Langsam bummelten sie zurück in die Wärme der rauchigen Hütte, verkrochen sich in ihre Kojen. Die Bretter der Betten knarrten bei jedem Atemzug. Trotzdem schliefen alle drei sofort ein.
***
Am Morgen frühstückten sie im Morgengrauen und begannen den Aufstieg. Den Sonnenaufgang wollten sie auf dem Gipfel verbringen. Die Uhr zeigte kurz vor fünf, Dunkelheit und Kälte empfingen sie vor der Tür. Das Licht der Taschenlampen beleuchtete den Weg, der Vollmond erhellte sanft die Spur voraus. Vorsichtig schlenderten sie die Route Richtung Eishöhle, bogen nicht ab, sondern gingen weiter nach oben. Am Aussichtspunkt Fortaleza rasteten sie. Die Luft wurde immer dünner, das Atmen fiel schwer. Sie kamen zur oberen Seilbahnstation, löschten die Leuchten. Einige Teideveilchen blühten nur hier auf diesem Berg.
»Habt ihr gut geschlafen?«, fragte Julian. »Ich habe geratzt wie ein Murmeltier im Winterschlaf.«
»Ich auch!«, ächzte Jeremias, auf dem steil ansteigenden Weg von der Rambleta zum Pitón , dem Zuckerhut.
»Würde ich mich ärgern, jetzt auf Seilbahntouristen zu treffen. Es ist glücklicherweise zu früh für Touris.«
Laura keuchte. »Die dünne Luft macht mich groggy. Und der Gestank aus der Erde! Ich hasse Schwefel!«
»Setz dich drauf, dann nimmst du die Dämpfe dankbar als Powärmer an!«, lachte Jeremias.
Die Plackerei lohnte sich. Am Gipfelkreuz angekommen lugte die Morgendämmerung sanft aus den Nebelschwaden. Die Konturen der schwarzen Felsen in der Nähe ragten zwischen dem orangefarbenen Himmel hervor. Die Sonne strahlte als weißer Ball, von gelben Kreisen umzogen. Laura schnappte sprachlos nach Luft.
»Marmelade skys«, flüsterte Julian ehrfürchtig. »Es gibt sie doch!«
La Gomera löste sich aus dem Schatten des Teide . Die Sicht klarte auf und die drei blickten auf sämtliche Inseln.
»Die Aussicht nimmt mir den Atem. Das ist sagenhaft! Wir stehen auf 3718 Metern!« Julian drückte Laura an sich.
Der Ausblick in den Krater erschien gewaltig. Wie muss es ausgesehen haben, als der Teide noch rauchte und spuckte! Die dickflüssige, rote Lava schoss aus dem Schlund und rutschte wie eine Walze langsam, aber unaufhaltsam ins Tal, um erst im Meer zu erkalten. Jeremias genoss das Panorama, begeisterte sich daran, hier zu verweilen, mit zwei Menschen, die nicht wussten, wer er war, mit denen er spielen konnte.
Nach über einer Stunde trennten sie sich vom Gipfel, stiegen hinab. Der kalte Wind auf dem Pitón schnitt fast unerträglich in ihre Gesichter. Die Möglichkeit, mit der Seilbahn zu fahren, verlockte, doch sie entscheiden sich, zu Fuß hinabzusteigen.
Zurück am Auto kippte Laura sich den letzten Schluck Wasser aus der Flasche in den Mund. »Heute keinen Schritt mehr!« Man sah ihr die Erschöpfung an.
»Ich hätte Lust auf kanarische Küche!« Julian schaute in die Runde.
»Überredet!«, grinste Jeremias.
»Das lasse ich gerade noch über mich ergehen.« Laura plumpste in den Autositz.
Kurz bevor sie ins Orotavatal einfuhren, entdeckten sie ein winziges Restaurant an der Straße, Siete Islas . Jeremias meinte, das klinge gut, und parkte den Wagen ein.
Julian und Laura bestellten sich Paella, Jeremias entschied sich für ein Kotelett mit Salat. Zu ihrer Enttäuschung gab es keine kanarischen Pellkartoffeln, nur Pommes frites. Zunächst füllte der Kellner die bauchigen Gläser mit Wasser, die kleinen mit Wein. Die Nase in Jeremias` Gesicht zitterte.
»Riecht ihr das?«
»Nein, was meinst du?« Julian hob sein Glas. Langsam nahm er es vor die Nase und fächerte sich mit der Hand das Aroma zu. Julian nippte. Seine Züge verzogen sich. »Boaaa! Ein Teufelsgetränk! Mundet wie Jauche!« Mit einem Knall landete das Trinkgefäß auf dem Tisch.
»Ich probiere lieber nicht. Den Schwefelgeruch spürte ich bereits beim Einschenken!« Verächtlich schob Jeremias das Glas weit von sich.
»Jetzt rieche ich es auch! Stimmt, es duftet wie Teidegipfel. Ein Hieb davon reicht für drei Tage Kopfschmerzen! So ein ähnliches Gebräu haben wir in Santa Ursula gekauft. Frischer Wein vom Bauern. Unter Rühren in den Ausguss, bitte!« Laura winkte nach dem Kellner. Der nette Canario tauschte den Rotwein gegen Weißwein.
