Matabrune geziehen hat.« Die Dame dankte ihm
innig. Darauf bestieg Helias sein Roß, und der Kampf
begann. Schließlich wurde Malquerre besiegt. Als die
alte Hexe Matabrune sah, daß Malquerre besiegt war,
floh sie auf ihr Schloß Malbruiant, denn sie wußte
wohl, daß ihr Sohn, der König, sie sehr haßte. Als der
Kampf beendet war, sagte der Knabe zum König:
»Herr, ich habe mit Gottes Hilfe im Kampf gesiegt.
Die Frau muß befreit werden.« Da Malquerre sah,
daß er besiegt war, rief er dem Knaben zu: »Knabe,
töte mich nicht, sondern wisse, daß Matabrune all
diese Frevel veranlaßt hat. Sie hieß mich die Ketten
vom Halse der Kinder reißen, die deine Brüder
waren.« Der Knabe antwortete: »Du hast schlecht gedient
und du sollst deinen Lohn empfangen.« Da zog
er sein Schwert und hieb ihm den Kopf ab.
Nach dem Kampfe trat der König zur Königin und
sprach: »Herrin, vergebt mir um Gottes willen, daß
ich meine Pflicht gegen Euch vernachlässigt habe;
aber meine Mutter hat all dies veranlaßt.« »Herr,«
versetzte die Königin, »ich vergebe Euch aus ganzem
Herzen!« Darauf wollte die Frau den Knaben küssen,
aber dieser entzog sich ihr und sprach: »Herrin, das
habe ich im Walde nicht gelernt, denn nie sah ich eine
Frau oder Jungfrau, sondern nur wilde Tiere!« Als die
Barone dies hörten, lachten sie laut. »Herr,« sprach
der Knabe alsdann, »laßt Marke kommen, denn ihm
sind von Matabrune um meinet- und meiner Brüder
willen die Augen ausgerissen worden.« »Herr,« sagte
Marke, »da bin ich.« Da wandte sich Helias zu ihm,
hauchte ihm auf die Augen, und durch Gottes Kraft
wurde er sogleich wieder sehend. Der König aber und
die Barone verwunderten sich sehr. Darauf fragte der
König den Knaben, wer er wäre und woher er käme.
Der Knabe gab sich ihm als sein Sohn zu erkennen
und erzählte ihm alles, was vorgefallen war. »Herr,«
sagte Helias alsdann, »kommt mit mir und Ihr sollt
große Wunder unseres Herren schauen.« Sie gingen
zum Teich und Helias lockte die Schwäne herbei.
Diese flogen herzu und liebkosten ihn mit den Flügeln.
Darauf gab er jedem seine Kette und sie nahmen
ihre menschliche Gestalt wieder an. Nur einer war
darunter, dem sie fehlte, der schlug mit den Flügeln,
riß sich mit dem Schnabel die Federn aus und gebärdete
sich ganz verzweifelt. Als der König und die Königin
dieses sahen, beweinten sie ihr Kind, das sie auf
diese Weise verloren hatten.
Am anderen Tage wurden die Kinder getauft und
König Oriant und Königin Beatrix freuten sich ihres
Nachwuchses. Der König entbot seine Barone und
krönte unter großen Festlichkeiten seinen Sohn Helias
zum König.
Aber Helias grämte sich, daß ihm Matabrune entkommen
war; er rief sein Heer zusammen, zog vor
Malbruiant, wo die Alte hauste, und belagerte die
Stadt. Die Einwohner bereuten es alsbald, die alte
Hexe aufgenommen zu haben; sie gingen zu Helias
und überlieferten ihm die Stadt. Der König Helias zog
in die Stadt ein, ging ins Schloß und ließ die Alte fesseln.
Darauf befahl er, daß ein großes Feuer angezündet
würde, und er warf Matabrune selbst hinein. Da
wurde die alte Hexe verbrannt. Der König hatte seine
Mutter herbeiholen lassen, und sie kam gern zu ihm
und war sehr froh, daß die Alte verbrannt war, die ihr
soviel Leids und so großes Unrecht angetan hatte.
