Barbara Cartland - Der Marquis und das arme Madchen

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Als der Marquis von Swayne im Dorf einen schlimmen Unfall mit seiner Kutsche erleidet, wird er im Hause von Dr. Winsford einquartiert. Seine Tochter Rowena kümmert sich aufopfernd um ihn – so sehr, daβ sie sich ineinander verlieben. Und doch will der Marquis Rowena auf keinen Fall heiraten. Sein Familienerbe und der Ruf der Swaynes ist ihm wichtiger. Wie kann sich Rowena vom Marquis fernhalten, wo ihn doch alle ihre Familienmitglieder so ins Herz geschlossen haben, und sie nicht um den Kampf in ihrem Herzen wissen?

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Der Marquis und das Arme Mädchen

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2016

Copyright Cartland Promotions 1985

9781782138525

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1815

Rowena legte den Strumpf, den sie gerade stopfte, nieder, als sie den Türklopfer vernahm.

Es wäre sinnlos anzunehmen, daß die alte Mrs. Hanson in der Küche das Klopfen gehört hatte. Sie wurde von Jahr zu Jahr schwerhöriger. Und sie benutzte diese Tatsache als Entschuldigung, wenn sie gewisse Aufträge oder Anordnungen nicht hören und befolgen wollte.

Rowena nahm an, daß es ein Patient ihres Vaters sei. Sie hatte den Eindruck, daß das Klopfen eilig und drängend geklungen hatte; vielleicht war es eine Frau in den Wehen, oder ein Arbeiter von der angrenzenden Farm, der einen Unfall hatte.

Sie durchquerte die kleine Diele und öffnete die Tür. Erstaunt bemerkte sie vier Männer, die eine Tür trugen, auf der eine Gestalt ausgestreckt lag.

„Was ist geschehen?“ fragte sie entsetzt.

„Der Doktor hat gesagt, wir sollen den Gentleman herbringen“, antwortete einer der vier Männer.

Rowena betrachtete zweifelnd die Tür, die man offensichtlich aus den Angeln gehoben hatte.

„Die werdet Ihr nicht durch die Tür bringen. Und schon gar nicht die Treppe hinauf. Ich glaube, Ihr werdet ihn tragen müssen.“

„Hab’ ich dir doch gesagt“, sagte einer der Männer zu einem anderen.

Sie waren alle aus dem Dorf, Rowena kannte sie beim Namen.

„Was ist passiert, Abe?“ fragte sie den ältesten der vier Männer.

„War’n Unfall an der Kreuzung, Miss Rowena,‘n ganz gemeiner, wirklich!“

Die Männer setzten die Tür ab, und Rowena konnte nun den Mann erkennen, der darauf lag. Sie erkannte sofort, daß es sich um einen Gentleman handelte. Er war prächtig gekleidet.

Er trug ein raffiniert gebundenes weißes Halstuch und glänzende Stiefeletten. Er mußte gewiß sehr groß sein, wenn er aufstand.

„Ich sage, der Fahrer von der Postkutsche war wieder ’mal betrunken“, sagte einer der Männer.

„Die verursachen sowieso die meisten Unfälle”, stimmte ein dritter ihm zu.

„Wie viele Menschen sind denn verletzt worden? “fragte Rowena.

„Nur dieser Gentleman hier“, erwiderte Abe. „Die Fahrgäste der Kutsche waren so erschrocken, dass sie alle schrieen und weinten. Aber der Doktor hat sich um sie gekümmert.“

Rowena dachte, was für ein Glück es war, daß ihr Vater auf dem Weg zu einer entlegenen Farm noch einen Besuch im Dorf zu machen hatte. Das hieß, daß er zur Zeit des Unfalls in der Nähe gewesen war.

Die vier Männer hoben den Verletzten von der Tür. Er mußte sehr schwer sein, denn die Muskeln der vier spannten sich gewaltig vor Anstrengung. Langsam trugen sie ihn ins Haus und stiegen die schmale Treppe hinauf.

Es gab oben nur ein Schlafzimmer, in das sie den Verletzten legen konnten.

Es war ein hübsches Zimmer, mit runden Fenstern und mit Blick auf den Garten.

Rowena eilte voraus, um die Rouleaus hochzuziehen und das Bett aufzudecken.

Das Bett war jederzeit hergerichtet. Dies war nicht das erste Mal, daß es für Patienten ihres Vaters benutzt wurde.

Das letzte Mal war es eine Frau, die darin schlief. Sie war auf der Durchreise gewesen und hatte sich ein Bein gebrochen, als sie auf der eisglatten Straße ausgerutscht war. Rowena erinnerte sich, daß diese Frau fast drei Wochen bei ihnen geblieben war. Sie hatte viel Unruhe ins Haus gebracht und war schließlich verschwunden, ohne einen Penny für die Unterkunft und Behandlung zu bezahlen.

,Auf jeden Fall sieht dieser Mann wenigstens so aus, als wäre er sehr wohlhabend’, dachte sich Rowena.

