habe wenig erfreuliche Neuigkeiten über die Manekine
erfahren, wohl wisse er, warum sie nur eine Hand
habe und nicht umsonst sei sie so verstümmelt. »Verbrennt
sie ohne Zaudern, wenn Euch Euer Leben lieb
ist!« so schloß das Schreiben. Als es vollendet war,
legte der Schreiber das Wachs wieder auf, ohne daß
das Siegel verletzt wurde und verschloß den Brief in
die Kapsel des schlafenden Boten.
Nach dreimonatlicher Abwesenheit kehrte der Bote
nach Dondieu zurück und überreichte dem Seneschall
das Schreiben. Die drei Beschützer erkannten das Siegel
des Königs und erbrachen den Brief, als sie ihn
aber gelesen hatten, da verwunderten sie sich sehr und
weinten und seufzten. Dann berieten sich die drei Getreuen
untereinander und sprachen: »Den Willen unseres
Herrn müssen wir erfüllen, wenn wir auch Kummer
und Mitleid im Herzen tragen.« Die Nachricht,
daß der König befohlen habe, sein Weib und sein
Kind zu verbrennen, verbreitete sich bald im Lande
und alles Volk verwunderte sich und fluchte dem
König. Der Königin aber verheimlichte man den Be-
fehl, bis sie ihr Wochenbett, das einen vollen Monat
dauerte, verlassen hatte. Eines Tages rief sie den Seneschall
zu sich und sprach: »Seneschall, mein Herz
ist gramerfüllt über das lange Ausbleiben meines geliebten
Herrn. Ist der Bote noch nicht zurück? Wisset,
daß mein Herz schlimme Nachricht ahnt. Ich werde
nie mehr froh sein, bis ich meinen Herrn wiedersehe.
Oh, sagt es mir, wenn Ihr etwas von ihm wißt!« Der
Seneschall antwortete mit Tränen in den Augen: »Oh,
liebe Frau, es ist so weit gekommen, daß der König
Euch haßt, wenn ich auch nicht weiß, warum. Lange
haben wir es Euch verheimlicht, aber einmal müßt Ihr
es erfahren. Unser Herr hat uns wissen lassen, daß
wir, wenn uns unser Leben lieb ist, Euch und Euren
Knaben auf dem Scheiterhaufen verbrennen müssen.
Da er zu den Fasten zurückkehrt und Euch dann nicht
mehr lebend vorfinden will, so muß innerhalb dreier
Tage sein Befehl vollzogen sein.« Da erschrak die
junge Königin und ihr Herz krampfte sich zusammen.
»Was habe ich getan, großer Gott,« klagte sie, »daß
ich so harten Tod erleiden soll? Womit hat es mein
Kind verdient, daß es sterben muß?« Dann fiel sie vor
dem Seneschall auf die Knie und bat ihn, ihr Kind zu
schonen, wenn er auch mit ihr täte, was er wolle. Der
Seneschall versprach ihr, sich mit seinen beiden Gefährten
zu beraten. Da besprachen sie sich miteinander,
und der Seneschall riet, sie wollten die Manekine
so ziehen lassen, wie sie gekommen sei, auf einem
mast- und segellosen Schiff, und sie der Hut Gottes
anheimstellen. Ferner wollten sie Bilder aus Holz
schnitzen lassen, die der Königin und ihrem Söhnlein
glichen und diese vor allem Volke verbrennen, damit
sie sich vor Strafe bewahrten. Als diese Vorbereitungen
beendet waren, hießen sie die Königin mit ihrem
Kind auf einen Zelter steigen und führten sie in die
Verbannung. Am dritten Tage kamen sie an das Ufer
des Meeres, wo das Schiff bereit stand. »Lieber
Herr,« sagte die Königin, »ich danke Euch, daß Ihr
mich vor dem Feuer bewahrt habt. Ich bitte Euch,
grüßt meinen Herrn, den König, und sagt ihm, daß ich
ihn immer noch über alles auf der Welt liebe. Gott
vergebe ihm seine Schuld und schenke ihm Ehre und
Glück. Sehet, die Liebe der Menschen ist eitel, so verleihe
mir Gott seine Huld, die unwandelbar ist und
ohne Haß.« Der Seneschall führte sie weinend in das
Schiff, dann befahl er sie Gott und der heiligen Jungfrau
und stieß den Nachen ins Meer.
