»Sobald es sich rentiert, kannst du überlaufen!« Carina bestellte für beide noch einen Longdrink.
»Das Leben fließt in Bahnen, mit denen man nicht rechnet. Jedenfalls geht es mir so. Immer läuft es anders, als ich es lenken will, aber es ist trotzdem in Ordnung. Für mich ist das Leben eine spannungsreiche Spritztour durch die Zeit. Wie soll ich das erklären? Da, wo ihr Action braucht, Sport, Erlebnisse, gehe ich nach innen. Ich denke viel, philosophiere vor mich hin, lese, schaue mir Objekte lange an, überlege, schreibe kleine Texte. Hin und wieder werden Artikel sogar veröffentlicht. Das, was ihr als prickelndes körperliches Gefühl habt, wenn ihr taucht, lauft, schwimmt, segelt oder so, das habe ich in meinem Kopf. Beim Nachsinnen, sobald ich Musik und Kunst genieße, während des Lesens habe ich Freude, wie kann ich es nur beschreiben? Für mich ist Sport nicht wichtig, aber beim Grübeln und Genießen, ganz intensiv, erlebe ich eine aufregende Welt!«
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht, genießerischer Adrenalinkick oder so!« Carina kaute versonnen auf ihren Fingernägeln. »Vielleicht leben manche Leute, die mehr sinnieren, profunder als die, welche aktiv sind.« Sie fasste sich mit der Hand in den Nacken und dachte nach. »Manchmal habe ich das Gefühl, wenn ich Spaß habe mit Sport, daddeln, rumhängen, ich hätte meine Zeit verplempert, mit nutzlosen Dingen. Ich frage mich, was hast du getan? Eigentlich nichts, du hast dir nur die Langeweile vertrieben, ein Gefühl, das richtig erdrückend wird, weil die Eintönigkeit bleibt. An anderen Tagen wieder denke ich, ich spinne. Das Leben ist kurz, man könnte wesentlich mehr schaffen. Härter arbeiten, aber wozu, ein bisschen Freude muss sein, was sollte das Dasein ohne die vielen unnützen Dinge, es wäre schlicht langweilig.« Kichernd griff Carina nach dem Glas. »Ich glaube, ich bin besoffen!«
»Lass uns nicht über den Sinn des Lebens diskutieren, lass uns existieren, jeder auf seine Art!« Laura hob ihr Glas und stieß mit Carina an.
»Und du bist sicher, du verträgst den zweiten Zombie?«, fragte Carina.
»Wir werden es sehen, wenn nicht, trägst du mich halt nach Hause!«
»Ich habe das dumme Gefühl, du schulterst mich!«, Carina schlürfte an ihrem Drink.
»Sag mal«, bohrte Laura, »was war damals mit Jeremias, warum bist du so schnell von München abgehauen?«
Carina machte eine verächtliche Handbewegung. »Einfach weg von dem Kerl, mir ging es hundsmiserabel und ich hatte Angst. Und was sollte ich allein mit einem Haus? Das war viel zu teuer.«
»Wieso hattest du Angst?«
»Ach, vielleicht Einbildung. Er drohte, mich umzubringen. Das sind halt Sprüche in der Wut. Das würde er nie machen. Ist er wütend, rastet er aus und redet dummes Zeug, das meint er nicht so. Prinzipiell ist er sehr lieb. Wären da diese Ausraster nicht!«
»Wenn er eigentlich sanftmütig ist, warum die Angst?«
»Es fing mit seinen Drohungen an, mich auszulöschen, die Bremsleitungen durchzuschneiden, das war lachhaft. Aber an dem Tag, als er ausgezogen ist, seine Möbel holte, passierten komische Dinge. Und dann kam Angelika, erzählte mir so einiges. Danach wollte ich nur noch weg. War schon ein bisschen panisch.«
»Weshalb?«, Laura sah Carina entsetzt an.
»Kindergarten. An den Spülkästen der Toiletten waren die Hähne zugedreht, so dass die Spülung nicht ging, ebenso das Wasser für die Spülmaschine. Wir hatten drei Telefone im Haus verteilt. Er ließ Stationen da, jedoch die Telefone nahm er mit, so dass ich nicht telefonieren konnte. Jeremias behauptete zunächst, er habe sie nicht, gab sie aber nach vier Wochen zurück. Er hatte heimlich meinen Anrufbeantworter besprochen, was ich erst später mitbekam, als die Leute mich ansprachen. Er teilte mit, ich sei nach Australien verzogen. Er hatte meinen Wecker eingesteckt, alle meine Fernbedienungen, meine Pille, Schlüssel, meine Unterwäsche. Als ich drohte, ich zeige ihn an, wenn er meinen Besitz nicht bringt, fand er plötzlich beim Ausräumen meine Sachen wieder.« Carina bemühte sich entspannt zu wirken.
