»Was ist ein Pftpft?« Laura schaute Julian verdutzt an.
»Carina meinte damit Glasreiniger, sie verbrauchten anderthalb Flaschen pro Woche, in jedem Zimmer befand sich ein Spray.«
Laura lachte. »Aber das war es doch wohl nicht allein?« Laura beugte sich zu Julian, strich ihm zart über die Schulter, ihre Stimme war leise geworden. »Hast du nicht mal von Gewalt geredet?«
»Carina spricht darüber nicht gern. Hin und wieder hat er ihr eine gescheuert und zum Schluss drohte er, sie umzubringen. Maxi, der Sohn von Jeremias, wohnte auch mit ihnen zusammen, der war anscheinend gleichermaßen nicht ganz frisch in der Birne. Frag sie selbst. Dazu kam noch sein Vater, der sich überall einmischte und versuchte Kontrolle über alle zu haben. Komm, lass uns schlafen gehen, ich bin hundemüde!«, gähnte er.
Julian stand auf und zog Laura aus dem Sessel.
»Du hast recht, es war ein anstrengender Tag«, sagte sie schlaff.
Am Freitagnachmittag kamen Moritz und Carina in Mannheim an, kurz danach Julian und Laura. Der Geburtstag der Mutter wurde gefeiert. Für den Samstag verabredeten sich die Jungs mit alten Freunden. Carina und Laura überlegten sich, lieber alleine wegzugehen. Sie saßen in einer kleinen Kneipe in der Altstadt.
»Ihr müsst mich für selten dämlich halten«, bemerkte Laura plötzlich.
Carina fühlte sich ein bisschen ertappt und schaute erschreckt aus ihren Gedanken hoch. »Wie kommst du darauf?«
»Irgendwie mein Gefühl!« Sie knabberte an ihrem Strohhalm und blickte auf den Boden. Heute sah sie recht salopp aus: Weiße Jeans, unauffälliges T-Shirt, die dunkelblonden Haare fielen untoupiert locker über die Schulter. Carina war seit Teneriffa aufgefallen, wie sehr sich Laura äußerlich verändert hatte. Als ob sie sich beobachtet gewahrte, lugte Laura an sich herunter.
»Nicht mehr so steif?«, fragte sie leise mit leicht zitternder Stimme.
Carina nickte.
»Ich hatte mir auf Teneriffa ein paar neue Sachen gekauft, Julian gefiel das. Zu Hause habe ich ihn zu meinem Schrank geführt und gesagt: ‚Schau mal, was dir nicht gefällt’. Er klappte die Tür zu, meinte: ‚Fast alles’.«
»Uff!« Carina klapperte irritiert mit den Lidern.
»So ging es mir auch, ein Schlag in den Magen. Aber er sagte, er habe nicht meinen Kleiderschrank geheiratet, sondern mich, was mich wieder beruhigte. Wir haben darauf ein ganzes Wochenende Kaufrausch gespielt, frag nicht, was das gekostet hat!« Laura lachte heiser: »Heimlich bin ich vorher noch zu einer Farbund Stilberaterin gegangen, sag es bloß nicht Julian, du weißt, was er davon hält!«
»Zumindest siehst du um Klassen besser aus!«, prustete Carina.
»Danke, ich fühle mich gut. Ich war wohl so eine Art Litfaßsäule: von sämtlichen bunten Plakaten eins! Mir brachte keiner bei, wie man sich vernünftig kleidet. Meine Mutter schleppte mich grundsätzlich in elitäre Damengeschäfte, stattete mich mit Klamotten aus, die mir gar nicht gefielen. Stil bedeutet nicht aufzufallen, hat sie gepredigt. Ich habe es so gehasst: Braun, Beige, Dunkelblau, Weiß, Creme, Faltenröckchen, Blüschen, Rüschen, hochgeschlossen! Genau damit BIN ich aufgefallen! Die anderen durften Jeans tragen, ich nicht. Bauerntrampel haben sie zu mir gesagt, Muttis Liebling! Dabei war das Zeug verdammt teuer! Irgendwie hab ich das noch immer in mir drin, Jeans trägt man nicht, verrückt, aber ich trug sie nur zur Gartenarbeit!« Laura lachte, bis ihr die Tränen die Schminke verschmierten. Sie fühlte eine Mischung aus Schmerz und Absurdität und ihr Gesicht verzog sich zu einem Lachen, teils aus Leid, teils aus Befreiung.
Carina griff nach ihrer Hand. »Ist in Ordnung, du kannst nichts dazu!«
»Oh doch! Ich habe mir viel zu lange vorschreiben lassen, was ich zu tun hätte. Und Julian fängt auch damit an. Ist bequem, so eine blöde Kuh wie mich zu haben, die alles macht, was man ihr sagt!«
Carina erlebte Laura das erste Mal aufbrausend.