9. Die Manekine
Es lebte einst ein weiser und gerechter König, der
über ganz Ungarn herrschte; seine Gattin war eine armenische
Königstochter von hoher Schönheit und
übermenschlicher Güte, lange hätte man wandern
müssen, um ihresgleichen zu suchen. In ihrer zehnjährigen
Ehe hatte die Königin nur einer Tochter das
Leben geschenkt, welche Joie hieß, weil durch ihre
Geburt das ganze Land erfreut wurde. Der Tod, der
auch die Großen der Erde nicht verschont, warf die
Königin, noch ehe sie gealtert war, aufs Lager und
verwandelte die Rosenfarbe ihres Leibes in Leichenblässe.
Da sprach sie zu ihrem Gatten: »Herr, ich
bitte Euch, daß ihr keine Frau nach mir heiratet.
Wenn aber die Edlen Eures Landes nicht wollen, daß
das ungarische Reich unserer Tochter verbleibt, und
wenn Ihr Euch, um einen männlichen Erben zu erhalten,
zu neuer Ehe entschließen müßt, so bitte ich
Euch, daß Ihr nur eine Frau heiratet, welche mir
gleicht.« Das beschwur der König und dann schied
die Königin aus diesem Leben.
Kurz darauf versammelten sich die Barone und der
älteste von ihnen sprach: »Das Königreich Ungarn
würde in Bedrängnis geraten, wenn ein Weib es in
seinen Händen hielte. Deshalb laßt uns zum König
gehen und ihn von Herzen bitten, daß er nach unserem
Rat eine neue Gattin nehme.« So taten sie, aber
der König antwortete, er habe seiner toten Gemahlin
versprochen, nie eine Frau zu nehmen, welche ihr
nicht an Schönheit und Güte gleichkäme. Als die Barone
solches hörten, wählten sie zwölf Boten aus,
welche ausziehen sollten, um eine der toten Königin
ähnliche Jungfrau zu suchen. Die Boten erschauten
die Tochter von manchem König und von manchem
Grafen und litten manche Pein, aber das Ziel ihres Suchens
erreichten sie nicht. Als der König beim heiligen
Weihnachtsfeste zur Tafel saß, kamen die Boten
zurück und berichteten, daß sie nirgends eine Frau gefunden
hätten, welche der Verstorbenen gleiche. Nun
geschah es aber, daß einer der Grafen die schöne Königstochter
beim Mahle bediente, und als er sie anblickte,
da schien es ihm, als sei sie ihre Mutter selber,
nur daß sie um vieles jünger war. Nach dem
Essen sagte er also zu den Baronen: »Ihr Herren, nie
wird man ein solches Weib finden, wie es der König
sucht, es sei denn, daß er seine Tochter heiratet.« Da
nickten die Barone zustimmend, aber der König, dem
sie ihre Meinung vortrugen, lehnte ein solches Ansinnen
ab. Wie aber die Großen des Landes auf der Wiederverheiratung
bestanden und wie auch die Prälaten
und Bischöfe ihren Dispens erteilten, da besann sich
der König und bat dann, ihm bis Lichtmeß Frist zu
gewähren.
Einst trat der Vater unangemeldet in Joiens Gemach,
er ergriff ihre Hand und setzte sich neben sie.
Darauf schaute er ihr ins Gesicht und bemerkte, daß
die Natur nie ein schöneres Weib gebildet hatte. Als
er aber von ihr ging, war der Funke sündiger Liebe in
seiner Brust entzündet. Eines Tages ließ er seine
Tochter vor sich kommen und sprach zu ihr: »Liebe
Tochter, erzürne dich nicht über das, was ich dir jetzt
sagen werde!« »Vater,« entgegnete diese, »Euer Wille
ist mir nie mißfällig.« »Liebe Tochter,« hub der
König wieder an, »ich habe deiner Mutter auf ihrem
Totenbette versprochen, daß ich nach ihr keine andere
Frau heiraten wolle als eine solche, die ihr gliche.
Aber nur du allein kommst ihr auf der weiten Erde
gleich. Sieh, meine Barone wollen nicht, daß das ungarische
Reich ohne männlichen Erben bleibe, deshalb
hat die Geistlichkeit mir die Erlaubnis erteilt,
mich mit dir zu vermählen: du sollst gekrönte Königin
von Ungarn sein!« »Vater,« antwortete die Jungfrau,
»laßt diese Worte! Ich würde lieber den Tod erleiden,
als meiner Seele Seligkeit verlieren.« »Töricht
hast du mir geantwortet,« rief der Vater voll Zorn,
»wenn du dich meinem Willen nicht fügen willst, so
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