Das Mädchen und der Maler
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2015
Copyright Cartland Promotions 1985
ISBN 9781782137641
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Die Osterblumen leuchteten im Schatten der alten Eichen so golden wie die Frühlingssonne. Die Vögel zwitscherten, ein leichtes Lüftchen spielte im jungen Laub der Bäume.
Margret summte ein Lied. Sie hatte es heute nicht eilig. Unerwartet früh war sie im Schloß fertig geworden und brauchte nicht wie sonst durch den Park zu hasten. Wie sie diesen Weg zum Dorf liebte! Zwischen den Baumstämmen schienen die Träume ihrer Kindheit zu hängen, und manchmal glaubte Margret, sie würden doch noch Wirklichkeit werden.
Sie war so in Gedanken versunken, daß sie die Staffelei erst im letzten Moment bemerkte. Oh Gott, dachte Margret, Mr. Oliver malt schon wieder ein Bild.
Mr. Oliver war pausenlos in finanziellen Schwierigkeiten, und Margrets gutherziger Vater, der Vikar, kaufte die Bilder, um dem Mann zu helfen. Das Geld für einen neuen Wintermantel war in Mr. Olivers Tasche gewandert, und das Hemdblusenkleid, auf das sich Margret nun schon seit Wochen freute, sah sie jetzt auch dahinschwinden. Ein gutes Dutzend von Gemälden stand schon auf dem Speicher, und eines war schlechter als das andere.
„Guten Tag, Mr. Oliver“, sagte Margret. „Schon wieder an einem Meisterwerk?“
Zu Margrets großem Erstaunen war der Mann, der hinter der Leinwand auftauchte, nicht etwa der kleine, grauhaarige Mr. Oliver, sondern ein Fremder.
„Tut mir leid, Mademoiselle“, sagte er. „Ich bin nicht Mr. Oliver.“
„Gott sei Dank nicht!“ rief Margret spontan.
Der Fremde lächelte. Er sprach offensichtlich fließend Englisch, hatte aber einen leichten Akzent. Außerdem hatte er Margret mit Mademoiselle angeredet.
„Ich habe Sie durch den Park kommen sehen“, sagte er. „Wie eine kleine Göttin sind Sie plötzlich aufgetaucht und über das Moos geschwebt.“
Zwei Grübchen bildeten sich in Margrets Wangen.
„Dabei bin ich ein ganz normaler Mensch mit einem ganz normalen Namen. Ich heiße Margret.“
„Das ist ein besonders schöner Name“, antwortete der Fremde.
Margret spürte, wie sie rot wurde. Noch nie hatte ein Mann sie mit so offenem, direktem Blick angesehen. Sie schätzte ihn auf achtundzwanzig. Er war groß, hatte breite Schultern und dunkle Haare, die glatt aus der Stirn gekämmt waren. Seine Züge waren klar, sein Mund energisch. Er sah blendend aus, der Fremde, in seinem grünen Samtanzug und der lässig gebundenen Krawatte.
„Sie sprechen ausgezeichnet Englisch, Sir“, sagte Margret, um von sich abzulenken. „Sie sind Franzose, nicht wahr?“
„Ja“, antwortete er, „aber meine Großmutter war Engländerin. Et vous, Mademoiselle, parlez-vous Français?“
Margret lächelte.
„Oui, Monsieur“, antwortete sie auf Französisch. „Meine Großmama war Französin.“
„C’est extraordinaire!“ rief der Franzose. „Ich hatte eine englische Kinderfrau. Sie vielleicht eine französische?“
„Ja“, erwiderte Margret. „Aber sie hielt nicht sonderlich viel von den komischen Leuten auf der anderen Seite des Kanals.“
Der Fremde lachte, und Margret stimmte in das Lachen ein. Plötzlich wurde ihr jedoch klar, daß sie sich sehr frei benahm, und wieder versuchte sie abzulenken.
„Ich darf Sie nicht von Ihrer Malerei abhalten“, bemerkte sie und wollte weitergehen.
„Bitte!“ rief der Fremde. „Sie dürfen mich nicht schon wieder allein lassen. Ich möchte noch so viel von Ihnen wissen.“
„Ich glaube, ich muß aber gehen“, antwortete Margret, Unsicherheit in der Stimme.
Der Fremde interessierte sie, aber gleichzeitig wußte sie, daß ihre Mutter mit ihrem Benehmen nicht einverstanden gewesen wäre. Mit einem Mann zu plaudern, dem man nicht vorgestellt war, das gehörte sich nun einmal nicht.
