Sabine Ibing
Zenissimos Jagd
Sabine Ibing
Zenissimos
Jagd
Roman
Copyright © 2014 by Sabine Ibing
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Lektorat: Martina Gyger, Meilen
Umschlagbild: © Gina Sanders - Fotolia
Herstellung und Verlag: C. F. Portmann, Erlenbach
www.cfportmann.ch
E-Book: mbassador GmbH
E-Book ISBN: 978-3-90601-428-9
A mi familia, por el amor sin condiciones,
por las palabras a tiempo.
A mis amigos por su cariño y
el apoyo que siempre necesito.
Tiene mi Santacrucera
de nieve y rosas la cara
la nieve se la dio el Teide
y las rosas, la Orotava.
(tradicional)
Aber wahrhaftig, ihr habt zu viel
Kanariensekt getrunken,
und das ist ein verzweifelt durchschlagender
Wein, der würzt euch das Blut, ehe man
eine Hand umdreht.
(Wirtin in Shakespeares King Henry IV)
Inhaltsverzeichnis
Zurück in der Welt
Urlaub
Eine Störung der Sphäre
Die Vorbereitung
Die Überwachung
Die Aussprache
Carinas Wohnung
Das Spiel beginnt
Das Spiel geht weiter
Der Angriff
Der Eindringling
Der Hack
Karibische Träume
Der Schock
Die Handschellen klicken
Am Rande des Wahnsinns
Die Nadel im Heuhaufen
Die Zeit bleibt stehen
Ein Häuschen mit Garten
Qué será
Ein lohnendes Geschäft
Rückschläge
Arroganz macht blind
Der Prozess
Adiòs amigos
Der Deal
Der Abflug
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt
Danksagung
Die Autorin
Jeremias beendete das Telefongespräch mit der Austaste. Es war einer dieser Tage, an dem er sich fragte, ob es irgendjemanden auf dieser Welt gab, der sich darum scherte, wie miserabel es ihm ging. Sein Verleger hatte ihn für Mittwoch bestellt, um die fertigen Fotos der Marketingabteilung vorzulegen. Die letzten drei Wochen hatte er hart an ihnen gearbeitet: Schatten geschwächt, Lichtakzente gesetzt, Eyecatcher nachträglich ausgearbeitet, geschnitten, bis eine exzellente Auswahl für das neue Kochbuch zusammengestellt war. Der Termin drängte, aber als Perfektionist war er immer noch nicht mit der Zusammenstellung zufrieden. Ihn faszinierte es, die unglaubliche Schönheit von Essen und Trinken zu entdecken, zu beleuchten, den perfekten Augenblick festzuhalten, bevor der unaufhaltsame Verfall sich einleitete. Den Moment der Feinheit zu erfassen beflügelte ihn, spürbar auf dem Foto herauszukitzeln, lebendig den Duft einzufangen. Es bedurfte Instinkt und guter Ausleuchtung. Jeremias verzichtete auf Lacke, Farben, Haarspray, jegliche Hilfsmittel, derer sich viele seiner Kollegen bedienten. Ihn reizte, die Natürlichkeit und Einzigartigkeit der Lebensmittel darzustellen. Bei seinen Fotos sollte den Betrachtern nicht nur das Wasser im Mund zusammenlaufen, alle Sinne sollten sich entfalten, der Geruch wahrnehmbar sein. Die Gewürze sollten die Zunge erotisieren. Mit der Zeit lag er hart am Limit, was nicht sein Stil war. Schuld war Carina. Sie, die sein Leben veränderte. Liebe hatte sie ihm geschworen, nur um ihn später eiskalt abzuservieren, vor die Tür zu setzen, einfach so. Jeremias mochte nicht an Carina denken, der er vertraut hatte, die ihn so gemein betrogen, ihn belogen hatte von Anfang an, sie, die es nie ehrlich meinte. Es galten nur ihre Bedingungen, sie wollte ihm nicht vertrauen. Die Wut erfasste erneut seine Gedanken. Dieses gefühlskalte Biest hatte seinen Glauben an Liebe zerstört. Für ihn verbanden sich diese Fotos mit Carina, an sämtlichen Einstellungen klebte schmierig ihr Betrug. Sie hatte ihm hierbei assistiert, wenn sie freihatte.
Er nahm sich vor, mit Beendigung dieses Auftrags nicht mehr an sie zu denken, aber solange er an diesem Projekt arbeitete, wurde er täglich erinnert, wie sehr diese Frau ihn verletzt hatte. Jeder Cut schnitt sich in sein Fleisch, wie ein scharfes Messer.