Nach der Probe stellte Jeremias fest: »Schmeckt wie Terpentin, immerhin nicht nach Schwefel!«
Der Ober brachte das Essen. Jeremias’ Gesichtsausdruck verriet Missmut. »Von wegen typisch kanarische Küche! Das passiert mir ständig in den Bergen! Schaut euch das an! Die Pommes sind lappig, na gut, das Fleisch ist o.k. Aber seht euch den Salat an! Überreifes bis angegammeltes Gemüse mit halben Zwiebeln und billigstem Essig und Öl! Mann, wer soll das fressen?«
»Unseres ist auch nicht genießbar!« Unwillig harkte Julian mit der Gabel durch die Paellapfanne. »Gelb gefärbter Reis aus dem Kochtopf! Keine Kruste! Die haben das Zeug vom Topf in die Pfanne geschüttet, obenauf zwanzig Erbsen und zwei Gambas gelegt. Scheint für Asketen angerichtet zu sein.«
» Onkel Ben’s Fertigreis schmeckt wesentlich besser!«, rundete Laura das Gespräch ab.
Sie stocherten im Essen herum und ließen über die Hälfte auf dem Teller. Selbst dieses Menü konnte ihnen ihr Bergsteigererlebnis nicht madigmachen. An diese zwei Tage würden sie sich noch lange zurückerinnern.
Sie verbrachten einen letzten feudalen Abend im Touristenviertel. Gegen drei kehrten Laura und Julian zurück. Das Packen hoben sie sich für den Abflugtag auf, ihr Flugzeug startete erst um sechs Uhr abends.
***
Jeremias aß am Bollullostrand gefüllte Kartoffeln und beobachtete die Wellen. In regelmäßigen Abständen rollten sie majestätisch herein, brachen meterhoch an den Felsen. Sein Blick versank im Meer. Seine Gedanken, sein Atem, alles passte sich dem Rhythmus der Wogen an. Wie schön wäre es eine Welle zu sein, im gleichmäßigen Takt über das Wasser zu reiten. Er stellte sich vor, wie die Welle erschrak, eines Tages angekommen an einem Ufer wie diesem, das ihrer gewohnten Monotonie Einhalt gebot. Verzweifelt bäumte sie sich auf, kugelte sich zusammen, wehrte sich mit letzter Kraft gegen das Hindernis. Sie barst gewaltig auf die Barriere zu und begrub wütend alles unter sich, was sich ihr in den Weg setzte. Sie zerrte an sämtlichem, was sie erreichen konnte, trug es mit sich ins Grab des Ozeans, um es nie wieder herzugeben. Entspannt wurde die Welle erneut eins mit dem Gleichklang des Meeres, beruhigt, der Störung ihres Weges etwas entrissen zu haben, das nun tot auf dem Grund des Wassers ruhte.
Er würde wie diese Welle sein und Carina hinabreißen in die Tiefe, aus der sie nicht mehr zurückkam. Sie hatte seinen Rhythmus gestört, sich ihm in den Weg gestellt!
Er vermisste Laura ein wenig. Manchmal ging sie ihm außerordentlich auf die Nerven mit ihrem Geschwätz, aber eigentlich war sie in Ordnung. Nie hatte sie versucht, ihn nach seinem Leben, nach seinen Gefühlen auszufragen. Sie nahm ihn, wie er war, ohne Vergangenheit, unter Ausschluss der Zukunft. Er würde sie mit hineinreißen müssen, das tat ihm leid, es war nicht zu ändern.
Julian hatte mit ihm, Jeremias, seine Freizeit verbracht, unwissend, wer er war. Und dieser Kerl hatte sich erdreistet, seiner Schwester zu raten, ihn, Jeremias, vor die Tür zu setzen. Er grinste breit. Bald konnte Julian Jeremias viel besser kennenlernen, als dem Kerl lieb war, Julian, der Jeremias ein Schwein nannte, ohne ihn zu kennen. Und die Schlampe, die verfickte Hure würde das bekommen, was sie verdiente.
Zurück in St. Heinrich durchforstete Jeremias eine Website. Mehr als zwei Stunden stöberte er im Angebot der Firma, Spunk GmbH , Fachwerkzeug für Überwachungsund Schutzfirmen. Als Erstes setzte er den Spezialeinsatzkoffer Lock Picking, Equipment für Polizei und Schlüsselnotdienst, auf seine Liste. Neben Spezial-Ziehwerkzeugen für Schließzylinder war eine Elektro-Sperrzeugpistole enthalten, die nach dem Perkussionsprinzip funktionierte. Dabei werden durch enorm hohe Schlagfrequenzen Zylinderschlösser ohne Beschädigung geöffnet. Das Schlüssel-Kopier-Set schrieb er ebenfalls auf, schaden würde es nicht. Damit konnte er, ohne Rohlinge kompliziert zu feilen, aus dem Wachsabdruck einen Nachschlüssel gießen. Er bestellte sechs Miniatur-Telefonsender, sowie Sender für Telefon und Armbanduhr und ein Peilgerät. Fünfzehn Minisender mit dem Namen Floh folgten in den Einkaufskorb.
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