1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Doch er war ein Massai! Sie waren ein stolzes Volk. Sie ignorierten sogar die Befehle der Regierung, die ihnen verbot, im Krater zu siedeln! In den letzten Jahren siedelten sie jedoch auch im Ngorongoro Krater, wo sie früher immer schon ihre Tiere weiden ließen. Es war gutes Weideland. Und das Soda, das im See vorhanden war, war sehr wichtig für die Tiere, die sie als Haustiere hielten. Die Kühe und Schafe waren ihr ganzes Vermögen. Ging es den Tieren gut, ging es auch ihnen gut. Deshalb arrangierten sie einen Umzug mittels ihrer Lastesel und erbauten ihre Boomas im Krater. Kurz darauf vertrieb sie die Regierung mit der Androhung auf Strafe, falls sie sich den Gesetzen nochmals entgegen stellen würden.
Der Ngorongoro-Krater war eine Conservation Area. Rund um den Krater war es den Massai von der Behörde aus erlaubt, an den oberen Berghängen zu wohnen. Unten im Krater war es ihnen nicht erlaubt. Die Wildtiere mussten geschützt werden. In der Serengeti durften sie überhaupt nicht wohnen, weil dies ein Nationalpark war und in diesem weder gewohnt, noch etwas von dem, was der Busch zu bieten hatte, verwendet werden durfte.
So wanderten viele von ihnen vom Ende des Nationalparks Serengeti bis zum Krater, denn dort war das Land noch weit und man konnte die roten Stoffbahnen der Massai schon in der Ferne ausmachen. Rot war die Farbe, die Löwen nicht sehen konnten. Dazu fehlten ihnen die Rezeptoren.
Seine Vorfahren, die Massai-Krieger in Ostafrika machten seit jeher Jagd auf Löwen, sowohl um ihre Viehherden zu verteidigen, als auch um in rituellen Zeremonien ihren Mut unter Beweis zu stellen. In Kenia war der Löwenbestand durch die intensive Bejagung auf etwa 2000 Exemplare zusammengeschrumpft – mit Tendenz nach unten.
Um die verbliebenen Tiere zu schützen, hatten sich viele Massai dazu entschlossen, mit jahrhundertealten Traditionen zu brechen und die Löwen unter ihren Schutz zu stellen, statt sie zu töten. Eine drastische Umstellung, die nicht bei allen Massai auf ungeteilte Zustimmung gestoßen war. Für Nbele war der Schutz der Löwen früher wichtig. Schließlich kamen dann Touristen, die die Löwen sehen wollten und dann besuchten diese auch sein Volk und zahlten viel Geld dafür. Das brachte wiederum Reichtum für seine Familie und seinen Stamm. Auf diese Weise konnten sie sich mehr Schafe und Rinder leisten und waren angesehen. Aber nun, da er alleine war, waren ihm die Löwen auch egal.
Nbele war sehr stolz und er konnte sich mit einer Hand genauso gut verteidigen wie andere Menschen seines Dorfes. Doch die Massai konnten nicht mit seiner Verletzung umgehen. Es kam so gut wie nie vor, dass jemand so einen Schlangenbiss im Dorf überlebte, genauso wenig wie jemand eine Amputation überlebte. Deshalb wussten die Menschen im Dorf nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollten.
Aus diesem Grund beschloss er, das Dorf zu verlassen und irgendwo ein neues Leben zu beginnen. In den Städten war es einfacher mit einer Handamputation zurechtzukommen, dachte er bei sich und ging sehr weit weg von seinem Dorf. Er wohnte in verschiedenen Orten in Afrika. Er schlug sich bis nach Ruanda durch. Doch er täuschte sich. Die Menschen waren ihm gegenüber nicht weniger voreingenommen. Er hatte es immer schwer. Die Stadtbewohner hatten sowieso Angst vor ihm, wie es ihm schien. Generell waren Massai für ihre Furchtlosigkeit bekannt und deshalb hielt die normale Bevölkerung Abstand zu ihnen.
So lernte er eines Tages Nngo kennen. Nngo war es egal, wie es schien, dass er ein Massai war und dass er nur eine Hand hatte. Er war ein kalter Bursche und er hasste den Busch genau wie Nbele. Als Nngo ihm ein Geschäft vorschlug, willigte er ein ohne sich darüber Gedanken zu machen. Großwild abschlachten, das konnte er auch mit einer Hand und es brachte sehr viel Geld. Danach konnte er sich für mehrere Jahre zur Ruhe setzen. Er hatte kein Geld. Er benötigte auch nicht viel für sein Leben. Aber nach diesem Job wollte er sich mehrere Jahre am Strand von Mozambique oder anderswo ausrasten.
