werde ich dich zwingen!« Ohne Abschied ging er hinaus
und die Jungfrau kehrte auf den Tod betrübt in
ihre Kammer zurück.
Lichtmeß kam und Barone, Ritter und Geistliche
versammelten sich wieder am Hofe. Der König sagte
ihnen, daß er ihrem Willen, ein anderes Weib zu nehmen,
willfahren wolle, und alle waren sehr froh darüber.
Joie aber hatte durch eine Späherin erfahren,
daß die Großen des Landes kommen würden, sie vor
den König zu holen. Als sie dieses hörte, geriet sie in
große Furcht und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie
trennte sich von ihren Gefährtinnen, ohne daß diese es
merkten, und eilte von Saal zu Saal. Endlich gelangte
sie in einen Küchenraum, welcher mit der Hinterwand
an einen Fluß grenzte. Alle die Küchenknechte waren
ins Schloß gegangen, um dem Hoftag zuzuschauen,
so daß Joie ganz allein war. Auf dem Anrichtetisch
lag ein großes scharfes Küchenmesser, das ergriff sie
und bat die Gottesmutter, daß sie ihr Kraft verleihe.
Schon hörte sie, wie die Menge vor ihrer Kammer
lärmte, wie man kam, um sie vor den König zu holen,
da faßte sie das Messer fester und mit einem kräftigen
Schlag trennte sie ihre linke Hand vom Arme und
warf sie in den Fluß, dann schwanden ihr vor
Schmerz die Sinne. Als sie wieder zu sich kam, wikkelte
sie den Stumpf in ein Tuch und trat mit totenblassem
Antlitz in ihre Kammer, wo vier Grafen ihrer
warteten. »Eine gute Nachricht bringen wir Euch,
Jungfrau,« redeten sie diese an, »freuet Euch, Ihr sollt
Königin von Ungarn werden. Der König erwartet
Euch im Schloß und trägt Euch durch uns auf, unverzüglich
vor ihm zu erscheinen.« Schweigend und
bleich folgte die Jungfrau den vier Grafen vor den
König, eine Schar Mägde begleitete sie. Der König
nahm Joie bei der Hand und umarmte sie, dann bemerkte
er das Blut an ihrem Arm. »Tochter,« sprach
er, »was ist Euch geschehen?« »Herr,« erwiderte sie,
»wohl weiß ich, was Ihr von mir verlangen wollt, aber
Königin werde ich nicht. Seht, mir fehlt die linke
Hand, und nach unserem Gesetz darf ein König keine
Frau ehelichen, der eines ihrer Glieder fehlt.« Als der
König und die Barone den Stumpf sahen, da wurde
ihre Freude in Leid verwandelt. Der König merkte
wohl, daß sie solches aus freien Stücken getan hatte,
um sich seinem Willen zu entziehen, und er befahl
voll Zorn seinem Seneschall, daß er die Jungfrau
heute über drei Tage zum Feuertode führe. Die Barone
erschraken sehr, aber sie wagten nicht, ihren Kummer
zu zeigen. Da ging der Hoftag in Trauer und Klagen
auseinander, und der König zog sich auf ein fernes
Schloß zurück. Der Seneschall blieb zurück, um
Joie, die im Gefängnis schmachtete, zum Scheiterhaufen
zu bringen. Die Nachricht, daß Joie verbrannt
werden sollte, verbreitete sich im ganzen Lande, und
besonders die Armen, denen sie oft Brot und Kleider
gegeben hatte, waren von Zorn und Gram erfüllt. Der
Seneschall beschloß, die Jungfrau zu retten; er ließ
ein Fahrzeug mit Fleisch und Wein füllen, dann ließ
er drei Rosse satteln, Joie mußte das eine besteigen
und der Seneschall und der Kerkermeister ritten zu
ihren Seiten. So verließen sie im Dunkel der Nacht
die Stadt und ritten so lange, bis sie ans Ufer des
Meeres kamen. Da sprach der Seneschall zu der Jungfrau:
»Ihr wißt, Herrin, daß mir der König bei meinem
Leben befahl, Euch ins Feuer zu werfen. Aber
das Mitleid, das ich für Euch empfinde, läßt nicht zu,
daß ich Euch unter solchen Qualen sterben sehe. Ich
will Euch in einem segel- und mastlosen Boot aussetzen
und Euch dem Schutze Gottes anheimstellen, er
möge Euch geleiten und bewahren.« »Ich bin Euch
dankbar,« versetzte die Jungfrau, »daß Ihr meinen
Leib vor dem Feuer gerettet habt, denn lieber will ich
ertrinken, wenn es Gott gefällt, als verbrennen. Ferner
bitte ich den wahren Gott von Herzen, daß er meinem
Vater die Sünde, die er an mir tat, vergeben möge,
und daß er ihm mehr Freuden verleihen möge, als mir
beschieden sind.« Der Seneschall führte sie weinend
in das Schiff, dann befahl er sie Gott und der heiligen
Jungfrau und stieß den Nachen ins Meer.
