Jana stieß wütend die Luft aus. „Pierre, bitte lass den Schmus sein. Du kapierst es einfach nicht. Ich lebe mein Leben und bin keines der Mädchen aus deinen Texten!“
„Aber Kleines, für uns fängt jetzt eine neue Zeitrechnung an …“, begann er und trat einen Schritt auf Jana zu, die unterbrach ihn mit einer heftigen Handbewegung. „Für dich fängt eine neue Zeitrechnung an, da hast du recht. Aber diese Zeit verbringst du ohne mich. Genauso, wie ich die Zeit ab jetzt ohne dich verbringe. Es ist aus, ich habe keine Gefühle mehr für dich und ich möchte jetzt auch nicht einmal sagen, dass es mir leidtut. Die Tatsache, dass du jetzt hier bist, zeigt mir, dass du meine Entscheidung einfach nicht respektierst.“
„Ich liebe dich und ich werde um dich kämpfen, Jana-Schatz“, hauchte er und Jana fuhr jetzt erst richtig aus der Haut.
„Sag mal, welchen Teil von ‚ich habe keine Gefühle mehr für dich‘ hast du nicht verstanden?“, fauchte sie ihn an. Pierre zog gespielt genervt die rechte Augenbraue hoch und schüttelte langsam den Kopf. Diese Überheblichkeit hasste sie an ihm. Er atmete einmal tief durch und setzte wieder diesen schon so oft geübten Bühnenblick auf.
„Jana, das meinst du doch alles gar nicht so. Du bist wütend, weil ich deinen kleinen Ego-Trip störe. Uns steht eine strahlende Zukunft bevor. Wir werden zusammen auf Tour gehen, du und ich und die Jungs. Es wird traumhaft“, schwärmte er.
Jetzt verlor sie vollends die Fassung, stürzte sich auf ihn und trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust. „Ego-Trip? Das nennst du Ego-Trip? Du nimmst mir die Luft zum Atmen, das ist alles andere als ein Ego-Trip! Du verschwindest aus meinem Leben, hast du gehört? Ich werde keinen Schritt mehr mit dir zusammen tun, weder mit dir noch mit deinen Jungs!“
Pierre packte sie und hielt ihre Arme fest. Seine Stimme kippte, und er klang beinahe wie einer dieser Psychopathen aus einem billigen B-Movie, als er sagte: „Du gehörst mir, und wenn ich es will, dann gehst du mit mir zusammen auf Tour, hast du das verstanden?“
Jana entwand sich seinem Griff und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Damit und mit ihrer Schnelligkeit hatte er nicht gerechnet, betroffen hielt er sich die linke Wange und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Was? Kannst du dich hören? Bist du noch normal oder steigt dir die Band jetzt zu Kopf? Spielst du jetzt ‚Falco‘? Denkst du, ich sei deine Jeanny?“, schrie sie. „Hau jetzt ab, sonst lasse ich die Polizei holen. Du hast sie ja nicht mehr alle, Pierre“, schleuderte sie ihrem Ex-Freund entgegen und wollte an ihm vorbeigehen. Pierre ergriff grob ihren linken Arm. „Du bleibst solange, bis ich mit dir fertig bin“, zischte er und Jana sah das erste Mal so etwas wie Raserei in seinen Augen.
„Da irrst du dich. Ich bin fertig mit dir, Pierre, fahr zur Hölle!“
Sie riss sich los und alle, die auf der sonst so romantischen Terrasse Zeuge dieses Streites geworden waren, sahen seinen hasserfüllten Blick, den er ihr hinterherwarf.
*
Sóller
Getrennt hatten sie die Placa de Constitució verlassen, zusammen schlenderten sie danach noch durch die Altstadt. Sie kamen am Café Scholl vorbei, wo Carola einen Blick in den Innenraum des alt eingesessenen Cafés warf.
„Hier müssen wir auch mal einen Kaffee trinken“, sagte sie. Reto senkte den Kopf und hob abwehrend die Arme. „Mein Kaffeespiegel ist für die nächsten drei Tage gesättigt!“
Sie nahm ihn in den Arm. „Nicht heute, irgendwann“, sagte sie und zog ihn mit sich weiter.
„Was ist denn dein Fazit?“
„Fazit? Neben einem übersättigten Kaffeespiegel?“, scherzte Reto.
„Mmh.“
„Der Mann war Investment-Banker und hat durch den Wall-Street-Crash 2008 im Nachhinein alles verloren, er war Angestellter der Lehman-Brothers in Frankfurt.“
„Wow! In Frankfurt? Ehrlich? Vielleicht bin ich ihm dort sogar schon mal begegnet.“
„Wieso?“
„Mein Ex war doch auch … so ein Bank-Fuzzi.“
Reto fand, dass dieses Wort aus Carolas Mund sehr seltsam klang.
