Steinige Jagd
Eine andere Weihnachtsgeschichte
Thomas Jütte
Wenn der Humor ernstgenommen wird,
hört der Spaß auf.
Lionel Strachey (1864-1927), englischer Humorist
Ein herzliches Dankeschön an meine “Privat-Lektoren” - meine Ehefrau Andrea und meine Schwester Judith - für ihre Geduld und Verständnis für meine spezielle Art von Humor...
Thomas Jütte, Oktober 2015
Ungekürzte Ausgabe
1. Auflage November 2015
epubli GmbH,
Prinzessinnenstraße 20, 10969 Berlin
www.epubli.de
Umschlagkonzept: Thomas Jütte
Fotos: fotolia
Druck: epubli-GmbH
Knecht Ruprecht lief es eiskalt den Rücken herunter.
Angstvoll starrte er auf den maskierten Mann, seinen Entführer, der sich selbst "Billy the Kidnapper" nannte. Das konnte nicht nur, das musste ein Pseudonym sein.
Der Mann war mit einem furchteinflößenden Messer bewaffnet. Mit fiebrigem Glitzern in den Augen, das Schlimmes ahnen ließ, hob der Verbrecher langsam seine mörderische Stichwaffe, in der eindeutigen Absicht, gnadenlos zuzustechen.
„Das können Sie… doch… nicht tun“, flehte der prominente Gefangene, der bis zur Bewegungslosigkeit gefesselt war. Das Zittern in seiner Stimme war unüberhörbar.
„Kann ich nicht? KANN ICH NICHT?! Wieso KANN ich nicht?!?“
„Weil…, weil…, weil ich dann nie wieder ein Wort mit Ihnen rede...“
„Diese Sprüche… Immer diese Sprüche!“, rastete Billy förmlich aus, wieder einmal. „Aber damit ist jetzt endlich und endgültig Schluss!“
Mit rasendem Tempo fuhr das Messer nieder und bohrte sich unbarmherzig in sein Ziel, um dann in einer schlitzenden Bewegung brutal nach vorne gezogen zu werden.
Entsetzt heulte der Knecht auf.
War das das Ende? Sein Ende?
Das Ende einer langen Aera?
Das Ende der fruchtbaren Partnerschaft mit Santa Claus?
Obwohl, wirklich vermissen wird ihn wohl kaum jemand. Ungezogene Rotzlöffel zum Beispiel, die schmerzhafte Bekanntschaft mit seiner Rute gemacht hatten, könnten gut und gerne auf ihn verzichten. Zudem zweifeln immer mehr vom zügellosen Internet statt von strenger Hand erzogene Präpubertierende an der Existenz dieser einstigen weihnachtlichen Kultfigur.
Doch was war der Auslöser für diesen verbrecherischen Akt? Was steckte hinter der perfiden Entführung von Knecht Ruprecht? Wer, in aller Welt, war so respektlos, so abgestumpft, sich an dem Kompagnon des Weihnachtsmannes zu vergreifen? Wer riskierte es, auf deren berüchtigte schwarze Liste zu kommen, mit der bitteren Konsequenz, künftig keine Geschenke mehr zu bekommen?
Alles begann wenige Tage zuvor mit einer defekten Apparatur im winterlich verschneiten Lappland…
Er sei nur ein ganz gewöhnlicher „Elf“. Gewöhnlich und lustig. Ein Elf mit kugeliger, dicker Plautze. Der so drollig Beschriebene verzog säuerlich das Gesicht: „So ein ein hanebüchener Blödsinn.“
Als wäre das nicht schon genug, wurde ihm als Bekleidung noch ein Fell angedichtet: „Fell vor allen Dingen. Fell…!“
Wäre der unselige Verfasser dieser verunglimpfenden Personenbeschreibung - ein Mann namens Clement Clarke Moore - nicht schon längst bei den Seinen, hätte er ihm längst eine Klage an den Hals gehängt. Aber nicht wegen Rufschädigung. „Nein, wegen Beleidigung!“
Es soll übrigens auf das Jahr 1823 zurückgehen, als Moore, seines Zeichens Professor der orientalischen und griechischen Literatur sowie Schriftsteller eigenen Gnadens, besagte Beschreibung in einem seiner Gedichte veröffentlicht hatte.
„Von wegen Gedicht. Ein Pamphlet ist das, ein dummes...“, ärgerte sich der so Düpierte.
„Da erdreistete sich dieser, dieser… Künstler sogar, noch Einiges drauf zu setzen." Er hätte glitzernde Augen, rosige Bäckchen, eine Nase wie eine Kirsche (Kirsche!!!), einen langen, schneeweißen Bart und ständig eine Pfeife im Mundwinkel.
