Man benötigte kein Fernglas, um die Wirkung des Schusses zu erkennen.
Es hatte ein Warnschuss werden sollen, der möglichst dicht am Ziel einschlug. Das Projektil hatte jedoch den Bug des hölzernen Beibootes getroffen, und ihn in einen Schauer umher fliegender Splitter verwandelt. Wahrscheinlich waren einige der Insassen verletzt oder sogar getötet worden.
Auf der Fregatte war ein Signalhorn zu hören, während zugleich eine Luke in der Seitenpanzerung nach oben schwang. In dieser wurden Seeleute sichtbar, die den Gestalten im Wasser Rettungsleinen zuwarfen. Zeitgleich wurden an Bug und Heck des Schiffes französische Trikoloren aufgezogen.
„Jetzt ist der Froschfresser sauer und macht klar zum Gefecht“, kommentierte Chief Walker.
„Ja, und der berühmte englische Nebel lässt uns jetzt auch allmählich im Stich.“
„Wenn wir jetzt abdrehen dauert es, bis wir richtig in Fahrt sind“, meinte McDenglot. „Das gibt dem Franzosen gute Gelegenheit, uns aufs Korn zu nehmen.“
„Lässt sich nicht ändern“, knurrte Chief Walker. „Das müssen wir halt hinnehmen.“
„Ich habe keine Lust dazu, dass unser altes Mädchen etwas hinnehmen muss“, erwiderte der Captain. „Mir ist es lieber, es teilt etwas aus.“ Er klopfte dem Rudergänger auf die Schulter. „Voll draufhalten. Alles, was der Kessel hergibt.“
„Draufhalten, Sir?“ Der Mann blinzelte kurz. „Direkt auf den Franzmann zu?“
„Damit wird er am wenigsten rechnen. Ich glaube nicht, dass er uns für so tollkühn hält, dass sich ein Kanonenboot mit einer ausgewachsenen Fregatte anlegt. Also, halten wir mit Volldampf auf ihn zu, fahren längsseits an ihm vorbei und verschwinden dann.“
Das Gesicht von Lydia Smythe war ein wenig blass, während sich der Chief keine Regung anmerken ließ.
„Volldampf und geradewegs drauf zu. Aye, Sir“, bestätigte der Rudergänger.
Er drückte die Schubhebel nach vorne und unten im kleinen Maschinenraum öffnete Maschinenmaat O´Ley unter wilden Flüchen die Ventile. Dampf strömte gegen die Kolben und der Antriebspropeller der Thunderer begann mit höchsten Drehzahlen zu laufen.
Das alles spielte sich in wenigen Augenblicken ab und in dieser Zeit schwenkten die der Thunderer zugewandten Geschütze des Franzosen in ihren Gondeln herum, während man immer noch versuchte, die Bootsinsassen an Bord zu ziehen. Eine ungleichmäßige Salve ertönte, die hastig und schlecht gezielt war. Die Geschosse klatschten harmlos in die See, aber die Druckwelle riss den in Auflösung befindlichen Nebel weiter auseinander und ließ die Fenster der Brücke zerbersten. Glassplitter verletzten die Männer, wohingegen Lydia Smythe, wie durch ein Wunder, völlig unversehrt blieb.
„Jetzt weiß er, wer wir sind“, sagte McDenglot und blickte unverwandt auf den näher kommenden Franzosen. „Unserem Geschütz nach hat er uns sicher ebenfalls für eine Fregatte gehalten, aber jetzt kann er sehen, dass die Thunderer nur ein kleines Kanonenboot ist.“
„Das wird er wohl nicht sonderlich amüsant finden.“ Chief Finnegan Walker zupfte einen Splitter aus seiner Wange und fluchte grimmig, als ihm Blut in den Hemdkragen sickerte.
McDenglot wischte ein paar Fragmente der Glasscheibe aus dem Rahmen und beugte sich hinaus. „Feuer erwidern, verdammt!“, rief er der Geschützmannschaft zu. „So schnell ihr laden könnt.“
Eine zweite Salve des Franzosen dröhnte. Eines der Geschosse zischte über die Brücke hinweg und es hörte sich für einen Moment an, als würde ein Güterzug über den Aufbauten entlang fahren. Diesmal antwortete die Kanone der Thunderer , aber die Kugel prallte harmlos an der schrägen Seitenpanzerung des Gegners ab.
