Ihr mein Herz und mein Leben seid, all mein Gut,
meine Gesundheit und meine Freude, daß ich heute
und immerdar Euch gehöre.« Die Jungfrau verbarg
ihre Freude über diese Worte und antwortete züchtig
und bescheiden, sie sei zwar zu niedrig für seine
Liebe, doch wage sie nicht, eine so große Ehre auszuschlagen.
Darauf küßte sie der König wohl zwanzigmal
auf den Mund, dann führte er sie in sein Schloß
und ließ den Kaplan rufen; dieser aber legte ihre
Hände ineinander und vermählte sie. Als die Mutter
dies erfuhr, sprach sie: »Verflucht sei er, wenn er sie
genommen hat, und jeder, der ihn noch als König achtet.
Gar zu niedrig hat er gehandelt, daß er eine Landstreicherin,
eine Hergelaufene geheiratet hat, eine
Frau mit nur einer Hand!« Vierzehn Tage darauf
wurde Pfingsten gefeiert, und an diesem Tage wollte
der König seine junge Gemahlin krönen lassen. Zu
dieser Feier berief er alle seine Vasallen aus Schottland,
Cornwall und Irland und die Nachricht von seiner
Vermählung verbreitete sich pfeilgeschwind im
ganzen Lande. Als die Nachtigallen sangen und die
Wiesen blühten, da füllten die Ritter, die Grafen und
Barone mit ihren Damen die Zelte, und drei Tage lang
wurde die Hochzeit gefeiert. Die Mutter des Königs
aber reiste am nächsten Tage voll Grimm auf ihr
Landgut, denn sie glühte vor Neid und Haß gegen die
junge Königin.
Fünf Monate mochten seitdem vergangen sein, da
sprach der König eines Tages zu seiner Gemahlin:
»Ich bitte Euch, liebe Freundin, daß Ihr mir um meiner
Ehre willen eine Reise gewährt: in Frankreich findet
ein großes Turnier statt, dem ich beiwohnen
muß.« »Diese Reise erschreckt mich,« erwiderte die
Manekine, »denn ich bin allein in diesem Lande und
Eure Mutter haßt mich.« »Ich werde Euch in solcher
Hut lassen, daß Ihr weder meine Mutter noch sonst jemanden
zu scheuen braucht.« Der König hatte einen
Seneschall, der sein treuester Ratgeber war, diesen
berief er nebst zwei anderen Rittern zu sich und
sprach: »Ihr Herren, ich gehe auf kurze Zeit in ein anderes
Land, um Ehre und Ruhm zu erwerben. Ihr werdet
bei der Königin bleiben und sie mit eurem Leben
schützen. Vor allem werdet ihr sie vor meiner Mutter
behüten, damit diese ihr kein Leids antut.« Darauf
nahm er Abschied von seiner Gattin und trat mit großem
Gefolge die Fahrt an.
Die Königin, welche ihn bis zum Meere begleitet
hatte, kehrte in Gesellschaft ihrer drei Hüter zurück.
Es gab nichts mehr auf der Welt, was sie erfreuen
konnte, seit sie den Anblick ihres Gemahls entbehren
mußte, doch sie tröstete sich, so gut sie es vermochte,
wegen der Leibesfrucht, die sie trug. Endlich gebar
sie den schönsten Knaben, den die Natur jemals ge-
bildet hat. Überall im Lande verbreitete sich die
Kunde, daß die Königin entbunden habe und der Seneschall
berief seine zwei Gefährten zu sich: »Ihr
Herren,« sagte er, »wir müssen unverzüglich einen
Boten an den König nach Frankreich schicken, der
ihm die erfreuliche Nachricht überbringe.« Darauf
nahm er ein Pergament, denn er verstand Romanisch
und Latein, und begann zu schreiben, wie folgt: »Dem
Könige von Schottland, seinem Herrn, dem Gott
Freude und Ehre gebe, entbietet Gruß und Freundschaft
der Seneschall, den er zurückließ, sein Land
und sein Weib zu schirmen. Ich tue Euch zu wissen,
daß meine Herrin mit einem Knaben niederkam, wie
ihn schöner kein Mensch je ersah, und Eure Liebste
ist bei guter Gesundheit. Das Kindlein aber heißt Johannes.