Am neunten Tage landete die Barke am Ufer des
Tiber. Ein Senator nahm die Manekine mit ihrem
Kinde auf. Als der König heimkehrte, erfuhr er den
Betrug und ließ seine Mutter lebendig einmauern,
dann machte er sich auf die Suche nach seiner Frau.
Nach siebenjähriger Wanderung gelangte er nach
Rom und der Trauring führte das Wiedererkennen
zwischen den beiden Gatten herbei. In Rom fand sich
auch Joiens Vater ein, welcher, von Gewissensbissen
gequält, beim Papst Vergebung für seine Sünden suchen
wollte. Schließlich fand die Königin durch ein
Wunder in einer Quelle ihre abgehauene Hand, welche
auf das Gebet des heiligen Vaters sich wieder mit
ihrem Arm vereinigte.
10. Der Fischfang des Wolfes
Ihr Herren! Es war um jene Zeit, da der Sommer zu
Ende geht, um dem rauhen Winter Platz zu machen.
Reinhart der Fuchs war in seinem Bau; er hatte nichts
zum Beißen und zum Brechen und wußte nicht, woher
er etwas nehmen sollte. Der Not gehorchend machte
er sich also auf den Weg und strich durch ein Binsengestrüpp
zwischen dem Wald und dem Fluß, bis er
die Landstraße erreichte. Dort angekommen duckte er
sich hinter eine Hecke und wartete auf Abenteuer.
Siehe, da kamen Kaufleute, welche Fische vom Meere
her brachten. Sie hatten eine Ladung frischer Heringe,
denn letzte Woche war der Wind zum Fischfang günstig
gewesen, und auch andere Arten guter Fische:
von Neunaugen und Aalen waren ihre Körbe voll.
Reinhart war noch einen Bogenschuß weit von ihnen
entfernt. Als er den mit Fischen beladenen Wagen erblickte,
lief er ein wenig voraus, doch so, daß die
Kaufleute ihn nicht bemerkten, denn er wollte sie täuschen.
Dann legte er sich mitten auf den Weg und
stellte sich tot: er kniff die Augen zu, biß die Zähne
zusammen und hielt den Atem an. Der eine Kaufmann
sah ihn und rief seinem Gefährten zu: »Sieh, ist das
ein Fuchs oder ein Köter?« »Es ist ein Fuchs,« entgegnete
jener, »pack ihn geschwind, den Hurensohn,
damit er uns nicht entwischt, denn er ist schlau. Er
soll uns seinen Pelz lassen!« Die Kaufleute liefen –
der eine hinter dem andern her – auf Reinhart zu. Sie
fanden ihn am Boden hingestreckt und drehten und
wendeten ihn nach allen Seiten ohne Furcht, daß er
sie beißen möchte. Sie schätzten den Rücken und den
Hals, der eine sagte, er sei drei Groschen wert, doch
der andere erwiderte: »Bei Gott, er ist mindestens
viere wert und das ist noch billig! Wir haben nicht
viel geladen; werfen wir ihn auf unseren Karren! Seht
nur, was für eine saubere, weiße Kehle er hat!« Mit
diesen Worten warfen sie ihn auf das Wägelchen und
fuhren weiter.
Reinhart aber machte sich über die Körbe her. Mit
den Zähnen öffnete er den einen und entnahm ihm
mehr als dreißig Heringe: da war der Korb leer. Er
fraß sie mit Genuß ohne Salz und Salbei, dann öffnete
er den anderen Korb. Er steckte seine Schnauze hinein
und zog drei Netze voll Aale hervor. Der Schlaumeier
packte die Stricke mit den Zähnen, warf sich die
Netze auf den Rücken und überlegte sich nun, wie er
wieder vom Wagen herunterkommen sollte. Erst kniete
er und spähte, dann schnellte er sich los und sprang
mit einem Satz vom Wagen herab auf die Straße,
während er um den Hals geschlungen seine Beute
trug. Nachdem er seinen Sprung getan hatte, rief er
den Kaufleuten zu: »Gott behüte euch! Dieser Haufen
Aale ist mein, den Rest könnt ihr behalten.« Als die
Kaufleute solches hörten, erschraken sie und riefen:
»Seht den Fuchs!« Sie sprangen vom Wagen herab
und hofften Reinhart noch zu erwischen, aber umsonst.
»Wehe!« sagten sie und rangen die Hände,
»das ist ein schöner Schaden! Wir Toren haben Reinhart
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