Thomas und Lydia schienen schon viele Jahre zusammen zu sein. Vielleicht hatten sie früher einmal besser zusammen gepasst? Er mit seinem etwas verschlagen wirkendem Gesicht, den coolen Klamotten und der Piloten-Sonnenbrille wirkte fehlplatziert neben ihr. Sie lachte artig mit über seine Geschichte. Ihr massiver Pferdeschwanz wippte mit, auf ihrer beachtlichen Oberweite schaukelte die bunte Kette mit den großen Indianerperlen. Sie steckte in einem bunten Kleid, das sicherlich kaschierend wirken sollte.
Abby, die neben Lydia saß, war da anders: “Also, als ich letztens mit meiner Tochter in Kuala Lumpur war, um dort bei einem ihrer Tennisturniere dabei zu sein, da sind wir wieder mal in einer dieser amerikanischen Hotelketten abgestiegen. Inzwischen bevorzuge ich ja Boutiquehotels, die sind viel individueller, aber naja, wenn eine Schulgruppe reist, muss man halt Zugeständnisse machen. Und den Kindern ist das ja auch egal. Jedenfalls dort, fünf Sterne und alles, aber dort war ein paar Zimmer weiter von uns so ein Krach, das hat man voll auf dem Flur gehört. Da müssen sich zwei ganz furchtbar gestritten haben. Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Frühstück habe ich dann gesehen, wie das Zimmermädchen sogar kaputte Flaschen aus dem Zimmer geholt hat. Man weiß einfach niemals, wer da so neben einem wohnt. Schon manchmal unangenehm!” Sie schob ihre kantige Brille ungeduldig auf ihre kurzen roten Haare, ihr hageres Gesicht zeigte sorgenvolle Falten. Bestimmt rannte sie Marathon oder so etwas. Um die vierzig Jahre, sportlich mager, teure Sportklamotten und Haare, die auch beim Triathlon nicht stören. Jetzt auch noch eine Tochter, die ein Tennisstar werden sollte.
Die Gesellschaft von Sportlern machte sie oft müde. Ruth war froh, dass man gemeinhin mit 55 nicht mehr Marathon laufen musste. Nicht dass sie das mit 25 gemacht hätte. Aber jetzt musste sie immerhin nicht mehr erklären, warum sie an diesem erhebenden Erlebnis keinerlei Anteil haben wollte. Sie schwamm gerne, aber nicht um eine Bestzeit zu erzielen, sondern weil sich dabei so schön nachdenken ließ und einen wirklich mal keiner anquasselte. Das traf auch auf Tauchen und Schnorcheln zu. Darauf freute sich sich schon. Immerhin war die Insel so klein, dass nicht viele Joggen gingen, die müssten dann wohl viele Runden drehen, bis sie ihre 10 km gelaufen sind. Eine leistungssportfreie Zone. Schon alleine das war erholsam.
Abbys Mann Sam war natürlich auch ein Sportler. Es gab ja kaum noch Topmanager, die nicht auch noch Ausdauersport machten. Kann ja schon sein, dass man an sportlichen Trophäen den Willen zum Siegen, zur Teamfähigkeit und zur Ausdauer ablesen konnte. Aber Ruth fand ganz altmodisch, dass es am besten wäre, wenn sie was von ihrem Geschäft und den Menschen verstehen. Dieser Sam schien heute Mittag aber einfach nur seine Ferien genießen zu wollen, denn er sprach wenig und unterdrückte ein Gähnen und sagte dann “Ich mach nachher einen Mittagsschlaf. Heute Nachmittag wollte ich dann mit dem Kajak einmal um die Insel fahren. Kommt einer mit?”
Lydia runzelte die Stirn. Aber weil sie etwas pummelig war, sah es eher putzig aus. Sie warf ein: “Ist das nicht gefährlich mit den Meeresströmungen und Riffen? Ich wollte heute Nachmittag lieber am Pool schwimmen gehen! Das ist so eine feine Sache. Alle Vorzüge des Meerwassers für die Haut minus der glitschigen Algen und scharfen Korallen. Da kann man prima schwimmen, wenn alle Anderen ihren Mittagsschlaf machen!”
“Lydia, du schon wieder! Der Pool ist doch heute geschlossen! Das haben sie uns doch beim Frühstück schon gesagt. Und so nah an der Insel ist das schon okay mit den Strömungen. Unser Sam ist doch ein starker Junge, der kann auch ein bisschen gegen den Strom paddeln, nicht wahr?” Gary klopfte Sam auf die Schulter. Sam lächelte, aber das wirkte nicht ganz echt. Eher so wie die Leute im Fernsehen wenn die Reporter unangenehme Fragen stellen, und man alles abstreiten muss.
Gary war ganz der joviale Typ. Er sah aus, als könnte er jeder Hausfrau eine Hausfinanzierung verkaufen. Braune Locken, freundliche grüne Augen und mittelgroß. Der Traum einer Schwiegermutter. Ruth hatte den Verdacht, dass auch ihre Mutter so einen besser gefunden hätte. An alle gewandt verkündete Gary dann: “Ich will mich heute mit dem Segeln vergnügen. Wenn es Gabrielle besser geht, kann sie ja mitkommen. Als ich vorhin in unsere Villa kam, waren die Jalousien unten und sie hat geschlafen. Ist bestimmt noch diese Erkältung. Heute nach dem Frühstück hat sie ja gesagt, dass es ihr eigentlich besser geht, aber dann hat sie wohl doch Kopfschmerzen bekommen. Jedenfalls lad ich sie nachher mit ins Boot! Eine Meerjungfrau mit mir auf einer einsamen Insel!” Er lachte laut auf und nahm sich noch einen Schluck Rotwein. Das Leben meinte es einfach gut mit ihm. Meinte er jedenfalls.
