geglaubt! Nun hat er uns die Körbe aufgebunden,
hat sich satt gefressen und nimmt uns noch drei Netze
voll Aale mit. Möge er daran platzen!« »Ihr Herren!
Wozu der Lärm? Ihr könnt reden, was ihr wollt. Ich
bin Reinhart und werde schweigen.«
Als die Kaufleute die Verfolgung aufgegeben hatten,
ging Reinhart geradeswegs in seine Burg, wo ihn
seine Angehörigen, die der Hunger quälte, mit Ungeduld
erwarteten. Hermeline, seine treffliche Gattin,
sprang ihm entgegen, und die Brüder Percehaie und
Malebranche eilten auf ihren Vater zu, welcher in kurzem
Trab, dick, vollgefressen und heiter daherkam,
die Aale um seinen Hals geschlungen. Reinhart trat in
seinen Bau und sperrte vorsorglich die Türe ab von
wegen der Aale. Seine Kinder putzten ihm indes die
Stiefel ab und häuteten die Fische, dann schnitten sie
dieselben in Stücke und steckten diese auf kleine
Bratspieße aus Haselgerten. Hierauf wurden die Kohlen
angeblasen und die Fische auf die Glut gelegt.
Während die Aale brieten, siehe, da kam Herr
Ysengrin, der Wolf, des Weges, welcher schon seit
dem frühen Morgen umhergelaufen war, ohne nur das
geringste gefangen zu haben. Hungrig schlich er sich
durch das Holz auf Reinharts Bau los; denn er sah aus
der Küche, in welcher die Aale am Spieße gedreht
wurden, Rauch aufsteigen. Ysengrin witterte den
Duft, der ihm fremd war: er kräuselte die Nase und
leckte sich den Bart; darauf trat er zu einem Fenster,
um zu erspähen, was es da gäbe. Die Frage war nur,
wie er dahinein gelangen könne, denn gegen Bitten
pflegte Reinhart unempfänglich zu sein. Der Wolf lief
unstät umher, hier und da einen sehnsüchtigen Blick
nach der Burg werfend, welche ihm unzugänglich
blieb. Schließlich beschloß er, seinen Gevatter zu bitten,
er möge ihm um Gottes willen ein wenig von seinem
Fleische abgeben. Er rief also durch ein Loch:
»Herr Gevatter, öffnet mir die Tür! Ich bringe Euch
gute Nachricht!« Reinhart hörte und erkannte ihn
wohl, dennoch hatte er taube Ohren für ihn. Ysengrin
stand betrübt draußen und sprach: »Öffnet, lieber
Herr!« »Wer seid Ihr?« fragte Reinhart lächelnd. »Ich
bin es!« versetzte jener. »Wer ich?« »Euer Gevatter!«
»Ach so, wir glaubten, Ihr wäret ein Landstreicher.«
»Nein,« sprach Ysengrin, »öffnet!« »Ihr werdet Euch
einen Augenblick gedulden müssen,« sagte Reinhart,
»bis die Mönche gespeist haben, die sich gerade zum
Essen niedersetzen!« »Wie? sind das Mönche?«
»Vielmehr,« entgegnete jener, »eher Canonici. Sie
sind vom Orden St. Benedikts und ich habe mich
ihnen angeschlossen.« »Um Gottes willen,« sprach
der Wolf, »redet Ihr die Wahrheit?« »Bei der heiligen
Barmherzigkeit!« »Aber, sagt mir, eßt Ihr Fleisch?«
»Das ist verpönt,« sagte Reinhart. »Was essen denn
die Mönche?« »Sie essen Weichkäse und Fische. So
empfiehlt es St. Benedikt!« Ysengrin sprach: »Davon
wußte ich nichts. Aber gewährt mir Gastfreundschaft.
Es ist spät und ich weiß nicht, wohin ich mich noch
wenden soll.« »Gastfreundschaft?« sagte Reinhart,
»redet nicht davon! Nur ein Mönch oder ein Eremit
kann bei mir Unterkunft finden. Geht anderswo hin!«
Ysengrin sah ein, daß er unter keinen Umständen eingelassen
werden würde; trotzdem fing er wieder an:
»Fische? Ist das gutes Fleisch? Gebt mir doch einen
Brocken, nur um zu verkosten!« Der schlaue Fuchs
nahm drei Stücke Aal, die auf den Kohlen brieten und
inzwischen gar geworden waren. Ein Stück aß er
selbst, die anderen brachte er dem Wolf und sprach zu
ihm: »Gevatter, tretet ein wenig näher und empfangt
aus Nächstenliebe von unserer Speise. Aber wir erwarten,
daß Ihr auch in unseren Orden eintreten werdet!
