Sebastian Blumenthal
Rettungsversuch eines havarierten Lebens
Roman
Arschloch mit Herz
Copyright: © 2017 Sebastian Blumenthal
E-Book-Erstellung: Erik Kinting / www.buchlektorat.netCovergestaltung: Erik Kinting
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Ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Prolog Prolog Die junge Frau blieb stumm und deutete mit dem Finger in Richtung der Treppe, als der hagere Mann in der roten Jacke erneut nach dem Weg zum Zimmer fragte. Höflichkeit war das erste Gebot in ihrem Beruf, doch die plötzliche Hektik zerrte ihre guten Manieren wie ein reißendes Gewässer mit sich. Nur eine halbe Stunde zuvor hatte sie der Mittagschicht »einen schönen Abend« gewünscht und wollte wie an jedem Abend im Schutz der einkehrenden Ruhe die Buchungslisten prüfen. Das Abhaken von Listen, die Organisation des Frühstücks, das Nachbestellen unterschiedlichster Verbrauchsartikel und die vielen anderen Tätigkeiten, die sich nach einem verbindlichen Schema verrichten ließen, waren der Grund, weshalb sie die Arbeit im Hotel so sehr schätzte. Und natürlich auch der Umgang mit den Gästen. Zumindest mit den Meisten von ihnen. Nur wenige Monate zuvor hatte sie noch aufgeregt in der Abschlussprüfung gesessen und war Landesbeste geworden, aber das Überraschungsmoment ließ die eingeübte Routine erlahmen und machte alles bisher Gelernte zunichte. Vor dem Hoteleingang lockte das umherschwirrende Blaulicht des leerstehenden Rettungswagens erste Gaffer in seinen Bann. Auch die ältere Dame auf der gegenüberliegenden Straßenseite war jetzt stehen geblieben und reckte ihren Kopf wie ein diensthabendes Erdmännchen in die Höhe, um am Horizont nach Feinden Ausschau zu halten. Dem Hund am Ende ihrer Leine kam es nur gelegen – endlich war es ihm vergönnt, seinem Trieb zu folgen und ausgiebig an der aus dem Boden ragenden Metallstange zu schnuppern. Das laute Poltern im Hotelflur und ein kurzer, hektischer Wortwechsel lockte einen Gast hervor. Durch einen schmalen Türspalt hindurch beobachtete er die junge, ungewöhnlich blasse Rezeptionistin, die vor einer weit geöffneten Tür stand und nervös an ihren Nägeln kaute. »Hallo?! Können Sie mich hören?!«, schallte eine feste Stimme aus dem gegenüberliegen Zimmer in den Flur. Weil der neugierige Gast zurückgeschreckt war, hatte er den entscheidenden Moment verpasst und konnte nicht erkennen, wer mit schnellen Schritten herausgetragen wurde. Die Gaffer vor dem Haus hatten mehr Glück. Ihr Durchhaltevermögen zahlte sich in Form eines ausgiebigen Blickes zum erschlafften Körper auf der Trage aus. »Zumindest haben diese Idioten nicht den Weg verstellt«, murmelte der müde Rettungsassistent grimmig, als er mit quietschenden Reifen davonraste. In dem kleinen Küstenort, in dem es kurz vor Beginn der Urlaubssaison meist ohnehin nicht viel zu berichten gab, war der Vorfall eine Meldung im Lokalteil der Zeitung wert.
1. Sonnenaufgang
2. Raketen
3. Verkehrsnachrichten
4. Führerbunker
5. Maisfelder
6. Nachtruhe
7. Columbo
8. Gulaschsuppe
9. Wintereinbruch
10. Primaten
11. Schlick und Wind
12. Rumänien
13. Gauß
14. Kriegsreporter
15. Verischor
16. Delfine
17. Pärchen
18. Sonnenuntergang
19. Stand der Dinge
Die junge Frau blieb stumm und deutete mit dem Finger in Richtung der Treppe, als der hagere Mann in der roten Jacke erneut nach dem Weg zum Zimmer fragte. Höflichkeit war das erste Gebot in ihrem Beruf, doch die plötzliche Hektik zerrte ihre guten Manieren wie ein reißendes Gewässer mit sich.