Auch Sonya hatte jede Menge Pläne für den Nachmittag. Ruth hingegen setzte sich an den Strand, streckte ein bisschen die Füße ins Wasser, sah den Leuten zu und las ihr Buch.
Wie jeden Tag versammelten sich die Gäste gegen fünf an der Strandbar. Die Kinder gingen mit dem KidsClub zur Schatzsuche und waren damit aus dem Weg. Die Großen konnten sich dann einen Longdrink oder ein Bier genehmigen und den Abend einläuten. Die meisten Gäste blieben nur für drei, vier Tage. Eine Insel mitten im Nirgendwo. Einsamkeit und Stille. Wer wollte, konnte allerhand auf dem Wasser unternehmen: Schnorcheln, Tauchen, Kajak fahren, Surfen oder Segeln. Im Bootshaus gab es noch jede Menge andere Wassersportgeräte, von denen Ruth noch nicht mal wusste, auf welches Ende man sich wohl stellen oder setzen sollte, geschweige denn den Namen der damit verbundenen Sportart. Auf der Insel selbst konnte man klettern oder eine Tour durch die Botanik machen. Morgen war auch der Pool wieder geöffnet.
Am Strand war Ruth mit anderen Urlaubern ins Gespräch gekommen: “Weißt du,” hatte Hermann sie gleich geduzt, “meine Investitionen laufen gut. Jetzt, über die Feiertage ist nicht gerade viel los, weder in den Fabriken noch bei meinen, äh, Geschäftspartnern und so ist das die einzige Zeit im Jahr, wo ich endlich mal weg sein kann, ohne dass mich meine Sekretärinnen ständig anrufen oder Termine ausmachen. Es arbeitet ja keiner, wenn der Chef nicht im Büro ist. Und dann am Abend immer Essen,” er klopfte auf seinen stattlichen Bauch “da muss man mal eine Auszeit nehmen. Bei meinem ersten Mal war ich auch nur für drei Tage hier, aber seither komme ich lieber länger.”
Hermann war auch schon an der Bar. Er trug einen blassgelben Hut und ein Hemd mit Blumen, das irgendwie sportlich aussehen sollte. Eine Sportuhr von einem bekannten Hersteller umspannte den mächtigen Arm. Hermann war ganz offensichtlich nicht der Outdoor- und Sportsmensch. Aber heute hatte die Haut unter seinen vielen Haaren viel zu viel Sonne abbekommen, dieser Sonnenbrand würde sich bestimmt pellen! Ob er wohl ein Sportprogramm aufgenommen hatte, um sich für die nächsten Geschäftsessen zu stählen? Bestimmt würde er gleich alles mit lauter Stimme seinen Freunden erzählen, die sich dort einfanden.
Hermann reiste mit seiner Frau May. Erst hatte Ruth vermutet, es wäre wieder einmal die ewige Geschichte von “nicht sehr fescher Ausländer im fortgeschrittenen Alter heiratet umwerfende Asiatin, die ihm so angenehm zu Füßen liegt.” Nachdem die Zufriedenheit über den reichen Fang abgeklungen ist und alle teuren Handtaschen eingekauft wurden, kommt die Langeweile. Aus den ehemals so hübschen Gesichtern sprachen dann die Enttäuschung, Verbitterung und Gehässigkeit. Bei Hermann und May sah es aber nicht danach aus. May wirkte sehr zufrieden und lachte gerne. Vielleicht waren sie noch im frühen Stadium? Vielleicht war es ja bei ihnen auch wirklich die wahre Liebe?
Die Kurzhaarige, die auf sie zusteuerte, kannte Ruth schon vom Mittagessen. Abby kam zu ihnen. “Hallo Hermann! Hallo Ruth, richtig? Hattest du einen schönen Tag?” Sie hatte wohl etwas Pilates am Strand gemacht und fühlte sich richtig gut. Sam war eben erst vom Paddeln zurück und machte sich noch fertig. “Hermann, ist Gary mit Gabrielle noch nicht da? Ich muss ihr was erzählen, da wird sie staunen!“ kündigte sie mit einem gewissen Triumph in der Stimme an. An Ruth gewandt, erklärte Abby, dass Gabrielle sonst schon meist früher kommen würde. “Weißt Du, Ruth, durch die Abendsonne kommt das kurze, hauchdünne Kleidchen, was sie dann immer trägt, die Resultate ihres Fitnessprogramms und des Sonnenbadens besonders vorteilhaft zur Geltung. Auch Hermann freut sich schon besonders auf diesen Teil der Aussicht, oder Hermann?” Gelassen winkte Hermann ab, aber er schaute trotzdem mit einer gewissen Erwartung schon mal in Richtung des Platzes auf dem Gabrielle gleich sitzen sollte.
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