Das kompakte Richtmikrofon reizte ihn. Man war in der Lage Zusatzgeräusche zu reduzieren, die Empfindlichkeit der Lautstärke auf die Ohren zu regulieren, es war sogar windund wasserfest, auch ließ es sich an ein Aufnahmegerät koppeln. Das Nachtsichtgerät Jimmy hatte es ihm angetan, ziemlich klein, mit Wechselobjektiven für den Nahund Fernbereich geeignet. Wasserfest erlaubte es freihändige Handhabung am Kopf und konnte an eine Videokamera angeschlossen werden. Was wollte er mehr? Per Mail schickte Jeremias die Bestellung ab. Diskret erfolgte die Lieferung über das Ausland innerhalb von 48 Stunden.
Vergnügt lehnte sich Jeremias in seinem Stuhl zurück.
»Zelloloid Paradies, in der Paus joov et Ihss und wenn’t tragisch woot, Träne«, sang Jeremias mit seiner BAP-CD mit, »Wood metjeflennt. Doch ein Saach, de woor kloor, t’kohm nix andres en Frooch, janz ahm Schluss – wat och sons? – e Happy End!«
Jeremias streckte sich wohlig, griff nach seinem Glas.
»Diesmal ist das Happy End in greifbarer Nähe! Ihr meint doch nicht, ich lasse euch so davonkommen?« Jeremias lachte.
Als Erstes war Julian dran. Nach allem, was Jeremias durch Laura herausfand, hatte Julian Carina getrieben, ihn zu verlassen. Moritz schien damit nichts zu tun zu haben, der tauchte erst nach seinem Verschwinden wieder auf.
Carina besaß die Kaltblütigkeit, ihm vorzuspielen, sie liebte ihn. Er hatte sich ihr preisgegeben, seine Geheimnisse verraten, sich Carina ausgeliefert. Nur darauf hatte sie es von Anfang an abgesehen, zu suchen, wie sie ihn treffen konnte. Carina hatte ihn betrogen, ihn in die Dunkelheit seiner Depressionen zurückgetrieben. Jeremias war nun weit verschlossener, noch misstrauischer gegenüber anderen Menschen geworden. Er nahm sich vor, niemals mehr Vertrauen zu einer Person zu fassen, zu niemandem.
Ein paar Tage später bastelte Jeremias an seinen Instrumenten. Die Vernetzung der Computer, die Internetverbindung über den Laptop funktionierte. Die Verbindung der Aufnahmegeräte, die zwei Schaltpulte, Anschluss an die Kamera, die auf dem Dach installiert werden konnte, alles schien in Ordnung. Nun stand ihm bevor, die Geräte in das Wohnmobil einzubauen. Den Caravan, der von außen wie ein Lieferwagen wirkte, hatte sein Vater umgebaut. Auf dem unteren Bett würde Jeremias seine Computeranlage montieren. Das obere Bett klappte er aus. Somit befand sich sein Schlafplatz einige Zentimeter über der Anlage. Heizung, Herd, Schränke, er war perfekt eingerichtet. Eine Toilette fehlte, ebenso eine warme Dusche. Er konnte das alte Chemieklo hineinstellen. Aber vor nichts ekelte er sich mehr! Eigentlich wollte er nicht in dem Auto wohnen, ein Hotelzimmer oder eine Mitwohngelegenheit gefielen ihm besser. Camping war in seiner Vorstellung das Allerletzte. Auf dem Fußboden kampieren, nur eine dünne Isomatte oder eine wabbelnde Luftmatratze trennten den Körper vom Erdreich. Ameisen und sonstiges Getier huschten herum. Es roch muffig und alles erschien primitiv. Auf dem Boden kochen und essen, auf wackligen Tischen und Stühlen, eine Fiktion, die ihn erschauderte. Nachts hörte man das Schnarchen aus dem Nebenzelt. Pinkeln und waschen in Gemeinschaftsräumen, die man sich mit mehreren hundert Leuten teilte, in stinkenden, versifften Hütten. Die feinen Haare auf seinen Armen richteten sich bei dem Gedanken auf. Typhus, Cholera, Salmonellen, Enteritis, Wurmerkrankungen, Chlamydien, Geschlechtskrankheiten, die Vorstellung davon ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Jeremias fing an zu zittern, öffentliche Toiletten und Waschplätze ekelten ihn bis zum Erbrechen. Wie konnten sich zivilisierte Individuen freiwillig in diese Lage begeben? Er verstand es nicht. Jeremias griff nach der Flasche mit Glasspray und putzte das Wohnmobil noch einmal pedantisch von innen aus. Immer wieder rieb er über einen Fleck, der wohl in den Lack eingedrungen und nicht mehr zu beseitigen war.