Solches tun wir Euch zu wissen. Aber kehrt
um Gottes willen, wenn es Euch gefällt, schleunigst
zurück, denn meine Herrin hat große Sehnsucht nach
Euch und vergeht schier vor Gram.« Darauf versiegelte
er den Brief und übergab ihn einem Boten. Dieser
machte sich auf den Weg und gelangte am zweiten
Tage nach Evoluic, wo die Mutter des Königs sich
aufhielt. Der Bote trat in ihr Haus, denn er wußte
nichts von dem Hasse, den sie gegen die junge Königin
trug. Die Alte begrüßte den Boten und fragte ihn,
wohin er gehe. Als sie den Zweck seiner Reise erfahren
hatte, ließ sie ihm einen starken Wein reichen,
und er trank so lange, bis er seiner Sinne nicht mehr
mächtig war. Da lachte die böse Alte, und während
der Trunkene schlief, durchsuchte sie seine Taschen,
bis sie die Kapsel mit dem Briefe fand, dann rief sie
ihren Schreiber und ließ sich den Brief vorlesen. Der
Inhalt mißfiel ihr und sie ließ einen anderen anfertigen,
in welchem zu lesen war, daß der Seneschall seinem
Herrn Gruß entbiete und daß er ihm voll Zorn
und Schmerz unfrohe Nachricht zu wissen tue: »Herr,
Eure Gattin hat entbunden, aber nie im Leben sah
man ein so scheußliches Geschöpf wie das, welches
sie unter ihrem Herzen trug. Es hat vier Füße, ist ganz
behaart und seine Augen liegen tief im dicken Kopf.
Sobald es geboren war, entschlüpfte es wie eine
Schlange seinen Wärterinnen, und diese wagten
kaum, es wieder zu ergreifen. Alle Eure Untertanen
sind in Schrecken und Verwunderung. Nun tut uns
Euren Willen kund, was mit einem solchen Erben geschehen
soll.« Darauf versiegelte sie den Brief wieder,
legte ihn in die Kapsel und trug diese wieder dahin,
wo sie sie gefunden hatte. Als der Bote ausgeschlafen
hatte, machte er sich wieder auf den Weg, und die
böse Alte befahl ihm, auf dem Rückwege wieder bei
ihr vorzusprechen.
Der Bote gelangte nach Frankreich, suchte seinen
Herrn auf und übergab ihm den Brief. Der König
brach das Siegel auf und fast schwanden ihm die
Sinne, als er den Inhalt des Schreibens las. Damit die
Leute seine Verwirrung nicht bemerken sollten, zog er
sich in sein Gemach zurück und las den Brief immer
wieder von neuem. Er raufte seine Haare, zerriß sein
Gewand, und Tränen entströmten seinen Augen. Als
er sich ein wenig beruhigt und mit seinen Begleitern
Rats gepflogen hatte, nahm er Pergament und Tinte
und schrieb: »Der König von Schottland gebietet den
dreien, denen er seine Geliebte in Hut gab, daß diese
in ihrem Wochenbette gut gepflegt werde. Wenn
ihnen ihr Leben lieb ist, sollen sie seine teure Gattin
und das, was sie geboren hat, so wert halten wie ihren
eignen Leib. Zu Fasten wird der König zurückkehren
und dann seinen weiteren Willen kundtun.« Darauf
versiegelte er den Brief und übergab ihn dem Boten,
welcher sogleich den Rückweg antrat.
Als die böse Alte ihn kommen sah, war sie sehr
froh; sie erwiderte freundlich seinen Gruß und fragte
ihn nach dem Wohlergehen des Königs. Darauf ließ
sie ihm wieder starken Wein auftragen, und er trank
so lange, bis er vor Trunkenheit in Schlaf verfiel. Als
die dunkle Nacht gekommen war, schlich sich die
Alte in die Kammer des Boten, nahm ihm den Brief
und ließ ihn sich von ihrem Schreiber vorlesen. Als
sie hörte, daß der König seine Heimkehr zu Fasten in
Aussicht stellte und daß bis dahin die Manekine gut
gepflegt, bedient und geehrt werden sollte und ihre
Leibesfrucht mit ihr, da wurde sie mißmutig und ließ
sogleich ein anderes Schreiben aufsetzen. Der Schreiber
mußte antworten, daß der König seinem Seneschall
gebiete, er solle unverzüglich die Königin zum
Feuertode führen, sobald sie ihr Wochenbett verlassen
habe, und mit ihr das, was sie geboren habe. Denn er
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