Zwei Tage blieben Jeremias Zeit. Er wohnte in der Anliegerwohnung im Haus seines Vaters. Neben einem Wohnund Arbeitszimmer gab es ein Bad, eine Küche, ein Schlafzimmer und ein Fotostudio im Keller des Vaters. Im Bad befand sich ein kleines Labor, was er kaum nutzte, denn er bevorzugte digitale Aufnahmen.
Jeremias schaute verloren in sein Spiegelbild. »Du siehst aus wie ein Zirbengeist! So, wie du zurzeit wirkst, kannst du dich beim besten Willen nicht im Verlag blicken lassen«, murmelte er, kratzte sich am Bart, der ungepflegt abstand. Jeremias nahm eine Schere und stutzte das Gestrüpp. Ein Vollbart wäre einmal etwas anderes, Carina mochte keine Bärte. Den Schnauzer ließ er lang stehen, zwirbelte ihn mit Haarwachs zur Seite. Die buschigen Augenbrauen hatte er sich früher radikal beschnitten, in der letzten Zeit hatte er kein einziges Haar an seinem Körper gekürzt. Sein Gesicht grinste ihm wild aus dem Spiegel entgegen. Die struppige Mähne gefiel ihm nicht.
Seit November hatte Jeremias das Haus nicht mehr verlassen, seit jenem unglückseligen Tag, an dem er zurück zu seinem Vater in seine alte Wohnung gezogen war. Tagelang lag er im Bett, dachte an Carina. Die Dunkelheit umfing ihn, sogar am Tag. Kein Gefühl drang in seine Seele, weder Licht noch Wärme. Das Leben schien eine Halluzination zu sein. Der Vater ließ ihn in Ruhe, er kannte ihn, wusste, mit Worten war er unerreichbar. Jeremias fühlte sich monatelang wie ein Gefangener seiner selbst, nicht in der Lage aufzustehen. Er musste seine Fotos bearbeiten, aber er war unfähig seine Beine in Gang zu bringen, seine Arme streikten, er wollte seinen Frieden, unwissend und blind. Er gierte nach Schlaf, der ihn zu meiden versuchte. Er suchte ruhelos nach Entspannung, die ihn nie erfüllte. Friedlos lag er in einer Art wachem Koma, außerstande zu denken, sich aufzuraffen. Die Qual, nicht völlig in die Traumwelt fallen zu können, marterte ihn unendlich. Die Leere im Kopf, der Körper, der sich weigerte sich zu bewegen, ihm war alles egal. Er sehnte sich nach Einklang, Seelenruhe. Wer schläft, denkt nicht, vergisst, quält seine Innenwelt nicht. Der heilende Prozess des Erholens fand keinen Weg zu ihm, selbst wenn er eine Tablette schluckte. Erst das dritte Dragee führte ihn ins Zauberland. Traumlose Phasen, die er sich bei der Pharmaindustrie erkaufte, bohrten in seinem Gehirn genauso wie die ausgeschlafenen Momente. Er schlief tief, trotzdem oberflächlich. Er wachte auf, fühlte sich zerschlagen. Er wünschte sich ein behäbiges Hineingleiten in den Tag. Aber sobald er erwachte, spürte er ein hohles Gefühl, die Lider brannten, der Schädel brummte, ein schwarzes Loch klaffte in seinem Kopf. Und sofort, ohne Vorahnung erschien Carina erneut, folterte seine Gedanken, forderte jede Aufmerksamkeit. Die Augen stachen in den Höhlen wie Dornen, weiter und immer weiter. Gesichter plagten ihn, Mal für Mal Carina. Sie tanzten vor ihm, warme Blicke, die sich langsam in Fratzen umwandelten, stürzten auf ihn ein, um ihn auszusaugen, alle Emotion aus ihm herauszureißen, Frauen, die er liebte, die er hasste, Menschen, die ihn betrogen, mit seinen Gefühlen spielten, ihn allein ließen.
Jeremias dachte nach. Carina, wie sah sie aus? Er erinnerte sich nicht mehr genau. Dunkelblonde Wellen, lang und rötlich schimmernd im abendlichen Sonnenlicht. Er konnte ihr Antlitz nicht rekonstruieren. Zwischen den Haaren lag eine helle Fläche. Ein Areal, Grinsen, keine Augen, ohne Nase, mit einem Engelsmund.
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