treffen gewohnt bin. Luna und Matthias haben bisher kaum ein Wort miteinander gewechselt, was vermuten lässt, dass sie vor ihrer Ankunft eine kleine (oder auch größere) Auseinandersetzung hatten. Ben ist ebenfalls ungewöhnlich still, und ich muss mich bemühen, mich auf das eher schwerfällige Gespräch zu konzentrieren. Schließlich gebe ich mir einen Ruck und vertreibe die düsteren Gedankenwolken aus meinem Kopf.
„Das Essen ist echt super.“ Fröhlich strahle ich Ben an. „Ich schätze, du hast das Zeug zum neuen Tim Mälzer.“
„Meinst du?“, fragt er skeptisch. „So wie du das arme Hähnchen malträtierst, sieht es nämlich nicht so aus, als hättest du große Freude daran.“
Ich mustere meinen Teller. Tatsächlich habe ich ein ziemliches Gemetzel veranstaltet. Vor lauter Grübelei über den zurückliegenden Arbeitstag habe ich mehr Zeit damit verbracht, Gebrauch von meinem Besteck zu machen, als Essen in meinen Magen zu befördern.
„Doch, doch, es ist fantastisch“, versichere ich ihm. „Ich bin nur … ich war bloß etwas in Gedanken.“
„Was du nicht sagst.“
„Was ist denn los?“, erkundigt sich Luna mit halbherzigem Interesse.
„Nichts. Überhaupt nichts“, schwindele ich.
Ben verdreht stöhnend die Augen. „Wenn eine Frau sagt, es ist nichts, dann ist definitiv was.“
„Quatsch“, behaupte ich unwirsch. Matthias gibt ein unterdrücktes Schnauben von sich.
„Was hat er diesmal angestellt?“, fragt Ben gedehnt.
„Wen meinst du?“, gebe ich mich begriffsstutzig.
„Wen soll ich schon meinen? Diesen Süßherr.“
„Süß kind “, korrigiere ich ihn.
„Wie auch immer.“
Kurz hadere ich mit mir. Einerseits würde ich mir meinen Frust gern von der Seele reden, andererseits möchte ich nicht wieder egozentrisch wirken und den anderen mit meinen Problemen auf die Nerven fallen.
„Ach, ist doch egal“, behaupte ich deshalb.
„Jetzt erzähl schon“, fordert Ben mich seufzend auf. „Das Massaker, das du da vor lauter schlechter Laune veranstaltet hast, ist ja nicht mit anzusehen.“ Erneut nickt er in Richtung des inzwischen wenig appetitlichen Anblick meines Essens.
„Okay“, gebe ich mich geschlagen. In gekürzter Fassung berichte ich ihnen von den Vorkommnissen am Nachmittag. „Im Grunde also nichts Neues“, ende ich. „Er plant die feindliche Übernahme, und sich Mandate unter den Nagel zu reißen, die eigentlich für mich bestimmt sind, ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu seinem Ziel.“
„Darf er das denn überhaupt?“, will Luna wissen. „Dir deine Mandate wegnehmen, meine ich.“
„Er nimmt sie mir ja nicht direkt weg. Ich soll bloß keine neuen mehr annehmen. Dagegen kann ich nichts machen. Zumal ich im Moment wirklich kaum Zeit für sehr viel mehr Fälle hätte. Das haben sie schon geschickt angeleiert, die zwei.“
„Trotzdem. Ich finde, das grenzt an Mobbing. Die wollen dich doch mürbe machen, damit du von selbst den Platz räumst“, sagt Ben mit düsterem Blick. Seine Sorge, ich könne in der Kanzlei tyrannisiert werden, rührt mich.
„Das sollen sie mal versuchen. So schnell kriegen sie mich nicht weich. Außerdem wären sie schön dumm, wenn sie mich mit schmutzigen Tricks loswerden wollten. Yildiz' Spezialgebiet ist Arbeitsrecht. Die würde die beiden zur Not bis zum Bundesarbeitsgericht zerren.“
„Gut zu wissen. Hauptsache, du lässt dich nicht unterkriegen.“ Gottlob löst sein weiches Lächeln diesmal keine verstörenden Gedanken oder merkwürdigen Körperreaktionen bei mir aus. Auch bei unserem Kinobesuch letzte Woche hatte ich zum Glück keinerlei Bedürfnisse, in der Dunkelheit des Kinosaals über ihn herzufallen und mit ihm in wildes Knutschen zu verfallen. Mein Herzklopfen bei seiner Berührung neulich auf dem Nachhauseweg war also wirklich nur dem leicht übermäßigen Alkoholgenuss zuzuschreiben.
„Ich doch nicht! Aber jetzt erzähl du mal“, bitte ich, weil ich das Gespräch endlich auf etwas Erfreuliches lenken möchte. „Was gibt es Neues in Sachen Restaurant?“
Ben lacht verlegen. „Tja, um ehrlich zu sein, hatte ich euch deshalb eingeladen. Ich wollte mit euch anstoßen. Heute Mittag habe ich den Mietvertrag unterschrieben!“
Unwillkürlich stoße ich einen kleinen Freudenschrei aus. Luna entfährt ein ungläubiges „Echt jetzt?“. Nur Matthias beschränkt sich darauf, verblüfft die Augenbrauen hochzuziehen.
Ben grinst schief. „Ich kann es auch noch nicht ganz fassen. Aber ich hab's wirklich getan. Bald heißt es Mensa ade. Die richtige Küche hat mich wieder.“
„Herzlichen Glückwunsch!“, jubele ich und umarme ihn.
„Von mir auch!“, strahlt Luna. „Wo ist es denn? Und, viel wichtiger, wann ist die Eröffnung?“
„Immer mit der Ruhe“, lacht unser frischgebackener Restaurantbesitzer. „Das dauert noch. Der Laden ist ganz in der Nähe eurer Kanzlei, Stella“, erklärt er. „Unten am Markplatz. Ich hatte ein Wahnsinnsglück. Da ist vor Kurzem ein Restaurant ausgezogen, das heißt, die Küche ist schon komplett drin. Ich muss nur renovieren, mich um den Behördenkram kümmern und natürlich Leute einstellen. Einen Spitzenkoch habe ich schon. David hat mich gefragt, ob er bei mir anfangen kann!“ David ist Bens bester Freund. Die beiden haben zusammen ihre Ausbildung gemacht, doch auch er hat sich im Anschluss schwer damit getan, eine gute Anstellung zu bekommen. Von Ben weiß ich, dass er sich damit durchschlägt, in Pizzerien oder Imbissbuden zu jobben. Mit Ben zusammen in einem eigenen Lokal zu arbeiten muss die langersehnte Erlösung für ihn sein.
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