Warum ist mir so verdammt heiß? Und dieser unerträgliche Durst erst. Woher kommen diese spitzen Nadeln aus grellem Licht, die mir die Augen perforieren und einen stechenden Schmerze hinterlassen? Nur langsam gewöhne ich mich an die durchringende Helligkeit und erkenne, dass ich nicht in meiner Wanne, sondern in einem fremden Bett liege. Ich bin an diverse Apparate angeschlossen und aus meinen Handrücken ragt eine rosafarbene Kanüle, über die eine klare Flüssigkeit in meine Venen geschleust wird. Endlich gelingt es mir, meinen Kopf zu drehen, und ich entdecke einen ergrauten, auf dem Rücken liegenden Mann, der irgendetwas murmelt und dabei Löcher in die Luft zu starren scheint. Das leise Rascheln meines Kissens ist ihm nicht entgangen, und als ich den Versuch unternehme, mich mit schmerzverzerrter Miene aufzurichten, wuchtet er sich überraschend agil vom Rücken auf die Seite. Sofort geht er dazu über, mich neugierig zu mustern. Seine buschigen weit hervortretenden Brauen wirken wie ein Balkon aus drahtigem Haar, der über seinen milchig trüben Augen thront.
»Moin, ich bin der Hermann! Warst ja ganz schön lange weggetreten, mein Guter«, ruft er mir gut gelaunt zu. Seine laute Stimme bohrt sich wie ein Messer in meinen Gehörgang.
»Könntest du bitte etwas leiser sprechen? Ich habe schlimme Kopfschmerzen«, klage ich heiser und erschrecke mich über meine kraftlose Stimme.
»Aber klar doch!«, brüllt er in gleichbleibender Lautstärke.
»Bei mir ist es die Pumpe, die will nicht mehr so richtig«, ruft er mir zu und deutet mit flacher Hand auf seine Brust, »aber ich hab ja auch fast mein ganzes Leben lang geraucht wie ein Schlot, und beim Schnaps hab ich auch ordentlich zugelangt. Tja, Pech, aber was will man schon mit Ende sechzig verlangen? So ein geschundener Körper hält nicht ewig, wa?«, fragt er mit weit aufgerissenen Augen.
Ich habe den Eindruck, dass sein Mund sich nicht synchron zu den Worten, die seine Lippen verlassen, bewegt. Das Ganze erinnert mich an eine dieser schlecht synchronisierten Verkaufssendungen, wo zu später Stunde Gemüsehobel aus Plastik verscherbelt werden. Leider ist es mir nicht möglich, umzuschalten oder zumindest den Ton abzudrehen.
»Wärst du so nett und könntest eine Schwester oder einen Arzt holen? Ich möchte etwas trinken, ich habe schrecklichen Durst«, winsle ich mit letzter Kraft.
»Sicher, Junge. Ist doch Ehrensache! Sag mal, wie heißt du eigentlich?«
»Nico. Könntest du jetzt bitte irgendwem Bescheid geben? Bitte!«
Endlich erbarmt er sich und lässt seine zitternde Hand auf einen roten Knopf am Nachttisch zusteuern.
»Ja, Schwester Lydia hier«, knarrt es aus dem Tisch.
»Hier ist der Hermann aus Zimmer 205, der Nico ist jetzt wach und lässt fragen, ob er was zu trinken haben kann. Und wenn sie schon dabei sind, bringen sie mir ein Herrengedeck und eine schöne Zigarre mit.«
Die Frau aus dem Lautsprecher antwortet nicht, und Hermann zwinkert mir sichtlich amüsiert zu, verzieht dabei sein faltenschlagendes Gesicht und lässt seine buschigen Brauen beben. Nur wenige Augenblicke später betritt eine Schwester schnellen Schrittes das kleine Zimmer. Sie kommt direkt auf mich zu und beugt sich über mich, um mich wie einen leblosen Gegenstand aus der Nähe zu begutachten. Es ist Schwester Lydia, wie ihr Namensschild verrät. Ängstlich kneife ich meine Augen zusammen, weil die üppigen Brüste ihren Kittel wie eine zum Abschuss präparierte Bogensehne spannen und ich fürchte, dass sich unter dem großen Druck einer der Knöpfe löst, und mir den Glaskörper zertrümmert. Als hätte ich nicht schon genug gelitten.
»Ach, der Herr Tannenberger«, sagt sie mit auffällig osteuropäischem Akzent, während sie endlich Abstand von mir nimmt.
»Willkommen zurück. Sie möchten etwas zu trinken?«
»Ja, bitte.«
»Das geht leider nicht. Anordnung vom Arzt. Er kommt aber noch zur Visite, wir können ihn dann fragen. Solange müssen wir noch warten«, ordnet sie leicht überheblich an.
