Ist das zu glauben? Mir hält er eine Standpauke wegen angeblicher Respektlosigkeit, dabei ist er derjenige, der mich von früh bis spät mit Herablassung behandelt. Und so jemandem will etwas an einem gutem Betriebsklima liegen? Selten so gelacht! Weil selbst mir bei so viel himmelschreiender Ungerechtigkeit die Worte fehlen, bleibt mir nichts anderes übrig, als seiner Anweisung zu folgen und sein Büro zu verlassen.
„Ach, und wegen dieser Friendsbook -Sache“, sagt er hinter mir, als ich schon fast hinaus bin.
„Ja?“
„Falls Sie sich da irgendwie benachteiligt fühlen … Ich kann Ihnen gerne auch einen Freundschaftsantrag schicken.“
„Das wird nicht nötig sein“, zische ich. „Ich habe genug Freunde. Und zwar echte!“
„Freut mich für Sie“, ist das Letzte, was ich von ihm höre, bevor ich die Tür auf möglicherweise nicht ganz so respektvolle Art scheppernd hinter mir zuschlage.
„Was erwartet er denn von mir? Dass ich winselnd den Schwanz einziehe, wenn er solche Reden schwingt? Oder sollte das eine versteckte Drohung sein, dass sein Onkel mich rauswirft, wenn ich nicht kusche? Weißt du, erst redet er andauernd von Kollegialität, und dann lässt er den großen Chef heraushängen. Das ist doch total inkonsequent!“ Aufgebracht fuchtele ich mit meinem Messer in der Luft herum.
Ben und ich sitzen in unserem Lieblingsrestaurant, wo man donnerstags alle Pizzen für einen Spottpreis bekommt. Mindestens einmal pro Monat nutzen wir dieses unwiderstehliche Angebot aus, und heute kommt es mir besonders gelegen. Frust lässt sich ja bekanntlich am besten mit Essen kompensieren. Bis jetzt hat mein bester Freund meinen Litaneien über Felix Süßkind geduldig gelauscht. Nun wirkt er leicht genervt.
„Kennst du eigentlich auch noch ein anderes Gesprächsthema?“
„Was?“
Seufzend legt er sein Besteck nieder. Natürlich ist er mit seiner Riesenpizza längst fertig, wogegen ich von meiner kleinen nicht einmal die Hälfte geschafft habe. Könnte daran liegen, dass ich vor lauter Reden kaum zum Essen gekommen bin.
„Seit er bei euch angefangen hat, redest du ständig von ihm. Stehst du auf den, oder was?“
Fast rutscht mir das Stück Artischocke, das ich mir gerade in den Mund geschoben habe, in den falschen Hals. Hastig kaue ich und schlucke es herunter. „Bist du bescheuert?“, fauche ich. „Hast du mir überhaupt zugehört??“
„Schon. Aber so leidenschaftlich, wie du dich über ihn aufregst, könnte man meinen, du wärst scharf auf ihn.“
„Ja. Scharf darauf, ihm den Hals umzudrehen. Abgesehen davon bin ich mit Männern durch. Weißt du doch.“
Ben schüttelt resigniert den Kopf. „Das werde ich nie verstehen. Wir sind nicht alle fiese, von niederen Trieben gesteuerte, betrügerische Herzensbrecher, weißt du?“
„Ach, nicht?“, frage ich nur halb im Scherz. Meiner Erfahrung nach sind Männer nämlich genau das. Nicht nur in der Kanzlei begegne ich beinahe täglich verlassenen, betrogenen und hintergangen Ehefrauen. Meine eigene Vergangenheit hat mich auch nicht gerade eines Besseren belehrt. Zugegeben, ich war in meinem Leben nicht mit vielen Männern zusammen. Aber die wenigen, mit denen ich es versucht habe, haben mir den endgültigen Beweis erbracht, dass es nichts außer Verderben bringt, sich auf das andere Geschlecht einzulassen.
„Mich magst du doch auch“, wendet er ein. „Oder ist das nur vorgetäuscht, damit du dich regelmäßig von mir bekochen lassen kannst?“
„Verdammt, du hast mich durchschaut“, spaße ich. „Nein, Quatsch. Bei dir ist es was anderes. Du bist wie ein Bruder für mich.“
Er zieht eine Grimasse. „Autsch.“
„Komm schon“, lache ich. „Du willst doch nichts von mir.“
„Stimmt. Außer das Eine“, grinst er.
„Da hast du's. Ihr seid alle gleich!“
„In der Hinsicht könntest du recht haben.“
Ich rolle mit den Augen.