„Ein Jammer, daß die Zeit der Kinderfrauen längst vorbei ist“, meinte der Fremde, als habe er Margrets Gedanken gelesen. „Sie hätten uns bestimmt bekannt gemacht - und wenn nur, um miteinander klatschen zu können. Darf ich mich Ihnen vorstellen? Paul Beaulieu.“
Der Fremde deutete eine leichte Verbeugung an. Margret machte einen Knicks.
„Margret Lynton.“
„Und Sie sind die Prinzessin, die im Schloß wohnt?“ fragte Paul Beaulieu.
Margret schüttelte den Kopf.
„Nein“, antwortete sie. „Ich bin bloß die arme Verwandte.“
„Die arme Verwandte?“ wiederholte Paul Beaulieu.
„Ja. Die Prinzessin, wie Sie sie nennen, ist Lady Clementine Combe. Sie wohnt im Schloß und steht in dem Ruf, das schönste Mädchen Englands zu sein.“
„Und Sie?“ fragte Paul Beaulieu.
„Ich bin ihre Cousine und wohne im Dorf. Mein Vater ist der Vikar.“
Paul Beaulieu bewunderte die Bescheidenheit, mit der das Mädchen sprach. Margret hatte ein herzförmiges Gesicht mit großen graublauen Augen. Die hohe Stirn war von goldblonden Haaren umrahmt. Das schon etwas verwaschene Leinenkleid, aus dem Margret fast herausgewachsen war, unterstrich die gerade erblühte Figur des jungen Mädchens.
„Ich möchte Sie malen“, sagte Paul Beaulieu spontan. „Einem Künstler bietet sich selten die Chance, der Göttin des Frühlings zu begegnen. Bitte, gehen Sie noch nicht.“
„Aber Sie wollten doch sicherlich das Schloß malen“, antwortete Margret schnell. „Darf ich mir das Bild anschauen?“
„Ich bitte darum.“ Paul Beaulieu trat zur Seite.
Margret hatte schon viele Gemälde gesehen, auf denen der Blick auf das Schloß festgehalten war. Durch die Jahrhunderte hindurch war es von berühmten Künstlern gemalt worden. In der Bildergalerie des Schlosses hing eine ganze Reihe von diesen Gemälden.
Bei dem, was sich jetzt Margrets Blick bot, stockte ihr fast der Atem. Das Schloß, das auf den meisten Bildern wie auch in der Natur beinahe furchterregend aussah, wirkte auf dem Gemälde des Franzosen wie aus einem Märchen. Durch das Leuchten der Farben im Vordergrund wurde das Auge wie auf magische Weise zu der mystischen Großartigkeit des Schlosses hingeführt, dessen Turm sich stolz in den klaren Himmel streckte.
Paul Beaulieu hatte auf der Leinwand eine Atmosphäre eingefangen, die das Herz höher schlagen ließ. Die Farben schienen zu jubeln, jeder Stein schien durch das Licht, das auf ihn fiel, zu vibrieren.
„Sie sind ja Impressionist!“ rief Margret begeistert.
„Sie kennen die Impressionisten?“ fragte Paul Beaulieu erstaunt.
„Ich habe zumindest über sie gelesen“, antwortete Margret. „Und von Papa weiß ich, daß sie in Paris abgelehnt werden.“
„Und was halten Sie von dem Bild?“
„Es ist wunderschön.“
„Ist das ehrlich gemeint?“
„Natürlich. Bei etwas so Wichtigem würde ich nie schwindeln, nicht einmal, um Ihnen zu schmeicheln.“
„Ich hätte nie gedacht“, sagte Paul Beaulieu, „daß eine Engländerin das anerkennen würde, was ein paar revolutionäre Künstler auf der Leinwand festzuhalten versuchen.“
„Von Papa weiß ich“, erwiderte Margret, „daß der Salon und die meisten Kunsthändler in Frankreich die Meinung vertreten, man könne erst dann von Kunst sprechen, wenn der entsprechende Maler nicht das festhält, was er sieht, sondern was man zu sehen hat. Und Sie, glaube ich, malen, was in Ihrem Herzen ist.“
„Sie haben sehr viel Einfühlungsvermögen“, meinte Paul Beaulieu bewundernd. „Bitte, lassen Sie sich von mir malen.“
„Ich muß aber doch nach Hause gehen. Sie warten auf mich.“
„Bitte! Sie würden mir einen großen Gefallen tun. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, Ihr Gesicht auf der Leinwand festzuhalten. Ich habe nie in meinem Leben ein lieblicheres Mädchen gesehen.“
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