»Jetzt kommt es. Am Tag nach seinem Auszug ging ich in den Keller, der stand voll Wasser. Jemand hatte draußen vor der Tür den Wasserschlauch angemacht und direkt neben das Kellerfenster gelegt. Das Wasser kam durch die Wand. Das gleiche Spiel war auf der anderen Seite vom Haus im Gange. Nur dort hatte der Schlauch sich gedreht, war in den Rasen gekullert. Im Keller roch es nach Gas. Heizung und Warmwasser liefen nicht. Ich rief den Heizungsmonteur. Irgendwer hatte das gesamte Programm verstellt und zwei Gummistopfen entfernt, so dass Gas austrat. Auf keinen Fall lebensgefährlich, keine Angst, aber ganz ungefährlich war es nicht.«
»Uff, das nenne ich krank.« Laura starrte Carina mit offenem Mund an. »Daher der Name Psycho!«
»Jeremias stritt ab, etwas damit zu tun zu haben. Maxi traue ich das nicht zu, dem Vater von Jeremias hatte ich Hausverbot erteilt, der hat höchstens das Wasser in den Keller gelassen. Und weshalb sollen die drei Umzugsleute das tun? Ich kann mir wiederum auch nicht vorstellen, dass Jeremias solchen Blödsinn macht.«
Laura schaute Carina noch ungläubiger an. »Irgendjemand war es! Und warum hatte der Vater Hausverbot?«
»Weil der die Oberklatsche hat! Der hat mich nur noch beschimpft und bedroht. Der stand auf der Straße und schrie unentwegt: ,Du alte Hure, du Schlampe, du verdammtes Miststück!’ Ich habe ihn nicht beachtet. Nach einer halben Stunde hat es mir gereicht. Er hat weitergeblökt, postierte sich direkt im Garten, dann im Flur. Ich holte die Polizei, die zogen ihn fast vom Grundstück, unter Androhen, ihn mitzunehmen. Die mussten noch mal anrücken, sie drohten dem Alten, er komme in den Knast, sobald sie erneut angerufen würden. Daraufhin gab er nach. Ich wollte ihn damals anzeigen. Aber die Polizisten sagten, dazu müsse ich aufs Revier kommen, auf der Straße gehe das nicht. Ich wollte einfach meine Ruhe und die Bullen meinten, der kommt wieder runter, ich solle ihn nicht mehr weiter reizen.«
Laura stand der Mund offen. »Sind demnach beide krank?«
»Und ich weiß nicht, wer der Schlimmere ist. Was ist krank? Krebs ist eine Krankheit, die Windpocken. Wenn einer nicht ganz frisch ist, lebt er eben nur ein bisschen neben der Norm. Er besitzt Persönlichkeit. So läuft es doch. Jeremias rief mich an, bedrohte mich mehrfach. Im Anschluss meldete er sich jedes Mal, entschuldigte sich. Später beschimpfte er mich, leistete nochmals Abbitte und wechselte dann seine Stimmungen von einschmeichelnd bis wütend innerhalb von fünf Minuten. Er wollte wieder einziehen, weil er mich angeblich liebte. Er terrorisierte mich mit Anrufen. Ich hob nicht mehr das Telefon ab und änderte meine Handynummer. Er tauchte sogar ständig bei mir zu Hause auf. Ich tat so, als sei ich nicht daheim, und machte die Tür nicht auf. Das Ganze ging so weit, dass ich abends komplett im Dunkeln saß, damit man ja keinen Lichtschein aus meiner Wohnung sah. Er fing mich auf dem Weg zur Arbeit ab. Er drohte mir, dass ich es bereuen und er mir mein Leben zerstören würde. Er kündigte an, meine Bremsleitung zu zerschneiden, mein Gesicht mit dem Messer zu bearbeiten. Er habe nichts zu verlieren, denn seine Darmprobleme, die er schon seit mehreren Monaten hatte, hätten sich als Darmkrebs herausgestellt, der ihm maximal sechs Monate Lebenszeit lasse. Eine Lüge, klar. Spätestens da hatte ich wirklich Angst um mein Leben. Es ist erschreckend, wie ein paar Worte deinen Alltag verändern können, wenn man nur ein Quäntchen davon ernst nimmt.« Carinas Augenbrauen zogen sich zusammen, die Hände waren zu Fäusten geballt.
»Bis dahin war ich nur genervt. Ich putzte das Haus von oben bis unten, habe ihn rausgeputzt! Plötzlich war der Briefkasten zerkratzt, fast aus der Wand gerissen, das Schloss demoliert und mein Haustürschloss beschädigt. Was er androhte, war Spinnerei. Er hätte mir nie was getan, aber natürlich brachte mich das aus der Fassung, mir stand panische Angst im Nacken!«
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