»Prima!«, hörte er Laura. Julian öffnete die Haustür.
»Halt, Julian, vergiss nicht deine Mappe!«, rief sie von hinten.
»Verdammt! Wenn ich dich nicht hätte!« Julian gab seiner Frau einen Abschiedskuss. »So gegen fünf, halb sechs, ich rufe dich vorher an!«
***
Das klappte ausgezeichnet, überlegte Jeremias. Reisebüro, einkaufen, essen. Er rechnete. Bis neun würde bestimmt Zeit sein, vielleicht noch länger. Sein Puls stieg. Um halb acht war es dunkel genug. In der Dämmerung saßen die Nachbarn sowieso vorm Fernseher. Die Wohnzimmer lagen nach hinten hinaus. Vorsichtig steckte Jeremias das zigarettenschachtelgroße Richtmikrofon in die Jackentasche. Er wirkte wie ein großer Junge mit Kopfhörern, dem Mikro in der Hand, das jeder für einen MP3-Player hielt. Langsam rollte er auf seinen Inlineskatern die Straße entlang, zog seine Baseballmütze tiefer ins Gesicht. Er lief zur Hauptstraße zurück, wo er den Bus geparkt hatte. Nun ins Hotel und aufwärmen.
***
Um acht Uhr parkte Jeremias den Bus in einer Seitenstraße. Locker schlenderte er zum Gebäude hinüber. Zu Hause hatte er die Werkzeuge bereits ausprobiert. Spielend ließ sich jede Tür unkompliziert in Sekunden öffnen.
Mit seinem Schlagfrequenz-Zylinderöffner sperrte er die Tür auf, ohne das Schloss zu beschädigen. Jeremias schaltete im Flur das Licht an und schritt die unteren Räume ab. Küche und Bad interessierten ihn nicht. Von der Küche ging ein langes Durchreichefenster zum riesigen L-förmigen Wohnzimmer in die Essecke. Hier setzte er einen Minisender an einen Bilderrahmen.
»So, du kleiner Floh, jetzt kannst du mir die Küche und den Essbereich belauschen!« Jeremias war entzückt. Einen weiteren Sender bettete er in den Sitzbereich ein, versteckt in einem Trockenblumenstrauß auf einem Beistelltisch. Er schaute sich um. Das Wohnzimmer im amerikanischen Landhausstil war mit wuchtigen Möbeln eingerichtet. Vor dem Kamin standen eine bequeme Couch und Sessel in Naturweiß sowie ein Holztisch. Der massige hölzerne Esstisch besaß trotz seiner Rustikalität eine feine Note. Ein imponierender Geschirrschrank im Kolonialstil und ein altes Buffet passten sich in die Einrichtung ein. Das ganze Zimmer hinterließ einen behaglichen Eindruck. Nicht sein Geschmack, aber eine Anziehung konnte Jeremias nicht abstreiten.
Das nächste Zimmer schien das Arbeitszimmer von Laura zu sein. Ein aufgeräumter Mahagoni-Schreibtisch, ein PC mit Drucker, ein geblümtes Sofa mit Rüschen im englischen Stil und viele Bücher füllten den kleinen Raum. Alle Wände waren mit einem durchgehenden Regal bedeckt. Hinter der Tür standen säuberlich geordnet und beschriftet eine Menge Aktenordner, am Fenster hing ein Blumenvorhang. Beim Hinausgehen schaute sich Jeremias noch einmal um, es war eindeutig Lauras Zimmer, Laura Ahsley ließ grüßen. Jeremias ging die Treppe nach oben. Hier befanden sich ein großes Bad, das Schlafzimmer, ein winziges Gästezimmer und Julians Arbeitsraum. Ein absolut anderer Stil als im unteren Zimmer zeugte von einem völlig anderen Charakter des Benutzers. Eine mächtige Glasplatte, aufgebockt auf Yton-Steine, diente als Schreibtisch. Blätter verteilten sich anscheinend wahllos auf der Platte, auch der Boden war mit Zetteln überhäuft. Über dem Arbeitsplatz hing ein Regal mit diversen Softwareprogrammen und daneben eins mit Fachbüchern. An einem Haken an der Wand baumelten unterschiedliche USB- Sticks. Zwei Laptops waren miteinander verbunden, ebenso mit einer externen Festplatte. Weiter hinten stand ein schweres englisches Ledersofa mit vielen Lederknöpfen, gegenüber prunkte ein hoher Lederohrensessel. Auf dem Beistelltisch lag ein flaches Messingtablett bestückt mit verschiedenen Glasflaschen, mit ausgewählten Alkoholika. Jedes der Gefäße trug ein Messingschild mit Kette, vermutlich handgearbeitet. Die Aufschriften waren zu differenziert für Kaufhausware. Martinique-Rum, Jamaica-Rum, Malt-Whisky, portugiesischer Sherry, Calvados, Marillenwasser, las Jeremias. In der Mescal-Flasche schwamm sogar der Wurm. Angeekelt schüttelte sich Jeremias. Allerdings zeugte die Auswahl von einem anständigen Männergeschmack. Ein Regal mit Büchern nahm die gesamte Breite in Besitz. Jeremias blickte auf die Titel, wahrscheinlich Julians Lieblingsbücher. Auf dem Tisch lag aufgeklappt ein Lyrikband von Rilke , daneben, mit Lesezeichen versehen, ein Band von Stephen Hawking sowie eine Taucherzeitung. Hier saß Julian offenbar meist allein.