Die CD war fast zu Ende, Jeremias probierte eine letzte Steckverbindung aus, wohlig warm breitete sich ein überlegenes Gefühl in ihm aus. »Hier sieht es bald aus, wie in einem professionellen Überwachungsbüro!« Er pfiff die Melodie des Songs fordernd mit.
Jeremias war mit sich selbst eins. Dieses Szenario reizte ihn seit langem. Die totale Überwachung einer Person, ohne dass sie wusste, wie einfach es war, an ihre tiefsten Geheimnisse heranzukommen. Kein Mensch dachte darüber nach, ob ihn jemand ausforsche. Niemand rechnete damit, beobachtet zu werden, wozu auch. Das war der Reiz!
»Ich werde euch drei beobachten, ohne dass ihr mich bemerkt, im richtigen Augenblick zuschlagen. Keiner wird nur den leisesten Verdacht hegen, ich sei in die Geschichte involviert!«
Jeremias starrte in den Monitor. Einen Plan besaß er nicht. Er musste herausbekommen, wo der wunde Punkt jedes Einzelnen saß. Und hier würde er ansetzen. Er putzte erneut alle Geräte ab.
»Nix als Horizont gesinn. Ich will neu würfele, neu Spill, neu Glöck, will die Kaate neu gemisch.«
Jeremias sang laut mit: »Wann kütt Land in Sicht?« Er lächelte vor sich hin.
»Sag mal, Julian, willst du wirklich auf die Malediven zum Tauchen? Ich würde lieber woanders hinfahren«, bat Laura.
»Im Herbst ist es auch anderswo noch warm genug zum Tauchen!«
»Du kannst hier bleiben, du wirst dich nur langweilen, außer Sand und Palmen findest du nichts, absolut nichts. Die Insel ist in fünfzehn Minuten zu erforschen. Es gibt keine Bars, Pools, Boutiquen, Tennisplätze, nada, niente!« Julian wirkte ermüdet.
»Carina und Moritz würden mit uns nach Griechenland oder in die Türkei fliegen, dort gibt es gute Tauchgebiete, ich finde schon eine andere Beschäftigung!«
»Dann fahr mit ihnen, ich will einen reinen Tauchurlaub, nur tauchen, verstehst du? Ich habe wieder solchen Spaß an der Unterwasserwelt auf Teneriffa bekommen. Oder was hältst du von einem Tauchkurs? Es ist nicht schwer, die Meeresbewohner sind fantastisch, ehrlich!«
»Ist ja gut! Ich nehme den Laptop mit und meine Zeichensachen, schreibe ein neues Buch. In einer völlig unbekannten Umgebung kommen mir sicher Ideen! Vielleicht schnorchele ich ein bisschen, ich würde dich nur stören mit meiner Angst!«
»Tu, was du nicht lassen kannst, nur nerv nicht abends, wenn ich den ganzen Tag unter Wasser verbracht habe! Tauchen ist anstrengend und ich will dann wahrscheinlich nur noch essen und ins Bett!«
***
Die Tonqualität des Richtmikrofons war hervorragend. Allerdings lag das Gebäude ungünstig. Jeremias kundschaftete das Haus von Julian und Laura aus. Ein Reihenhaus mit offenem Vorgarten, jeder würde ihn sehen, wie er die Wohnung betrat. Gegenüber wohnte eine alte Dame, die den lieben Tag lang am Fenster saß. Rechts und links davon lebten Hausfrauen mit Kindern, lauter unberechenbare Personen, die minütlich vor der Tür oder am Fenster auftauchen konnten. Von hinten besaß das Gebäude keinen Eingang, aber eine alarmgesicherte Terrassentür. Dort befand sich ein Garten, umgeben von einer dichten Hecke, die sich für einen Bruch optimal gestaltete. Wie sollte er ungesehen hineinkommen? Nur die Dunkelheit gab ihm Sicherheit, sobald die beiden das Haus verließen.
Nun stand Jeremias im Nieselregen und fror. In einer solchen Gegend fiel sein Bus sofort auf. Alle würden wissen wollen, wem der Wagen gehörte, was er hier zu suchen habe. Er hasste diese nachbarschaftsorientierten Reihenhaussiedlungen. Jeder kümmerte sich um jeden, auch wenn es ihn nichts anging. Das hatte er sich anders vorgestellt.
***
»Treffen wir uns heute Abend im Reisebüro oder kommst du erst nach Hause?«, fragte Laura.
»Verabreden wir uns in der Stadt, dann gehen wir ins Reisebüro und bummeln ein wenig über die Kö. Ich lade dich zum Thai ein!« Julian zog sein Jackett an.
Jeremias ging ein Stück weiter die Straße hinauf, Julian durfte ihn nicht sehen.
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