Der Franzose war in keiner beneidenswerten Lage, obwohl die Fregatte dem Kanonenboot überlegen war. Die Thunderer näherte sich mit voller Fahrt und der französische Kapitän musste befürchten, dass sie von Verrückten bemannt war, die sein Schiff zu rammen versuchten. Zugleich sorgte er sich um die Bootsinsassen. Doch er hatte keine Wahl, denn die Sicherheit des Schiffes ging vor. Das Pfeifen von Überdruckventilen war zu hören, als die Fregatte Ruder legte und langsam herum schwang, damit sie dem Angreifer nicht die Breitseite, sondern den schmalen Bug zuwandte. Drei der Bootsinsassen waren inzwischen an Bord gezogen worden, ein anderer versuchte verzweifelt, mithilfe der Leinen in die offene Luke zu gelangen.
„Hartruder Rechts!“, brüllte Eugenius McDenglot und Chief Walker trat rasch neben den Rudergänger, um unterstützend in die Speichen des Rades zu greifen.
Augenblicklich begann die Thunderer überzuholen, neigte sich bedenklich auf die Seite und schwenkte auf den neuen Kurs ein. Das Manöver kam so überraschend, dass die nächste Salve des Franzosen erneut ins Leere ging. Der letzte Schuss, den das englische Schiff hingegen auslöste, erwies sich als schwerer Treffer.
An Bord der Thunderer hörte man ein metallisches Dröhnen, dem ein heftiger Schlag folgte. Während das kleine Schiff in kaum dreißig Metern Abstand an der Fregatte vorbeizog, wölbte sich deren Deck zwischen dem Vormast und dem Hauptmast auf. Eine Wolke aus Dampf, Metallteilen und Holzsplittern wirbelte empor, dazwischen die Überreste von Menschen.
McDenglot und die anderen starrten überrascht auf den Gegner, dessen Geschütze nun schwiegen.
„Donnerwetter“, murmelte ein Mann der Geschützbedienung. „Was ist denn da passiert?“
Eugenius McDenglot schob seine Offiziersmütze nach hinten und kratzte sich erstaunt im Nacken. „Ich weiß es nicht. Vermutlich ist unser Geschoss durch die offene Luke gesaust und hat im Innern des Schiffes einen der Kessel getroffen.“
Es war ein Zufallstreffer, auch wenn der Geschützführer später anderes behaupten würde.
Scheinbar hatte der getroffene Kessel nicht unter vollem Druck gestanden, denn die Fregatte war zwar schwer beschädigt, hielt sich aber über Wasser. In jedem Fall machte sie keinerlei Anstalten, erneut auf die davoneilende Thunderer zu feuern oder sogar die Verfolgung aufzunehmen.
„Das wird uns niemand glauben“, stellte Chief Walker kopfschüttelnd fest. „Unsere alte Thunderer hat fast eine französische Fregatte versenkt.“
„Nun, ich fürchte eher, dass man uns durchaus glauben wird“, meldete sich Lydia Smythe zu Wort. „Die Besatzung des Franzosen wird über diesen Vorfall berichten und das wird verdammt hohe Wellen schlagen.“ Sie sah den Captain eindringlich an. „Die werden von einem unprovozierten Angriff sprechen und wir haben keinen Beweis, dass sie wirklich Spione an Land setzen wollten.“
„Ja“, räumte McDenglot ein, „es wird wohl Ärger geben. Aber Sie alle haben auf meinen Befehl gehandelt. Daraus kann man Ihnen keinen Strick drehen.“
„Dafür könnte man einen Strick um Ihren Hals legen, Captain“, sagte Lydia Smythe und ihre Sorge war unverkennbar. „Der Franzosenkaiser wird nach Blut und Vergeltung schreien, und unsere Königin und die Admiralität müssen einen Krieg vermeiden. Man wird nach einem Opfer suchen, Sir.“
Captain Eugenius McDenglot nickte bedächtig. „In der Tat, das wird man wohl.“
Lydia Smythe hatte sicherlich Recht und er konnte sich durchaus denken, welches Opfer man wählen würde.
Das Dampf-Motorrad-Rennen
Das Motorrad erregte ebenso viel Aufsehen, wie der Mann, der es fuhr. Das war keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedachte, dass es im Augenblick auf der Isle of Man von Motorradfahrern und Anhängern des Rennsports wimmelte. Es waren die drei Tage der berühmten Touristen-Trophäe, die allgemein auch als Todesrennen bekannt waren. Drei Tage, in denen das Stampfen, Zischen und Heulen der Dampfmotorräder die Insel beherrschen würde. Für die Insel und ihre Bewohner, die sich selbst als Manx bezeichneten, galt der Ausnahmezustand. Zahlreiche Zuschauer waren von den englischen Inseln und dem europäischen Festland herübergekommen, um dem Rennen beizuwohnen. Viele aus Interesse am Sport, viele in der sensationslüsternen Gewissheit, dass es wieder Tote geben musste, und manche, um während des Rennens ihren Geschäften nachzugehen.
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