Various - Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

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Various

Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

Vorbemerkung

In dieser Sammlung ist der Grundsatz genauer Nachbildung von Versmaß und Reimverschlingung streng durchgeführt. Wer Übersetzungen eine Mitgift aus eigenem geben kann, mag sich freier bewegen; der bescheidene Dolmetsch soll die Gebärde des Kunstwerks ehren und deshalb den Vorteil verwandter Formen selbst auf die Gefahr einer gelinden Beengung ausnutzen. Es ist keineswegs richtig, daß Übersetzungen durchaus den Eindruck von Originalen machen müssen, der Geruch der Muttererde darf sich nicht verflüchtigen. Unsere Bühne kann den Trochaeus des spanischen Dramas, den Alexandriner des französischen getrost preisgeben, ihre Mittel leisten tausendfältigen Ersatz und ermöglichen Treue der Stimmung; die redlichste Übertragung eines Gedichtes hat dagegen immer noch genug Verluste zu beklagen. Gewiß wird alle Lyrik durch dieselben Stimmungen ausgelöst, doch die Seelen der Völker und Zeiten sind so verschieden, wie die der Sprachen.

Der Leitsatz rechtfertigt die Verwendung des oft verketzerten Alexandriners. Was ihn uns unbehaglich macht, ist zumeist die starre Cäsur, die ihn im Deutschen – viel schärfer als im Französischen – wie mit einem Beilschlage zerhackt; sie ist frei behandelt, wie dies ja auch die jüngeren Franzosen belieben.

Dem vers libre ist peinliche Gerechtigkeit widerfahren; Meister wie Régnier und Verhaeren können dies beanspruchen, sie sind gegen den Verdacht gespreizter Unfähigkeit geschützt, die sich nur zu oft solcher Tracht bedient.

Es bedarf keiner Erwähnung, daß das Büchlein weder bestimmte Zeitabschnitte noch Schulen erschöpfen will; nicht einmal dem Reichtum der vertretenen Dichter wird es auch nur annähernd gerecht.

Lugano , im Herbst 1907

Joseph Jaffé

François Villon

geb. 1431

Aus dem großen Testament

Mich reut, daß ich in jungen Tagen
Gescheut hab jede ernste Pflicht,
Das Alter naht, wer kann es sagen,
Wie bald dies wilde Herz schon bricht.
Zu Fuß enteilt die Zeit ja nicht,
Sie sitzt zu Rosse! ach, mein Glück
War immer leicht nur von Gewicht,
Mir ärmsten blieb auch nichts zurück.

Die Jahre sind dahin gegangen,
Nichts ernstes habe ich erstrebt,
Mit Schrecken seh ich und mit Bangen,
Ich bin nicht reif, bin nur verlebt.
Eh’ noch mein Sein ins Nichts entschwebt,
Hat mich der letzte Freund vergessen,
Kein Herz, das um mich zagt und bebt …!
Ich habe nie ein Glück besessen.

Nie hab ich schweres Geld gezahlt
Für Leckerbissen und für Wein,
Bei Frauen nie damit geprahlt,
Davon ist mein Gewissen rein.
Wer dies nicht glaubt, der läßt es sein,
Mag seinen Glauben er genießen!
Wirft einer deshalb einen Stein,
Wird er von sich auf andere schließen.

Geliebt hab ich natürlich auch
Und liebte gerne noch viel mehr,
Doch volles Herz und leerer Bauch,
Die helfen dabei nicht zu sehr.
Wer Sorgen hat, trägt alles schwer,
Der weiß nicht viel von Feiertagen,
Mein Magen war ja meistens leer,
Musik macht nur ein voller Magen.

Hätt ich bekämpft die wilde Sucht
Und was gelernt in jungen Jahren,
Mich fromm befleißigt guter Zucht,
Ich würde heute besser fahren.
Doch böse Buben, wie wir waren,
Die schwänzen, wenn’s zur Schule geht!
Jetzt kann ich mir die Worte sparen,
Die Reue kommt ja stets zu spät.