Aber sie wußte, daß es auch dieses Mal wieder ihre Aufgabe sein würde, den Patienten um Geld für die Behandlung zu bitten. Niemals kam es ihrem Vater in den Sinn, für seine Dienste Bezahlung zu verlangen.

Die vier Männer legten nun den Verletzten auf das Bett. Jetzt konnte Rowena sein Gesicht sehen. Er war ein ausnehmend hübscher Mann. Nur auf seiner Stirn war eine große Wunde, die stark blutete. Seine Augen waren geschlossen.

Rowena nahm an, daß er noch andere Verletzungen erlitten haben mußte, da er in tiefer Bewußtlosigkeit war.

„Gibt es noch ’was, das wir tun können?“ fragte Abe.

„Ja!“ antwortete Rowena schnell. „Es wäre gut, wenn ihr den Gentleman auskleiden würdet. Es ist niemand weiter hier als Mrs. Hanson und ich. Und der Doktor wird sicher sehr beschäftigt sein, wenn er nach Hause kommt.“

Ein wenig nervös blickten die vier Männer auf den Verletzten. Es schien, als hätten sie Sorge, der Herr könnte aufwachen und sie wegen einer solchen Vertraulichkeit belangen.

„Geht vorsichtig mit ihm um“, ermahnte sie Rowena. „Ich werde ein Nachthemd meines Vaters für ihn holen.“

Sie verließ das Zimmer noch während sie sprach, um ihnen jede Möglichkeit des Widerspruchs zunehmen. Sie dachte sich, daß die vier sich schließlich nützlich machen könnten und ihrem Vater ein wenig die Arbeit erleichtern konnten. Sie wußte, wie beschwerlich es war, einen so großen Mann auszukleiden, noch dazu, wenn er bewußtlos war. Sicher trug er so elegante, eng sitzende Wäsche, die noch schwerer zu entkleiden war, als gewöhnliche Wäsche.

Rowena ging in das Zimmer ihres Vaters und öffnete die Kommode, in der sich die Nachthemden befanden. Nach kurzem Zögern zog sie von ganz unten eines hervor, von dem sie wußte, daß es das beste ihres Vaters war.

Es war aus reiner Seide, und Rowena erinnerte sich daran, wie ihre Mutter es vor einigen Jahren genäht hatte.

„Ich wünschte mir immer das Beste für deinen Vater“, hatte sie gesagt.

Worauf Rowena geantwortet hatte: „Ich dachte immer, es wäre viel wichtiger, daß du schöne Kleider hast. Für Papa ist es sicher nicht so wichtig.“

„Bei mir spielen Kleider keine Rolle. Dein Vater liebt mich so, wie ich bin. Aber ich wünsche mir das Beste für ihn“, hatte ihre Mutter lächelnd geantwortet.

Aber für keinen der beiden war es je möglich gewesen, dem anderen das zu geben, was er für das Beste hielt. Mit vier Kindern war es seit jeher schwer gewesen, überhaupt zu überleben. Es war nie darum gegangen, ob man Seide oder Baumwolle trug, sondern sie hatten sich Gedanken darüber machen müssen, daß Mark ein Paar Schuhe brauchte, Hermoine neue Strümpfe und Lotty ein neues Kleid.

Rowena konnte sich nicht daran erinnern, daß es jemals problemlos gewesen war, die Familie satt zu machen und zu kleiden.

Es gab Zeiten, in denen sie ihrem Vater verübelte, daß er glücklich war, solange er anderen Menschen helfen konnte. Er ging völlig in seinem Beruf auf, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Opfer dies von seiner Familie erforderte.

Erst vor einer Woche hatte sie ihn daran erinnern müssen, daß der Bauer Bostock noch immer nicht für die Operation an seiner Hand vor einem Jahr bezahlt hatte.

„Die Bostocks haben schwere Zeiten gehabt“, war die Antwort ihres Vaters gewesen. „Er wird mich schon bezahlen, wenn er das Geld dafür hat.“

Aber all ihre Proteste stießen auf taube Ohren. Auch wußte sie, ob der Bauer Bostock oder irgendein anderer Patient seine längst fällige Rechnung bezahlen würde, das Geld würde ausgegeben werden, um Milch für ein krankes Kind zu kaufen, oder einem Invaliden zu helfen, der nicht in der Lage war, seine Medikamente selbst zu bezahlen.

„Ich werde dafür sorgen, daß dieser Patient seine Rechnung bezahlt. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“

Rowena gab sich dies Versprechen, als sie das seidene Nachthemd nahm und an die Tür des Krankenzimmers klopfte.

Sie war nicht etwa schüchtern oder verschämt, denn schon oft hatte sie ihrem Vater geholfen, und dabei nackte Menschen gesehen. Aber sie wußte, daß Abe und die anderen wahrscheinlich schockiert sein würden bei dem Gedanken, daß sie diesen unbekleideten Herrn ansehen würde.

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