Großartig! Wir müssen warten. Wenn ich diesen Schwachsinn schon nur höre. Diese geheuchelte Verbrüderung, als ob sie mit mir leiden würde. Und zu allem Überfluss darf ich hier halb vertrocknet neben dem ach so witzigen Spaßvogel Hermann liegen und hoffen, dass eine höhere Instanz endlich entscheidet, ob ich was trinken darf. Mit einem müden, aufgesetzten Lächeln dreht sich Schwester Lydia zu Hermann herüber, und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich ihr vorhin auch nicht für nur eine Sekunde ins Gesicht geschaut habe. Eine auffällig knollige Nase wie bei einer Zeichentrickfigur von Loriot entspringt ihrem kreisrunden Gesicht, und auf ihrem Kopf sprießt eine Dauerwelle, die bestenfalls vor mehreren Jahrzehnten hinterm Eisernen Vorhang modern war. Ich glaube mich zu erinnern, dass David Hasselhoff die gleiche Frisur getragen hat, als er mit Looking for Freedom die deutsche Wiedervereinigung herbeigesungen hat.
»Und Herr Rauner, das mit dem Herrengedeck und der Zigarre wird leider nichts, und wenn sonst nichts ist, werde ich jetzt wieder gehen. Die anderen Patienten haben ja schließlich auch das Recht, versorgt zu werden. Nicht wahr, Herr Rauner?«, fragt sie belehrend und kehrt uns, ohne eine Antwort abzuwarten, ihren Rücken zu. Nur Sekunden später hat sie das kleine Zimmer bereits wieder verlassen. Hermann guckt schelmisch wie ein kleiner Schuljunge zu mir rüber, während er die großen Brüste von Schwester Lydia mit seinen Händen in der Luft nachzeichnet.
»Das sind zwei Raketen, wa, Nico?! Da könnt ich mich reinlegen. Ich wette, dann wäre ich im Nu wieder auf dem Damm, aber sowas zahlen die Kassen ja nicht.«
»Sei mir bitte nicht böse, Hermann, aber ich versuche jetzt noch etwas zu schlafen«, antworte ich resigniert und drehe meinen Kopf zu Seite, um ihn nicht mehr anblicken zu müssen. Mein Zeitgefühl verschwimmt, mein Durst wird unerträglich. Immer wieder nicke ich ein und sehe mich in einem kühlen, glasklaren See ertrinken. Eigentlich müsste ich in Panik geraten, aber seltsamerweise bleibe ich gelassen und genieße die kühlen Wassermassen, die unablässig meine ausgetrocknete Mundhöhle fluten. Wie ein Stein sinke ich in bodenlose Tiefen und inhaliere das klare Nass, als ob ich meine Lungen gegen Kiemen eingetauscht hätte. Erst ein unerwartetes Seebeben lässt mich aufschrecken und schlagartig erwachen. Hermann steht im weiß-blau gestreiften Schlafanzug neben meinem Bett und schüttelt grob an meinen Schultern.
»Mensch, Nico, jetzt wach mal endlich auf. Hast doch jetzt genug gepennt. Die Visite müsste gleich kommen, die willst du doch nicht verpassen, wa?«
Ich nicke benommen und Hermann lässt schlurft endlich in sein Bett zurück. Es sieht beinahe so aus, als würde er mit seinen Filzpantoffeln das graue Linoleum bügeln. Ich bin überrascht, wie klein Hermann ist, jetzt wo ich ihn aufrecht stehen sehe, höchstens ein Meter fünfzig. Tatsächlich, der kleine Mann soll Recht behalten. Er hat sich gerade erst zugedeckt, als ein hektisches Rudel mit wehenden, hell strahlenden Kitteln die Bühne betritt. Im Zentrum der Traube gibt sich der Leitwolf zu erkennen. Er macht die Ansagen, und alles, was er sagt, wird von den umherstehenden Lakaien eifrig notiert. Die Stunde der Wahrheit. Ob mir das Recht zu trinken eingeräumt wird?
»Ah ja, der Herr … Herr …«, murmelt er nachdenklich.
»Tannenberger!«, springt Schwester Lydia ihm zur Seite.
»Ja, richtig. Tann-en-ber-ger.« wiederholt er mit in Falten liegender Stirn, ohne seinen prüfenden Blick vom Klemmbrett in seinen Händen zu wenden.
»Mein Name ist Dr. Reufer. Nun Herr Tannenberger, wie fühlen Sie sich?«
Er stellt die Frage beiläufig und würdigt mich noch immer keines Blickes. Stattdessen begutachtet er den kleinen Turm aus aufeinandergestapelten Messgeräten, die meine Vitalfunktionen in kryptische Diagramme, Zahlenwerte und Geräusche übersetzen. Es scheint, als sei mein Dasein durch die Summe aller Messwerte vollständig beschrieben, kein Bedarf und den Blick auf den Patienten zu richten.
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