Am neunten Tage landete die Jungfrau mit Gottes
Hilfe an der Küste Schottlands. Es war gerade Funkensonntag,
und die Einwohner des Landes trieben
Kurzweil am Meeresufer. Unter ihnen befand sich
auch der Profoß. Er hatte sein Gesicht zum Meer gewendet
und bemerkte den Nachen, der ohne Segel und
Mast herantrieb. Als das Boot an Land kam, begab
sich die Menge zum Strande und der Profoß begrüßte
die Fremde: »Jungfrau, der wahrhaftige Gott gebe
Euch Glück und Freude!« »Herr,« entgegnete sie,
»der, den Ihr anrieft, möge Euch erhören!« »Jungfrau,
berichtet uns, wo Eure Heimat und wie Euer Name
ist!« »Herr, ich bin eine Unglückliche, die hier ans
Ufer trieb. Wenn es Euch gefällt, so rettet mich; mehr
kann ich Euch nicht sagen.« »Wenn Euch jemand Unrecht
tat, Schöne, so seid Ihr hier in guter Hut. Ich
will Euch zu meinem Herrn führen, der König in diesem
Lande ist, er ist jung und schön. Bei seiner Mutter
wird es Euch wohlergehen und an nichts fehlen.«
Der Profoß nahm die Jungfrau mit sich heim und
führte sie am anderen Tage nach Dondieu, wo der
König mit seiner Mutter weilte. Dieser saß gerade mit
zweiunddreißig seiner Barone bei der Tafel, als der
Profoß, die Jungfrau an der Hand haltend, eintrat.
»Herr,« sagte er, »eine schöne Beute bringe ich Euch
hier. Nehmt sie, die ein Schiff hertrieb, in Gnaden
auf!« Der König wandte sich liebevoll an die Fremde
und fragte sie nach ihrer Herkunft und ihrem Schicksal,
sie aber sagte, sie wolle lieber sterben, als ihr Unglück
erzählen. Da der König ihre Tränen sah, drang
er nicht weiter in sie, sondern führte sie seiner Mutter
zu. So blieb sie am Hofe und wurde bald ihrer Güte
und Schönheit wegen allgemein beliebt; da man aber
ihren Namen nicht wußte, nannte man sie die Manekine,
das heißt Einhand. Je länger sie am Hofe verweilte,
in desto höherem Maße kehrte ihre frühere Schönheit
wieder, und je schöner sie wurde, desto mehr
fühlte sich der junge König zu ihr hingezogen, bis die
Bande der Liebe, die ihn fesselten, so stark wurden,
daß er sie nicht mehr zerreißen konnte. Auch ihr Herz
war von Liebe erfüllt, aber keiner von beiden kannte
die Gefühle des anderen.
So verging ihnen ein ganzes Jahr unter schlaflosen
Nächten, aber der Königinmutter, welche das schlechteste
und listenreichste Weib von der Welt war, entging
es nicht, daß ihre Herzen Liebe zueinander trugen
und sie sprach zornig zu Manekine: »Es scheint
mir, daß mein Sohn dich von Herzen liebt. Ich verbiete
dir, wenn dir dein Leben lieb ist, ihm in Zukunft
Gesellschaft zu leisten. Ich werde dich töten lassen,
wenn er sich noch einmal mit dir sehen läßt.« Als am
dritten Tage der König wieder in ihr Zimmer trat, zitterte
die Jungfrau vor Furcht und weinte. Der König
merkte wohl, daß sie in Kummer war und er fragte sie
nach der Ursache ihres Grams. Da erzählte sie ihm
das Verbot der bösen Alten. »Freundin,« erwiderte er,
»beruhigt Euch! Ich will Euch vor ihr schützen und
will Euch nicht länger verheimlichen, was ich bisher
verborgen hielt. So wißt denn, mein süßes Lieb, daß
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