»Sag dem Schnösel, wo es langgeht! Du hast vollkommen recht! Er soll sich seine Socken selbst aus dem Schrank holen!«
»Nicht nur das, er soll sie sich alleine kaufen!« Laura klatschte die Hand auf den Tisch. »Du solltest ihn mal sehen, er kennt seine Konfektionsgröße nicht, nicht für Hemden, Anzüge, nur seine Schuhgröße weiß er!«
»Wie hat er früher eingekauft?«, rätselte Carina.
»Beobachte mal die Verkäuferinnen! Bin ich dabei, kümmern sie sich kein bisschen um ihn. Wenn ich weiter hinten bleibe, tue, als gehöre ich nicht zu ihm, dann stottert er sich einen ab. Er bräuchte eine Jeans, ein Jackett oder etwas anderes. Sie erkundigen sich nach der Größe, aber der abschätzende Blick läuft mit, denn sie wissen vorher, was kommt.
‚Meine Größe?’‚ so fragen die Männer entsetzt. ‚Sind SIE Verkäuferin oder ich?‚ Der strikte Tonfall macht es, bestimmt von dem prüfenden Blick von oben nach unten! Verkäufer kennen die Körpermaße schon per Beäugen! Garantiert!« Laura schüttelte sich vor Lachen. »Männliche Verkäufer holen zumindest zur Selbstachtung noch das Maßband heraus und messen die Kerle aus!«
»Männer sind eben in manchen Dingen einfach nur peinlich!«, lachte Carina. »Wir irgendwie auch, oder? Deine Haare liegen völlig anders, nicht mehr so perfekt durchgestylt! Das gefällt mir.«
»Wenn du mal bei uns bist, zeige ich dir einen Ausschnitt aus einer furchtbar platten Frauenzeitschrift, dort habe ich früher gearbeitet.«
»Du?«
»Ja, bevor ich Bücher schrieb, die Artikel waren schlecht, passend zum Anspruch der Leser. Das ist unser Familienbetrieb, der Verlag. Publikationswissenschaften musste ich selbstverständlich studieren, das erwartete man von mir. Ich fragte bei den alten Kolleginnen, wo ich eine Farbund Stilberatung finde. Es lief gerade eine Aktion: Vorher und nachher, damit hat es mich nicht mal was gekostet. Ich trug das teure Kostüm von Oilily mit der pinkfarbenen Bluse und dem roten Rock, das kennst du, die Berater schmunzelten!« Laura schien jetzt richtig aufgetaut. »Wir mussten uns abschminken, nur ich nicht, weil ich so gruselig aussah. Sie pinselten mir Ringe unter die Augen, zerzauselten das Haar. Die schlimmsten Fotos wählten sie dann aus, um sie abzudrucken, bitte recht dämlich dreinschauen! Du erkennst mich nicht wieder, glücklicherweise.«
»Alles nur Verarschung! Wusste ich`s doch!« Carina blickte nun interessiert.
»So ähnlich hatte ich mir das vorgestellt, klar. Sie stylten uns neu mit schönstem Make-up, frischer Frisur, völlig natürlich. Dazu kam neue Kleidung! Ausgeleuchtete Fotos selbstverständlich, von Visagisten geschminkt, perfekt in Szene gesetzt, da sieht auch die hässlichste Eule fast annehmbar aus!«
»Bei dir hat es wirklich etwas genützt!«, lachte Carina.
»Stimmt, sie gaben mir gute Tipps! Aber die Optik allein war es nicht. Weißt du, ich bin nicht so, wie die meisten Menschen glauben. Ich habe einmal ganz ernsthafte Dinge geschrieben, Essays, Kurzgeschichten, und sogar vor Jahren einen Preis gewonnen. Zu Hause liegt noch ein Script für einen Roman, ein mühsames Stück Arbeit. Ich bin von Verlag zu Verlag gerannt. Neulinge haben es sehr schwer. Eines Tages schrieb ich ein Märchen für meine Nichte. Meinem Onkel hat es gut gefallen, er meinte, er würde es in seinen Kinderbereich aufnehmen und das Buch verlegen. So fing es an. Ich war nicht stolz auf die banalen Geschichten, wohl aber auf mein erstes Buch und den Erfolg! Auch wenn es ein kitschiges Kinderbuch war.«
»Immerhin verdienst du eine Menge Geld damit!«, sagte Carina.
»Das ja. Es ist für mich nicht einfach, so trivial zu bleiben. Anspruchsvoll darf es in dem Verlag nicht sein. Allerdings, ich habe unter Pseudonym zwei hübsche Kindergeschichten bei einem guten Verlag eingereicht. Sie werden diese wahrscheinlich veröffentlichen. So fahre ich zweigleisig, kann meine ernste Seite zeigen.«
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