Nur eine halbe Stunde zuvor hatte sie der Mittagschicht »einen schönen Abend« gewünscht und wollte wie an jedem Abend im Schutz der einkehrenden Ruhe die Buchungslisten prüfen. Das Abhaken von Listen, die Organisation des Frühstücks, das Nachbestellen unterschiedlichster Verbrauchsartikel und die vielen anderen Tätigkeiten, die sich nach einem verbindlichen Schema verrichten ließen, waren der Grund, weshalb sie die Arbeit im Hotel so sehr schätzte. Und natürlich auch der Umgang mit den Gästen. Zumindest mit den Meisten von ihnen. Nur wenige Monate zuvor hatte sie noch aufgeregt in der Abschlussprüfung gesessen und war Landesbeste geworden, aber das Überraschungsmoment ließ die eingeübte Routine erlahmen und machte alles bisher Gelernte zunichte.
Vor dem Hoteleingang lockte das umherschwirrende Blaulicht des leerstehenden Rettungswagens erste Gaffer in seinen Bann. Auch die ältere Dame auf der gegenüberliegenden Straßenseite war jetzt stehen geblieben und reckte ihren Kopf wie ein diensthabendes Erdmännchen in die Höhe, um am Horizont nach Feinden Ausschau zu halten. Dem Hund am Ende ihrer Leine kam es nur gelegen – endlich war es ihm vergönnt, seinem Trieb zu folgen und ausgiebig an der aus dem Boden ragenden Metallstange zu schnuppern.
Das laute Poltern im Hotelflur und ein kurzer, hektischer Wortwechsel lockte einen Gast hervor. Durch einen schmalen Türspalt hindurch beobachtete er die junge, ungewöhnlich blasse Rezeptionistin, die vor einer weit geöffneten Tür stand und nervös an ihren Nägeln kaute.
»Hallo?! Können Sie mich hören?!«, schallte eine feste Stimme aus dem gegenüberliegen Zimmer in den Flur. Weil der neugierige Gast zurückgeschreckt war, hatte er den entscheidenden Moment verpasst und konnte nicht erkennen, wer mit schnellen Schritten herausgetragen wurde. Die Gaffer vor dem Haus hatten mehr Glück. Ihr Durchhaltevermögen zahlte sich in Form eines ausgiebigen Blickes zum erschlafften Körper auf der Trage aus.
»Zumindest haben diese Idioten nicht den Weg verstellt«, murmelte der müde Rettungsassistent grimmig, als er mit quietschenden Reifen davonraste. In dem kleinen Küstenort, in dem es kurz vor Beginn der Urlaubssaison meist ohnehin nicht viel zu berichten gab, war der Vorfall eine Meldung im Lokalteil der Zeitung wert.
Meine Wimpern sind verklebt, das Blickfeld verengt und zu den Rändern hin verschwommen. Während der Nacht ist mir zäher Speichel aus dem Maul geronnen und hat seine klammen Spuren auf dem Kissenbezug hinterlassen. Ich sollte Dr. Frauner fragen, ob er mir etwas verschreibt, das mich am Morgen aufputscht. Er ist ja sonst auch nicht zimperlich mit dem Rezeptblock.
Ich muss mich zusammenreißen. Aufstehen, die Balance halten und inständig darauf hoffen, dass meine blassen, zitternden Beine die ihnen aufgezwungene Bürde tragen. Verdammter Scheißkörper! Aber was rege ich mich überhaupt auf und zerbreche mir den Kopf? Der Tag hat noch nicht einmal begonnen, und ich bin gezwungen, mir meine bescheidenen Kraftvorräte einzuteilen, sonst klappe ich womöglich schon am Mittag zusammen. Keine große Überraschung, dass ich spät dran bin, schon wieder. Wenn der Alte von meiner Verspätung Wind bekommt, wird er mich vor versammelter Mannschaft zur Sau machen, und die hochverehrten Kolleginnen und Kollegen werden sich nicht einmal die Mühe machen, ihre Schadenfreude auch nur ansatzweise zu verbergen. Diese dummen Schweine! Glauben die denn, dass irgendein Mensch auf der Welt morgens aufsteht und denkt, »Hey, schaut her! Heute werde ich nur so zum Spaß auf ganzer Linie versagen und mich mit voller Absicht in eine unvorteilhafte Lage bringen«? Aber das spielt offensichtlich keine Rolle, solange es was zu glotzen gibt, das von den eigenen Unzulänglichkeiten ablenkt.
Ausgezeichnet, die protzige Karre vom Alten steht noch nicht auf dem für ihn reservierten Parkplatz. So wie es aussieht, gibt es heute keine Showeinlage. Zumindest keine, die auf meine Kosten geht. Wenn ich mich geschickt anstelle, kann ich noch schnell die Arbeitsblätter kopieren, ohne einem der anderen »Leerkörper« zu begegnen.
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