Jeremias verließ das Zimmer. Der Schlafraum war klassisch eingerichtet: ein Bett, ein eingepasster Schrank, der die vollständige Wand einnahm, Nachttische. Jeremias betrachtete das gebürstete italienische Pinienholz, die Patchworkdecke, die Blümchengardine und den Blumendruck von Ernst Fuchs – Lauras Stil. Ein Raum, der nur zum Schlafen taugte, am besten, man löschte sofort die Lampe und klappte schnell die Augen zu. Sollte er hier einen Sender montieren? Warum nicht, grinste Jeremias, er hatte genug dabei. Das Bild eignete sich am besten. Er installierte den Sender auf der Innenseite des Rahmens, nahm ihn wieder ab. Jeremias sah sich nochmals um und entschied sich für den Rauchmelder an der Decke. Er stieg auf die Bettdecke und erreichte die Plastikdose mühelos. Anschließend richtete er die Schlafstatt gerade, in der er eine tiefe Grube hinterlassen hatte.
Jeremias ging zurück ins Arbeitszimmer von Julian. Hier konnte er ungestört Licht einschalten. Das Zimmer lag zum Garten hin. Achtsam schaute er sich auf dem Schreibtisch um. Fast alle Papiere zeigten chemische und physikalische Formeln, für Jeremias uninteressant. Auf den ersten Blick entdeckte er nichts, was er für verwertbar hielt. Er durchkämmte den Schreibtisch nach Zetteln, Passworten, Codes und Ähnlichem. Julian besaß ein gutes Gedächtnis oder ein effizientes Passwortprogramm. Jeremias schaltete den Hauptrechner an. Der Computer verlangte ein Kennwort. Ende, vorbei, ein Passwortknacker dauerte zu lange. Er durchwühlte den Schreibtisch vorsichtig, erblickte ein Telefonverzeichnis. Aber kein Fünkchen wies auf versteckte Codes hin, kein Jota auf Scheckkartennummern, kein Deut auf Zugangsworte. Er suchte unter und hinter dem PC, im Bücherregal nach einem Notizbuch. Die USB-Sticks fielen ihm ein. Jeremias holte sein Notebook aus der Tasche, kopierte die vier USB-Sticks auf seinen Mobilrechner, verließ den Raum und ging zurück in Lauras Zimmer.
Dieses lag auch nach hinten hin. Jeremias knipste die Schreibtischlampe an. Zumindest lagen Dokumente geordnet in Mäppchen, ordentlich beschriftet, er fand sich leicht zurecht. Der Ablagekorb bewies sich wohlsortiert. Jeremias zog die Papierstapel genau auf Linie, parallel zur Tischkante. Auf der Platte lag ein Jahresplaner. Jeremias durchblätterte die Einträge. Es gab hier nicht die Bohne, was ihn interessierte. Jedoch bei den Telefonnummern fiel ihm ein Kingkong mit der Ziffer 857022 auf. War dies ein Chatpseudonym mit der Log-in-Nummer oder der Name für den Laptop mit Passwort, die Eurocardnummer oder Ähnliches? Jeremias notierte die Ziffernfolge, schaltete den Rechner ein. Er sah auf die Uhr, er hatte noch genug Zeit. Die Workstation verlangte den Code vom Bios. Jeremias tippte die Zahlen ein, falsch. Er probierte es mit Kingkong und hatte Glück. Was sollte die Kennziffer bedeuten? Vielleicht sicherte Laura damit bestimmte Dokumente? Jeremias schaute in den Dateimanager, die Daten zeigten sich ungeschützt. Briefe und Manuskripte, viel mehr gab das Gerät nicht her. Jeremias blätterte weiter in der Agenda. Im Telefonverzeichnis unter Wölkchen lagen alle Forumspassworte, verzeichnet mit genauer Angabe, zu welchem Forum oder Chat sie gehörten. Jeremias rief das Chemikerforum auf und loggte sich mit Wölkchen ein. Eine KatzenbergerihreSchwester fragte über den Yahoo Messenger, ob Wölkchen nicht mit TesaFilm essen gegangen wäre. Julian hieß hier also TesaFilm , recht originell!
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