„Nein, diese Respektlosigkeit. Warum nicht gleich noch mehr solcher Klischees?!?“
Die gab es in der Tat später, im Jahre 1931, als der in die USA eingewanderte Schwede, Haddon Sundblom, von Beruf Grafiker und Cartoonist, für die Coca-Cola-Company eine Symbolfigur für die anstehende Weihnachtskampagne gestalten sollte.
Sundblom zog Moores „Elf“ kurzerhand das Fell über die Ohren und verpasste ihm ein neues Outfit in Form eines auffallend roten Mantels... mit weißem Fellbesatz. Dazu setzte er ihm eine farblich passende Zipfelmütze auf, drückte ihm eine halbvolle Coca-Cola-Flasche in die Hand und bot ihn, derart werbewirksam präpariert, einem Millionenpublikum in aller Welt dar.
Aus dem lustigen, bodenständigen Elf war ein recht markanter, cola-benebelter Hanswurst in schwulem Rot-weiß geworden, der vielen Kindern sicherlich nicht nur schöne Träume bescherte...
Derart der Lächerlichkeit preisgegeben, wäre seiner Meinung nach auch der Tatbestand der Vorsätzlichkeit erfüllt, geschweige der Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Wütend pfefferte der ehemalige „Elf“ seine Lieblings-Illustrierte Suomen Kuvalehti in die Ecke, in der ihm die doppelseitige Coca-Cola-Werbeanzeige ins Auge gesprungen war.
„Dieser Herabwürdigung widerspreche ich aufs Schärfste!" brachte sich der Betroffene immer weiter in Rage. Die Werbung kam ihm gerade recht, denn eigentlich war er schon den ganzen Tag übel gelaunt.
Der Elf hatte natürlich auch einen Namen. Von Amtswegen hieß er Aleksanteri Claus, wobei er von vielen kurzerhand Santa Claus genannt wurde, er aber den Namen Santu Claus favorisierte.
Letztendlich war ihm das aber egal. Seinetwegen könnte man ihn auch mit Heiliger Claus ansprechen, oder mit Herr Weihnachtsmann oder auch mit Heiliger Vater. Ach nein, da gab's ja schon einen, da in Rom.
Nicht aber einen Weihnachtsmann. Richtig gehört: Weihnachtsmann! Da gäbe es nicht den geringsten Zweifel, wie der Weißbärtige selbstgefällig und unermüdlich jedem, der es hören wollte, auf die Nase band: „Ich bin DER Weihnachtsmann, der echte, der einzige...!"
Fell trüge er übrigens seit der Erfindung der klimaregulierenden Kapokfaser-Feinstrumpfhose schon lange nicht mehr. Und rotweißes Outfit? „Na ja, gelegentlich." Daran gewöhnte man sich übrigens schnell. Auch aus praktischen Gründen. Denn es sorgte in der Dunkelheit schon für etwas mehr Sicherheit. Und da er meistens nachts unterwegs war... Warum also nicht?
Pfeife rauchte er allerdings nur, wenn es ihm richtig gut ging. Meistens gegen Feierabend, nach dem Weihnachtswahnsinn, wenn er endlich seinen gebeutelten Sack an den Nagel hängen konnte und zur Ruhe kam. Und wenn Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen, sein - seiner Meinung nach - recht tumbes Rengetier, erschöpft alle Hufe von sich streckte.
Im Moment war keine Pfeife angesagt, denn im Moment war er äußerst aufgeregt. Das war, gelinde gesagt, weit untertrieben: Schieres Entsetzen hatte ihn gepackt.
Dieses hatte weder etwas mit der Coca-Cola-Werbung noch mit dem alljährliche Kraftakt zu tun, der ihm noch bevor stand - schließlich schrieb man erst den vorweihnachtlichen 16. Dezember.
Nein, der Grund war, dass das Unfassbare, das Unaussprechliche drohte: Weihnachten ohne ihn, dem Weihnachtsmann.
Tatsächlich. Das Highlight eines jeden Jahres, die Parade-Veranstaltung am 24. Dezember, das Finale also, drohte ins Wasser zu fallen, zumindest was die materielle Seite dieses Spektakels betraf. Denn es war etwas passiert, was nie hätte passieren dürfen…
„Chef‚ ‘s Zeit, die Hardware zu checken", erinnerte ihn Rooperti einen Tag zuvor: Wie immer pünktlich, aber auch wie immer unnötig.
Rooperti war die rechte Hand von Santa, bzw. Santu. Er selbst bezeichnete sich bescheiden nur als dessen Handlanger oder als Knecht seiner weihnachtlichen Eminenz.
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