Moritz schob den Wagen Richtung Kasse. »Ich finde sie ganz sympathisch! Wie hat es übrigens deine Familie aufgenommen? Sind sie sehr sauer wegen uns?«
»Meine Eltern waren ein bisschen grimmig, haben sich aber wieder beruhigt, der Rest der Familie interessiert mich nicht!«, beteuerte Carina schnippisch.
»War schon unanständig von uns. Wir haben ohne Zirkusveranstaltung, Trauzeugen und ohne Ringe geheiratet, sind mit den Eltern essen gegangen, haben mit den besten Freunden eine kleine nette Party veranstaltet und ...«
Carina fiel ihm ins Wort, »anstatt eine Doppelhochzeit zu feiern, sind wir drei Tage vor Julians Hochzeit schnell nach Teneriffa geflogen, um nicht an dem Ringelpiez teilnehmen zu müssen. Zweihundert Personen, Kirche, weißes Kleid, Einmannunterhalter, lange Reden, sogenannte Hochzeitsspäße, Polonaise - all das unerträgliche spießige Zeugs. In diesem Fall hat Julian seiner Frau nachgegeben! Er wäre gern mit uns mitgekommen.«
»Er sagt, er hat sich früh einen angesoffen, damit er von dem ganzen Zirkus nichts mitbekommt. Ich hätte das nicht einmal blau ertragen. Ich bin zu alt, um mir höflicherweise so eine Veranstaltung anzutun, das würde mein Leben um ein Jahr verkürzen!« Moritz griff nach der Käsetüte und schob den Einkaufswagen weiter.
»Julian erzählte mir, sie hätten sich alle sehr zurückgehalten. Nur Onkel Otto hielt eine ewig lange Ansprache, Marie- Louise, Lauras Schwester, hat eine langweilige Hochzeitszeitung produziert und vorgelesen. Allerdings bekam Julian das nicht mehr mit, da die Damen aus dem Institut rundum emanzipatorisch den Bräutigam entführten. Darauf fing der Alleinunterhalter an, ein Lied von einer Banane zu singen. Die Gäste sollten den Refrain mitschmettern!« Carina grinste und sang leise: »Mit der Banane.« Sie gab Moritz einen Kuss.
»Glücklicherweise stellte Laura ihn ab, da sie meinte, er wäre nicht als Entertainer engagiert, sondern zum Spielen!«
Die beiden umarmten sich und feixten sich an.
»Das ist uns erspart geblieben! Die nächsten zwei Wochen sind wir halt zu viert. So fürchterlich ist Laura wahrhaftig nicht, wir werden sie ertragen. Julian wird dafür sorgen, dass wir uns verstehen. Er hat die Eigenart etwas aus ihr herauszukitzeln, sie zu entblößen!« Abrupt stoppte Moritz, sein schelmisches Grinsen ging in Ernst über und eine Frau fuhr ihm mit dem Einkaufswagen in die Hacken. »Ich finde, sie ist nicht so, wie sie zunächst ankommt. Hinter einer Mauer steht eine ganz andere Laura, eine unkomplizierte, glaub mir.«
Carina antwortete nicht, blieb nachdenklich in sich gekehrt. Moritz bezahlte an der Kasse und Carina packte energisch die Tragetasche ein, blinzelte keck zu Moritz hoch.
»Wenn die Steuer nicht wäre und all der gesetzliche Vorteil des Erbens, ich denke, ich hätte dich sowieso nicht geheiratet!«
»Freches Biest! Ich dachte, du hast mich geehelicht, weil ich so unwiderstehlich bin!« Moritz kniff Carina in den Po.
»Na ja, es ist nicht auszuschließen, ein bisschen.« Carina lachte kokett zurück.
»Wie meistens sind wir uns einig, das reicht doch, oder?« Moritz nahm Carina in den Arm und küsste sie.
»Aber Laura ist so emanzipiert, ihren Namen zu behalten!« Carina schmiegte sich an Moritz.