Geschrieben steht – nur habe ich
Gedeutet es nach meinem Sinn —
„Mein Sohn, freu’ in der Jugend dich!“
Ja, davon hatte ich Gewinn.
Nun ist die Jugend längst dahin!
Was weiter folgt, schien mir nicht wichtig,
„Die Jugend“, heißt es dann darin,
„Und ihre Freuden, die sind nichtig.“

„Die Tage sind mir voller Hast
Enteilt“, kann ich mit Hiob sagen,
„Schnell wie am Webstuhl ohne Rast
Das Schifflein gleitet“. Darf ich klagen?
Wer Hoffen nicht mehr kennt noch Zagen,
Erschrickt nicht, wenn das Ende droht,
Mich wird kein Mißgeschick mehr schlagen,
Denn alles schwindet mit dem Tod.

Wo sind sie hin, die Burschen all’,
Mit denen einst ich mich ergötzt,
Die hoch des freien Wortes Schall,
Noch höher kühne Tat geschätzt?
Die meisten sind zu Tod gehetzt,
Gott, der die Sünder nicht verläßt,
Schenk ihnen ewige Ruhe jetzt
Und schirme gnädiglich den Rest.

Gar mancher hat es weit gebracht
Und kann auf stolzem Rosse reiten,
Gar mancher bettelt nackt und lacht,
Brot sieht er höchstens mal vom weiten.
Noch andere traten klug beizeiten
Ins Kloster ein und beten brav,
Ich seh sie in Sandalen schreiten,
Wie es nun grade jeden traf.

Die großen Herren können lachen,
Sie haben immer gute Zeit,
Gott braucht sich Sorgen nicht zu machen
Um dieser Leute Fröhlichkeit.
Dem Armen, der vor Hunger schreit
Wie ich, o Herr, erweis dich gnädig,
Im Kloster kennen sie kein Leid,
Die Mönche sind der Sorgen ledig.

Sie lieben wohlbestellten Tisch
Und trinken gerne guten Wein
Zum Braten, Kuchen und zum Fisch,
Stets muß er frisch vom Zapfen sein.
Die Arbeit macht den Brüdern Pein,
Der Tag soll sorgenfrei verfließen,
Doch schenken sie sich selber ein,
Dess’ lassen sie sich nicht verdrießen.

Des Urteils harr ich in Geduld,
Mein Fall ist einfach, klar und schlicht,
Vergebung hoff ich meiner Schuld,
Was andere taten, richt ich nicht.
Ein Sünder bin ich und ein Wicht,
Gelobt seist du, o Jesuchrist,
Du führst mich ein zum ewigen Licht!
Doch was ich schrieb, bleibt, wie es ist.

Jetzt lassen wir die Kirche ruhn
Und reden mal von andern Dingen,
Man hat nicht gern damit zu tun,
Vergnügen kann es auch nicht bringen.
Die Menschen, die mit Sorgen ringen,
Gebrauchen Worte leicht, die kränken,
Und wenn sie schon den Mund bezwingen,
Verhindert nichts sie, hart zu denken.

Wir, die von armen Leuten stammen,
Wir können nur von Not erzählen,
Mein Vater brachte nichts zusammen,
Und auch sein Vater mußt sich quälen.
Es tat an allem stets uns fehlen,
Und auf den Gräbern meiner Ahnen
– Der Herr erbarm sich ihrer Seelen —
Erblickt man weder Helm noch Fahnen.

Ließ mir der Hunger keine Ruh,
Hat oft mein armes Herz gesagt:
Weshalb, o Menschlein, jammerst du?
Verachte, was dich quält und plagt!
Jacques Coeur 1 1 Jacques Coeur, Bankier der französischen Krone unter Karl VII. (1422-1461), der reichste Mann seiner Zeit. hat alle überragt
An Reichtum und litt niemals Not,
Wenn auch dein Los dir nicht behagt,
So lebst du doch, und er ist tot.

Jacques Coeur hat alle überragt,
Ein Herr …! jetzt ein erloschnes Licht.
Es gilt von ihm, was David sagt:
„Ich suchte ihn und fand ihn nicht.“
Im übrigen hat mein Gedicht
Für eine Predigt keinen Raum,
Ich leiste gern darauf Verzicht,
Nur Pfaffen schlagen solchen Schaum.

Nie habe ich, sagt’s allen Leuten,
Für einen Engel mich gehalten,
Ich wollte niemals was bedeuten,
Nie konnt ich aus dem vollen schalten.
Still in der Erde, in der kalten,
Ruht längst mein Vater, und Freund Hain
Naht schon dem Mütterlein, dem alten,
Der Sohn wird auch zu finden sein.

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