In der Zwischenzeit war es schon feuchtschwül und dämmrig geworden. Die Abendsonne schien mit immenser Kraft auf sie herab. Was sollte er nur mit Nbele anfangen? ärgerte sich Nngo. Er war ihm eher eine Last als eine Hilfe. Er traf immer die falschen Entscheidungen. Er konnte die Gefahr nicht abschätzen und immer musste er ihm etwas anschaffen, anstatt dass er selbst zupackte. Der Auftrag, den sie vor einer Woche angenommen hatten, bedurfte aber Feingefühl. Tiere aufzuspüren war noch die geringste Schwierigkeit. Es bedeutete, Gefahren vorher zu wittern. Zu wissen, welche Gewohnheiten bestimmte Tiere hatten, war eine Grundvoraussetzung für ihren Job. Er hatte Nbele nur engagiert, weil dieser ein Massai war und - somit im Busch aufgewachsen - sollte er über die Tiere und Gefahren Bescheid wissen. Er sollte ihm zur Seite stehen und die Drecksarbeit für ihn erledigen!
Nngo hatte die Gebiete auf der Landkarte genauestens eingezeichnet, damit sie sich nicht verirrten und den Rangern in die Hände liefen. Das Gebiet war dicht mit Buschwerk besetzt. Einerseits war dies für ihre Deckung gut, andererseits waren die Tiere nur schwer aufzuspüren. Man musste schon wissen, wo sie sich ungefähr aufhielten. Er hatte alles unter Kontrolle. Er machte diesen Job nicht das erste Mal!
Nngo fuhr sich über seine Glatze. Er mochte keine Haare, da sich in seiner Krause bei der Hitze nur Getier ansammeln würde. Außerdem musste er die Glatze nicht waschen. Wasser war sowieso Mangelware.
Nngo saß aufrecht auf dem Jeep, fuhr sich mit der Hand über seine Glatze und gab Nbele weitere Befehle. Er war sicher, dass sie es mit Hilfe der Steine schaffen konnten, diesen Fluss zu überqueren. Er blickte zornig zu Nbele!
Er selbst würde ihm nicht helfen. Er musste schließlich Ausschau nach Wildtieren halten. Sein olivgrünes T-Shirt und die Khakihose waren vom Schweiß schon ganz durchnässt. Für 17.00 Uhr war es noch besonders warm. Es hatte wahrscheinlich noch 37 Grad. Die Luft war dunstig. Regenwolken bedeckten den Himmel. Es war Regenzeit und sie hatten bis jetzt Glück gehabt, denn der Fluss war bisher das einzige Hindernis auf ihrer Fahrt. Afrika konnte in der Regenzeit besonders gefährlich sein, wenn man in Pfützen oder reißenden Flüssen stecken blieb. Dann musste man Hilfe rufen und das war auf ihrer geheimen, gefährlichen Mission nicht drin! Vor ein paar Jahren wären sie wahrscheinlich schon zigmal stecken geblieben, aber nun war das Klima auch zur Regenzeit trockener geworden, was ziemlich verwunderlich war. Auch die Bäume und Sträucher waren verdorrt, obwohl zu dieser Jahreszeit alles grün leuchten müsste.
Nngo blickte erzürnt, die Stirn in Falten gezogen, von dem sicheren Jeep hinunter. Er hatte Nbele für die Drecksarbeit angeheuert! Doch er spürte einen starken Widerwillen, der von Nbele ausging.
Nbele hatte Mühe, größere Steine mit einer Hand zu tragen. Er fing an sich zu ärgern, was gar nicht seinem Naturell entsprach. Es war ein anstrengendes Unternehmen. Seine Gummischlapfen, selbstgebastelt aus alten Reifen, die ein LKW-Fahrer am Straßenrand weggeschmissen hatte, und seine Füße waren schon ganz nass. Vor allem war es schon dunkel und sie mussten rechtzeitig in ihrer Unterkunft sein, sonst konnten sie die Nacht hier im Busch verbringen und das war das, was sie am wenigsten wollten!
Er wollte Nngo am liebsten die Meinung sagen, er möge ihm doch endlich helfen! Doch der saß in seinem Jeep, blickte geringschätzig auf ihn herab und sagte ihm, Nbele, was er zu tun hatte. In Nbele stieg eine Wut auf, die er zu unterdrücken versuchte. So wollte er nicht behandelt werden, so nicht! Er war schließlich ein stolzer Massai! Keiner sollte ihm anschaffen, was er zu tun und lassen hatte! Keiner! Doch er war in eine Situation geraten, in der er nicht mehr ein tapferer Massai-Krieger war, jetzt war auch er ein Unterwürfiger der materiellen Welt geworden! Ein Untertan des Geldes!
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