„Wenn das keine Freundschaft ist, dann weiß ich es nicht“, sagte Reto und beeilte sich, Señor Roberto wieder einzusammeln. Mit dem Hund auf dem Arm und Marie dicht an seiner Seite kam er zurück.
„Wo haben Sie den Hund her?“, fragte Luca neugierig auf Spanisch.
„Aus dem Tierheim in Andratx“, antwortete Carola und ging hinter Reto durch das schwere Tor, dass ihr Grundstück vor den neugierigen Blicken der Touristen schützen sollte.
„Muy bien“, sagte Luca und hob den Daumen.
„Kennen Sie die Geschichte von dem Deutschen, der in dem Kanal umgekommen ist?“, fragte Carola und sah, wie Lucas Augen rund wie Murmeln wurden.
„Esto Perro está el Señor Roberto?“, entfuhr es ihm.
“Ja, das ist Señor Roberto”, bestätigte sie ihm auf Spanisch.
„Estupendo“, murmelte er und betrachtete den kleinen Mischlingshund, der noch auf Retos Arm lag und zitterte. „Dieser Hund ist auf der ganzen Insel bekannt“, sagte Luca in seiner Muttersprache, ging zu Reto hinüber und streichelte den Hund. Reto verstand ihn nicht, doch sah er die Liebe in den Augen des Handwerkers. Sofort hatte er eine Idee. Er nickte mit dem Kopf in Lucas Richtung, sah dann hinunter zu Señor Roberto. Carola kapierte nicht, was er damit andeuten wollte, daher wiederholte er es noch einmal deutlicher. So deutlich, dass Luca es nicht übersehen konnte, dass er Carola geheime Zeichen gab. Der Spanier legte ein breites Lächeln auf.
„Si, naturalmente“, sagte er, hatte Retos Zeichensprache sofort verstanden.
„Ich mitnehmen Señor Roberto sofort!“, sagte er freudestrahlend und stolz auf seine Deutschkenntnisse.
„Nein, noch nicht“, sagte Carola streng, „Ich möchte den Kleinen erst noch aufpäppeln.“
„No comprende! Aufpappen?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Nein, nicht aufpappen, aufpäppeln. Er braucht noch viel Futter und Zuwendung!“, verbesserte ihn Carola.
“Si, ich gehe einen großen Sack Hundefutter kaufen, den Größten, den es gibt!”, warf Luca auf Spanisch ein und Carola fiel es schwer, hart zu bleiben.
“Warte bitte noch eine Woche, Luca, bitte”, sagte sie und hoffte darauf, dass er dafür Verständnis aufbringen würde. Schließlich hatten sie den Hund gerettet und sie wollte sehen, wie er sich entwickelte. Schließlich hatte der Tierarzt keine gute Prognose erstellt. Wenn es wirklich so schlecht um den Kleinen bestellt war, so war es besser, wenn er bei ihnen über die Regenbogenbrücke ging.
Luca nickte begeistert und kraulte den Hund ausgiebig hinter den spitzen Ohren.
„Was ist das eigentlich für eine Rasse?“, fragte Reto und betrachtete das Wesen genauer, das auf seinem Arm ausgiebig gekrault wurde.
„Das ist ein Bodeguero Ratonero Andaluz, denke ich“, sagte Carola.
„Si, un Ratonero“, bestätigte Luca, der nur den Rassenamen verstanden hatte.
„Ja, jetzt weiß ich alles“, entgegnete Reto.
„So etwas wie ein spanischer Jack Russel Terrier. Man hält sie in den Kellern der Bodegas, um dort die Ratten zu jagen.“
„Naja, das scheint er bei Karl-Uwe aber tüchtig verlernt zu haben“, sagte Reto plötzlich nüchtern und beide betrachteten den Hund schlagartig mit anderen Augen. Das war eine große Überraschung am späten Nachmittag. Wenn der Hund in der Nähe des Obdachlosen gewesen wäre, dann hätte er ihm die Ratten vom Hals gehalten. Doch das war nicht passiert. Also lag es nahe, dass Señor Roberto nicht in der Nähe von Karl Uwe gewesen war. Warum und wer hatte dafür gesorgt, dass der Hund sich nicht bei seinem Herrchen aufhielt?
„Ich denke, wir sollten morgen mal diese Dame in Sóller aufsuchen“, sagte Reto und Carola nickte zustimmend. Er legte den Hund in die Arme von Luca und das Strahlen des jungen Handwerkers verscheuchte für ein paar Sekunden die trüben Gedanken. Aber nicht lange.