„Ein Fuzzi?“, fragte er schelmisch, „Es gibt in Frankfurt ganze Horden davon.“
Carola lächelte. „Richtig, viele reduzieren die Stadt eben genau auf diese Banken-Szene, dabei gibt es dort viel Schönes zu sehen.“
„Die Skyline mit den Bankgebäuden zum Beispiel“, frotzelte er und erhielt dafür einen Stüber in die Rippen. Reto brachte sich daraufhin in Sicherheit, ging jetzt zwei Schritte neben ihr.
„So viel Schönes wie hier etwa?“
„Natürlich nicht. Spanien ist Spanien und Deutschland ist Deutschland. Du kommst doch auch nicht auf die Idee, Bern oder Luzern mit hier zu vergleichen.“
„Nein, tue ich das nicht?“
„Oooh, du nimmst mich nicht ernst, Reto.“
„Ich nehme dich immer ernst“, sagte er jetzt abgelenkt, von dem was er grade entdeckt hatte. Er lehnte sich neben einer Schreinerei an ein Brückengeländer, sah hinunter auf den kleinen Fluss.
„Hier unten hat dieser Karl dann und wann seine Nächte verbracht“, erklärte er und deutete hinunter.
„Tatsächlich? Hat dir das dieser Frank erzählt?“ Carolas Blick folgte dem Flusslauf und sie stellte sich vor, eine Nacht dort unten verbringen zu müssen. Ihr schauderte bei dem Gedanken, neben Enten, und vor allem, neben Ratten zu nächtigen.
„Ja, neben vielen anderen unschönen Details über das Leben auf der Straße.“
„Ich könnte so nicht leben. Du?“
„Nein, trotz all dieser Freiheits-Romantik. Nein, ich könnte das nicht. Ich könnte ohne Probleme mit dem Rucksack eine Trekking-Tour durch den Himalaya machen, aber auf der Straße leben ohne die Aussicht, irgendwann wieder heimzukehren? Nein, das wäre nicht meins.“
„Freiheits-Romantik? Nennt er dieses Leben romantisch?“
„Nicht direkt, eher schimmert es durch bei dem, was er erzählt.“
„Hat er dir auch erzählt, dass er und dieser Karl ein Auge auf dieselbe Frau geworfen hatten?“
Reto stieß sich vom Geländer ab und sah Carola fragend an. „Woher weißt du das denn?“
„Berufsgeheimnis“, sagte sie lachend, und als er sie weiter mit seinem bohrenden Blick ansah, fügte sie noch hinzu: „Die Kellnerinnen sind hier sehr mitteilsam, wenn man die richtigen Knöpfe drückt.“
Sie holte ihr Handy aus der Tasche und zeigte Reto das Foto, das die Kellnerin und Karl-Uwe zusammen mit Hund Señor Roberto zeigte. Diese hatte es ihr per App geschickt.
„Und jetzt liegt dieser Karl auf dem Armenfriedhof und der Hund ist im Tierheim“, seufzte Reto.
„Vielleicht sollten wir mal dorthin fahren und nach ihm sehen“, sagte Carola spontan. Er wich ihrem Blick aus
„Marie wird dich für diese Idee auf einen Sockel stellen“, sagte Reto resignierend, denn er ahnte, dass Carola nicht ohne diesen Hund das Tierheim verlassen würde.
„Nur mal hinfahren und sehen, wie es ihm geht.“
„Weißt du denn welches Tierheim?“, seufzte Reto und man konnte die deutliche Resignation in seiner Stimme nicht überhören.
„Sicher weiß ich das“, antwortete Carola augenzwinkernd und forderte ihn mit einem Kopfnicken auf ihr zu folgen.
*
Deià
Juan lag auf einer der weißen Liegen, die vor dem Hotelpool standen, in der Hand einen Margarita-Cocktail und beobachtete Lothar Mensing, der im kleinen Pool des Hotels versuchte ein paar Bahnen zu schwimmen. Die Sonne stand noch recht tief und erreichte bisher nur seine Füße und Waden, der Rest der Stelle lag im Schatten. Juan betrachtete seine Zehen, es fröstelte ihn. Kurz überlegte er, ob er auf eine andere Korbliege wechseln sollte, die schon in der Sonne stand. Doch war er zu faul, um aufzustehen. Er stellte das Cocktailglas neben sich auf den Tisch, fischte nach seinem T-Shirt, das auf dem Kopfteil der Liege lag, und zog es an.
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