»Sie ist ein Star! Laura-Anastasia, wie klänge da Herbst!«, flötete Moritz. »Ich war der Meinung, dein Bruder würde nie den Namen einer Frau annehmen, laute er auch noch so reizvoll!«
»Sie hätte ihren als Künstlername belassen können!«, feixte Carina. »Julian Ritter zu Bernwarth, das klingt wie eine Bilderbuchfigur!«
»Vielleicht macht sie das aus ihm!«
Jeremias saß mit ausgestreckten Beinen auf der Plaza del Charco und genoss ein Weizenbier. Seine Gedanken kreisten um den Tag. Er mietete sich ein Auto und fuhr in die Cañadas. Tagsüber wanderte er im Naturpark umher, ein Landstrich, der ihn völlig in den Bann zog. Lavasteine in den verschiedensten Schattierungen von Schwarz, Dunkelbraun bis Hellbeige, Gelb, grünliche, bläuliche und rötliche Steinformationen beherrschten den Boden. Ein Terrain wie auf dem Mond, der schönste Background für jeden Sciencefictionfilm. In dieser Landschaft kam man sich wie auf einem fernen Stern. Darin in voller Blüte der Teideginster , weiß und gelb, einzeln stehend oder in Feldern. Er fotografierte auf den Knien und von oben auf einer Anhöhe. Die Tajinaste, eine Pflanze, die nur einmal in ihrem Leben blüht und hiernach stirbt, nahm er von allen Seiten auf, wechselte die Objektive. Ein wunderschöner Endemit, der nur auf den Kanaren vorkommt. In dieser Höhe fühlte man die Lautlosigkeit, wollte eins mit ihr werden. Weder drangen die Geräusche des Alltags zum Gipfel herauf, noch gab es einen Vogel, der zwitscherte, eine Grille, die zirpte. Es gab nichts, was die Geräuschlosigkeit zerstörte. Wenn Zeit blieb, würde er den Berggipfel des Teide besteigen. Einzig der Mensch konnte diese Ruhe zertrampeln. Am Hang, nahe der Spitze, befand sich eine Hütte. An diesem Punkt wollte er übernachten, um die Stille des Berges zu genießen, als auch die Sterne, die dort zum Greifen nah waren.
Die späten Sonnenstrahlen wärmten Jeremias` Körper. Er verspürte leichten Hunger. Gregorio, der lustige Barmixer aus dem Hotel, der tagsüber als Wanderführer sein Geld verdiente, empfahl ihm das Regulo . Am Donnerstag würde er mit ihm eine Tour nach Masca unternehmen, in ein altes Piratennest, das erst vor ein paar Jahren durch eine asphaltierte Straße mit der Außenwelt verbunden war. Nach einem schwierigen Abstieg sollte es per Boot zu Gregorio nach Hause gehen, wo die Wandergruppe im Garten eine Parilla, ein kleines Grillfest im Grünen, erwartete.
Ganz am Rand der offenen Bar träumte Jeremias von Masca und beobachtete die Afrikaner, wie sie ihre ethnischen Figuren im Arm hielten und sogenannte Eurouhren zum Schleuderpreis anboten. Woran erkennt man Touristen?, überlegte er. Am ziellosen Schlendern, am suchenden Blick, der zeigte, dass sie keine Ortskenntnis besaßen? Weil ihre Hellhäutigkeit auffiel oder sie ein Sonnenbrand zierte? Man identifizierte sie sofort aus den Augenwinkeln! Zumindest die Nordeuropäer und Russen stachen hervor. Warum waren die cabezas quadradas , Quadratköpfe, wie man sie hier nannte, anders? Jeremias schaute sie sich genau an. Fürs Erste fiel der Gang auf, ebenso die Kleidung. Der Deutsche und der Engländer gingen mit langen, latschigen Schritten, ohne die Eleganz eines Spaniers, insgesamt fehlte die Ästhetik. Die Russen lärmten dazu auffällig. Jeremias teilte die Touristen in drei Kategorien. Zunächst patschte der Schlampi durch die Gassen, ihn trieb nie Eile. Er schien ein gemütlicher Typ Mensch zu sein, trug Schlappen, Söckchen, weite Bermudas oder Shorts, das T-Shirt in die Hose gestopft, den Bauch schwabbelnd über dem Gürtel. Die weibliche Fassung kleidete sich eher offenherzig mit T-Shirt oder stand auf weite Flattergewänder. Am witzigsten erschienen Jeremias die Partnerlook-Schlampies. Den männlichen Teil schmückten in der Regel eine Handgelenktasche oder ein Bauchgurttäschchen und ein kleines Baumwollhütchen mit seitlichem Reißverschluss.
Der sportliche Tourist, die zweite Kategorie, war meist schlank, ging grundsätzlich in Turnschuhen und Sportsocken. Er steckte in Radlerhosen und engem T-Shirt, auf dem Kopf prangte vornehmlich eine Baseballkappe, der Rucksack durfte nicht fehlen. Ganze Familien im Einheitslook hasteten an Jeremias vorbei. Sie wirkten so, als seien sie geradewegs auf dem Weg ins Fitnesscenter.
Die dritte, elegante Variante der Urlauber trug helle Hosen, vorwiegend jeansähnlich, die Herren Mokassins oder geflochtene Lederschuhe, die Damen teure Sandalen. Der Oberkörper prahlte mit Designer-T-Shirts. Bei der Frau schlackerte eine aparte Handtasche über der Schulter, den Mann kniff das Portemonnaie in der Hosentasche. Gemütlich schlendernd blieben sie vor sämtlichen Schaufenstern stehen, wurden von jedem Ticketero angesprochen.
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