*
Deià
Hastig drehte sie sich um, vergewisserte sich, ob niemand ihr folgte. Den Plan, das Hotel zu verlassen, hatte sie spontan gefasst, die Rechnung mit der EC-Karte bezahlt. Einer der beiden netten Rezeptionsmitarbeiter wollte von ihr wissen, ob es am Service des Hotels lag, dass sie Hals über Kopf abreiste. Mit ihrem schlechten Spanisch konnte sie es ihm nicht verständlich machen, dass es private Gründe seien, daher versuchte sie es auf Englisch. Der junge Mann hatte skeptisch ihren Worten gelauscht, sich noch einmal für ihren Besuch bedankt und die Hoffnung ausgedrückt, sie bald als Gast wiederbegrüßen zu können. Das Übliche. Es war kurz vor halb zehn als Jana Hardenberg den Passatge sa Tanca entlangging. Wohin sollte sie gehen? Es gab in Deià nicht viele Hotels, vor allem keines, das ihre finanziellen Mittel ihr erlaubten. Unschlüssig ging sie weiter, bis sie schließlich vor dem Hotel d‘Es Puig stehen blieb. Sie schaute durch die Glasscheibe in das Entree, sah den typischen braun-beige gekachelten Fußboden und das filigrane schmiedeeiserne Gitter des Treppengeländers. Die Eingangssituation und die Ausstattung der Zimmer waren in vielen der Hotels typisch Mallorquin gestaltet. Jana liebte dies. Sie seufzte und trat zurück auf die Straße. Das Hotel konnte sie sich nicht leisten, sie hatte vor der Buchung die Preise im Internet verglichen.
Von Mitwanderern hatte sie allerdings erfahren, dass es noch ein weiteres kleines Hotel im Ort gab. Es lag etwas außerhalb und sie hatte keine Ahnung, wo sie lang gehen musste, um dorthin zu gelangen. Zwei Männer traten aus dem Hotel und ihre Unterhaltung verstummte, als sie die junge Frau bemerkten. Der eine war jünger und senkte seinen Blick als er Jana sah. Der andere sah sie unverwandt an, so, als müsse sie bemerken, dass sie störte. Mit einem Mal änderte sich sein Gesichtsausdruck. „Guten Abend, sagen Sie, wissen Sie, wo das Hostal Miramar ist?“, fragte Jana Hardenberg auf gut Glück. Sie war sicher, dass der ältere der beiden Männer ein Deutscher war.
Auf dem Gesicht des Mannes erschien jetzt ein Lächeln. „Sie sind aber reichlich spät noch auf Zimmersuche, junge Frau“, sagte er.
„Ich bin nicht … Ja, Sie haben recht, es ist sehr spät. Kennen Sie das Miramar?“, fing Jana an und ging mit diesem Eingeständnis einer Diskussion mit dem Mann aus dem Weg. Was ging es ihn an? Sie fing an, mit ihren Fingern der rechten Hand am Tragegurt des Rucksacks zu spielen.
„Juan, kennst du dieses Hotel? Wie sagten Sie doch gleich … Miramar?“, fragte der Mann seinen jüngeren Begleiter. Der schielte unter seinen schwarzen Locken hervor und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, das kenne ich nicht!“, sagte er auf Spanisch und der Mann übersetzte: „Er weiß es auch nicht, aber vielleicht fragen Sie drin nach dem Weg.“ Er zeigte auf den Hoteleingang und Jana schüttelte sofort den Kopf. Das wäre ihr unangenehm, in einem erstklassigen Hotel nach einem unterklassigen zu fragen kam nicht für sie in Frage.
Der ältere Mann zuckte nur missfällig mit den Schultern.
Sie sah zu dem jungen Mann hinüber, sah in die Augen hinter den wirren Haarsträhnen. Unsicherheit huschte über seinen Blick, aber auch etwas, das Jana schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sein Blick sagte alles. Sie wusste Bescheid. Doch danach stand ihr jetzt nicht der Sinn.
„Ich muss gehen“, sagte sie, während sie sich schon umdrehte und mit Schritten davoneilte, die eher einer Flucht, als einer gezielten Suche nach einem Hotel gleichkamen. Lothar Mensing hatte den Blick seines Lovers sehr wohl mit angesehen.
*
Es war halb zehn als Pierre Zumdick aufgeregt an den Tresen des Hotels stürmte. Dort wurde er in seiner Eile eingebremst. Einer der nächtlichen Rezeptionsmitarbeiter saß auf einem Stuhl und war in die Lektüre eines Musikmagazins vertieft, dazu trug er Kopfhörer und wippte im Takt der Musik. Er bemerkte es nicht als Pierre ihn ansprach. Jedenfalls solange nicht, bis dieser ihn anbrüllte. „Hallo, können Sie bitte im Zimmer von Frau Jana Hardenberg anrufen? Sie öffnet die Tür nicht, reagiert auch nicht auf meine Anrufe“, sagte Pierre unwirsch. Der junge Mann, nicht älter als er selber, zog die Stöpsel aus den Ohren und legte das Magazin vor sich auf den Tisch, dann näherte er sich langsam dem Tresen. „Por favor en ingles“, sagte er.
Читать дальше