„Im Ernst, ich begreife nicht, wie du das aushältst“, meint er. „Fehlt dir der Sex denn nicht?“
„Nicht wirklich. Außerdem braucht man nicht unbedingt einen Partner dazu“, sage ich. Dummerweise laufe ich dabei rosa an, was mich wohl eher wie ein pubertierendes Mädchen als eine selbstbewusste, erwachsene Frau wirken lässt.
Ben grinst breit. „Du bist gar nicht so prüde, wie man denken könnte, mein Herz.“
„Ich bin kein bisschen prüde“, stelle ich klar. „Können wir jetzt das Thema wechseln?“
„Gern. Interessiert es dich zur Abwechslung mal, was es in meinem Leben so Neues gibt?“
Reumütig verziehe ich das Gesicht. Mich beschleicht das dumme Gefühl, mich in letzter Zeit tatsächlich ein wenig zu oft in den Mittelpunkt gedrängt zu haben. Luna hat meine dauernden Nörgeleien über den Ärger in der Kanzlei schließlich auch schon moniert. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich mich vielleicht wirklich in etwas verrannt habe.
„Ich bin eine schreckliche Freundin, oder?“, frage ich zerknirscht.
„Schrecklich ist untertrieben“, zieht er mich auf.
„Tut mir leid! Los, erzähl! Hast du die Frau fürs Leben gefunden?“
„Nee, schön wär's“, lacht er. „Aber ich hab was anderes gefunden. Das ist mindestens genauso gut.“
„Jaaa?“, dränge ich, als er absichtlich eine bedeutungschwangere Pause einlegt. Dann kann er sich nicht länger zurückhalten und beginnt zu strahlen.
„Ich habe ein passendes Ladenlokal aufgetrieben! Für das Restaurant. Wenn alles gutgeht, kann ich nächste Woche den Mietvertrag unterschreiben.“
„Ist das dein Ernst?“, kreische ich begeistert. Das Pärchen an unserem Nebentisch dreht neugierig die Köpfe zu uns. Schnell halte ich mir die Hand vor den Mund, um mein hysterisches Kichern zu dämpfen. „Wieso hast du das nicht früher erzählt?“
„Du hast mich ja nicht zu Wort kommen lassen.“
„Ben, ich freue mich so für dich! Du hast es wirklich geschafft.“
„Noch ist nichts in trockenen Tüchern“, drosselt er meine Euphorie. Dabei kann er selbst nur schwer seine freudige Erregung verbergen. „Auch wenn es klappt, kommt ein Haufen Arbeit auf mich zu. Ich muss renovieren, Mitarbeiter finden, mich um die Ausschankgenehmigung und den Gewerbeschein kümmern und all das …“ Ein wenig verlegen zuckt er mit der Schulter. „Ehrlich gesagt, habe ich ganz schön Schiss.“
„Das ist doch ganz normal. Wer hätte das nicht bei so einem großen Schritt? Du schaffst das schon, da bin ich mir ganz sicher. Und wenn du juristische Hilfe brauchst, ich habe zufällig ganz gute Kontakte in die Branche“, zwinkere ich.
„Danke. Darauf werde ich vielleicht zurückkommen.“
„Kein Problem. Hast du denn schon gekündigt?“
„Nein, das wäre zu früh. Aber glaub mir, ich werde langsam verrückt in dem Laden. Soll ich dir erzählen, wie wir das Gulasch gestern zubereitet haben?“
„Lieber nicht.“
„Du willst es auch gar nicht wissen“, sagt er grimmig. „Was die da machen, ist kein Kochen. Das ist Vergewaltigung von Lebensmitteln!“
„Bald hast du es hinter dir“, tröste ich.
„Hoffentlich.“
„Ich glaube an dich“, lächele ich ihn an, und wie er mich so ansieht, mit seinen warmen, braunen Augen, habe ich einen Augenblick lang das irrwitzige Bedürfnis, meine Hand auf seine Wange zu legen und die kleinen Sorgenfalten auf seiner Stirn mit dem Daumen glattzustreichen. Erschrocken von meinen Gedanken zucke ich leicht zusammen und merke, wie meine Wangen heiß werden.
„Was ist?“, fragt Ben, dem meine merkwürdige Reaktion nicht entgangen ist.
„Nichts“, sage ich schnell „Wollen wir was zum Anstoßen bestellen?“
„Ich weiß nicht. Bringt das nicht Unglück? Lass uns lieber damit warten, bis alles sicher ist.“
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