« »Ich weiß es noch nicht, aber es ist möglich!«
versetzte Ysengrin, »jedoch, lieber guter Meister, gebt
mir geschwind das Essen!« Ysengrin erhielt es und
verschlang es in einem Happ. »Wie dünket Euch
darum?« fragte Reinhart. Der Feinschmecker zitterte
und brannte vor Gier. »Es möge Euch tausendmal
vergolten werden, Herr Reinhart!« sprach er, »aber
gebt mir nur noch ein einziges Stück, süßer, lieber
Gevatter, nur zum Anbeißen; dann will ich auch
Eurem Orden beitreten.« »Ich rate Euch sehr, Mönch
zu werden,« antwortete der listige Reinhart, »denn bei
Euren Anlagen werdet Ihr es noch vor Pfingsten zum
Prior oder Abt bringen.« »Hätte ich dann Fische
genug?« »Soviel Ihr essen wollt; aber zuvor müßt Ihr
Euch Haar und Bart scheren lassen.« Ysengrin begann
zu brummen, als er vom Scheren reden hörte.
»Wenn es sein muß, Gevatter, so schert mich geschwind!
« Reinhart erwiderte: »Sogleich werdet Ihr
eine große und breite Tonsur haben, nur muß erst das
Wasser warm sein.« Der Fuchs stellte Wasser aufs
Feuer und ließ es kochen; dann kam er wieder und
hieß den Wolf seinen Kopf durch ein Loch neben der
Türe stecken. Ysengrin reckte den Hals vor und Reinhart
goß ihm das kochende Wasser über den Schädel.
Der Wolf biß die Zähne zusammen und fuhr zurück:
»Reinhart!« schrie er, »ich bin hin. Das war ein
schlechter Streich, Ihr habt mir eine zu große Platte
geschoren.« Reinhart streckte die Zunge einen halben
Fuß weit aus dem Maul: »Herr, so ist es im Kloster
der Brauch,« sagte er, dann fuhr er fort: »Der heilige
Orden erheischt es, daß wir in der ersten Nacht eine
Probe bestehen. Wir wollen fischen gehen.« Ysengrin
entgegnete: »Gern werde ich alles tun, was die Regel
verlangt.« Reinhart schlüpfte durch einen Spalt und
trat zu Ysengrin, der noch immer über seine Platte
klagte, auf der keine Haut und kein Fell mehr geblieben
war. Beide gingen von dannen, Reinhart voraus
und der andere hinterher, bis sie zu einem Weiher gelangten.
Es war wenig vor Weihnacht, um die Zeit, da man
die Schinken in Salz legt. Der Himmel war klar und
sternenhell, und der Teich, in welchem Ysengrin fischen
sollte, war fest zugefroren. Nur ein Loch war
offen geblieben, welches die Bauern geschlagen hatten,
um ihr Vieh zu tränken, und neben dem Loch war
ein Eimer stehen geblieben. Reinhart ging vergnügt
auf den Eimer zu, sah seinen Gevatter an und sprach:
»Herr, diesen nehmt! Hier gibt es eine Menge Fische,
und auf diese Weise pflegen wir sie zu fangen.« »Bruder
Reinhart!« erwiderte Ysengrin, »bindet mir diesen
Eimer fest an den Schwanz!« Der andere nahm ihn
und band ihn so fest er konnte. »Bruder,« sagte er
dann »jetzt haltet Euch ruhig, damit die Fische kommen.
« Dann drückte er sich unter ein Gebüsch und
steckte die Schnauze zwischen die Füße, um zu beobachten,
was jener anstellen würde. Das Wasser begann
zu gefrieren und der Eimer an Ysengrins
Schwanze fror mit ein, so daß der Schwanz fest an
das Eis geheftet wurde. Nach einer Weile glaubte der
Wolf, es sei nun genug, und er versuchte, den Eimer
herauszuziehen. Lange zerrte er vergebens, dann rief
er nach Reinhart, denn der Tag begann schon zu dämmern.
Reinhart erhob den Kopf, öffnete die Augen
und blickte sich um: »Bruder,« sprach er, »laßt Eure
Arbeit stehen, gehen wir heim, lieber Freund! Wir
haben genug Fische gefangen.« »Reinhart, es sind zuviel!
« rief ihm Ysengrin zu. »Ich habe so viel gefangen,
daß ich den Eimer gar nicht wieder herausziehen
Читать дальше