durch Fasten, Tränen und Bußhemden abtöte und abmühe.
Der Geistliche antwortete, es drohe ihm am
Tage des Gerichts ein Flammenmeer von der Größe
des Sees, und es bedürfe der ganzen Kraft seiner
Buße, um dem höllischen Feuer zu entgehen. Und er
erzählte als Beispiel, daß ein Räuber, der seinen Gegnern
entfloh, sich in Gestalt des Kreuzes zu Boden
warf, als er sah, daß kein Entrinnen mehr möglich sei,
und bekannte, er habe den Tod wohl verdient; weil er
Gott beleidigt habe. Er weinte darüber, gestand, daß
er ein Sünder sei und bat seine Verfolger, daß sie, um
Gott mit ihm zu versöhnen, seine Glieder der Marter
preisgäben. Einem Eremiten, der schon viele Jahre in
den Bergen büßend verbracht hatte, wurde offenbart,
wie Engel die Seele dieses Räubers unter Lobgesängen
in den Himmel trugen. Dafür wußte der Eremit
Gott keinen Dank, sondern er ärgerte sich und bedachte,
daß er, der sich allen Kasteiungen ausgesetzt
habe, auf gleichen Lohn für seine Buße Anspruch
habe. Als aber seine Tage gezählt waren, überschritt
er einen Bach, glitt von der Brücke und verschwand
in den Wogen, und Teufel trugen seine Seele zur
Hölle.
Der König und der Weise
Ein König hatte in seinem Lande einen weisen und
reichen Mann wohnen, fand aber keine Gelegenheit,
aus ihm Geld herauszupressen. Da richtete er drei
Fragen an ihn, die er lösen müsse, wenn er nicht eine
gewaltige Summe Geldes zahlen wolle. Die Fragen
aber schienen unlösbar zu sein. Die erste war: wo der
Mittelpunkt der Erde sei? Die zweite: wieviel Maß
Wasser das Meer enthalte? Die dritte: wie groß die
Barmherzigkeit Gottes sei? Am bestimmten Tage nun
wurde der Weise in Anwesenheit des gesamten Hofes
aus dem Kerker, in welchem er gefangen gehalten
wurde, herbeigeholt, um sich loszukaufen, wenn er
nicht die erwähnten Aufgaben löse. Da stieß er mit
dem Stab auf den Boden und sagte: »Hier ist der Mittelpunkt
der Welt. Widerlege es, wenn du kannst.
Willst du, daß ich das Maß des Meeres ausmesse, so
halte die Flüsse und alle Wasser an, damit sie nicht
ins Meer dringen, bis ich es ausgemessen und dir die
Zahl der Maße gesagt habe. Die dritte Aufgabe werde
ich lösen können, wenn du mir deine Gewänder abtrittst,
damit ich vom Thronsessel aus meine Antwort
gebe.« Hierauf, als er sich auf dem Thronsessel und in
königlichem Schmucke befand, sagte er: »So höret
und sehet die Erhabenheit von Gottes Erbarmung,
denn ich war eben ein Sklave, nun bin ich ein König
geworden, eben war ich arm, nun bin ich reich, eben
war ich in der Tiefe, nun bin ich erhöht, eben in Kerker
und Ketten, nun aber in Freiheit.« So ist der Mittelpunkt
der Barmherzigkeit Gottes überall im gegenwärtigen
Leben, seiner Gnaden ist keine Zahl und
seine Erhabenheit und Allgegenwart äußert sich darin,
daß der Sünder aus den Fesseln und Gefängnissen der
Sünde durch den Weg der Buße zum Himmelreiche
gelangt.
Crescentia
Wir lesen, daß ein römischer Kaiser eine wunderschöne
unde ngelreine Gemahlin hatte, welche er, da
er in Amtsgeschäften verreisen mußte, mitsamt seinem
Lande seinem Bruder zur Verwahrung übergab.
Der Bruder bedrängte sie, durch ihre Schönheit verlockt,
mit Versprechungen, Drohungen und Gewalt.
Da sie ihn aber verschmähte und sich tapfer gegen ihn
wehrte, so verklagte sie der Bruder nach der Rückkehr
des Kaisers bei diesem, indem er sein Verbrechen auf
sie zu wälzen trachtete. Der Gatte schenkte dem Verleumder
ohne weiteres Glauben, mißhandelte die
Frau, als sie ihm entgegeneilte, mit Füßen und Fäusten
und übergab sie zwei Sklaven, damit sie sie
heimlich in den Wald führten und enthaupteten. Diese
wollten ihr, durch ihre Schönheit verleitet, gerade Gewalt
antun, während sie sich aus Leibeskräften wehrte
und die Hilfe der heiligen Jungfrau, der sie ergeben
diente, mit lauter Stimme anrief, als ein fremder Edelmann
vorüberkam. Er hörte das Geschrei, lief herzu,
befreite sie und tötete die Sklaven. Sie selbst aber
nahm er mit sich und betraute sie mit den Obliegenheiten
einer Hausfrau, indem er ihr seinen Sohn zur
Pflege überließ. Unterdessen bedrängte sie der Bruder
ihres neuen Herrn. Da sie aber nicht einverstanden
war, sondern sich tapfer mit den Fäusten wehrte und
ihm blutige Striemen beibrachte, erwürgte dieser,
während sie schlief, den neben ihr ruhenden Sohn des
Bruders, um die ihm zugefügte Unbill zu rächen. Daraufhin
überlieferte sie ihr Herr einigen Schiffern, welche
sie in ewige Verbannung führen sollten. Diese
wollten sie vergewaltigen und dann ins Meer werfen,
setzten sie aber auf ihre Bitte hin auf einer Insel an
Land, wo ihr die selige Jungfrau erschien, die sie tröstete
und ihr ein gewisses Kraut zeigte, welches die
schlimmsten Krankheiten zu heilen vermochte, besonders
aber wurden die Aussätzigen durch diese Pflanze
geheilt, vorausgesetzt, daß sie ihre Sünden beichteten.
Das Gerücht von einer solchen Heilkraft drang bis zu
den Ohren ihres Herrn. Er führte seinen Bruder –
jenen, der ihr hatte Gewalt antun wollen und das Kind
getötet hatte und nun zur Strafe aussätzig geworden
war – zu ihr. Sie erkannte beide und sagte, selbst unerkannt,
daß es zu einer solchen Heilung zunächst der
Beichte des Kranken in Gegenwart seines Bruders bedürfe.
Da jener aber das vorher erwähnte Verbrechen
nicht erwähnte, so nützte die Medizin nichts. Nun
sagte sie vor allem Volke, daß der Kranke bisher eine
Sünde verheimlicht habe und daß infolgedessen die
Heilung verhindert werde. Da ermahnte ihn der Bruder
und beschwur ihn, alles zu gestehen, und jener
enthüllte sein Vergehen und wurde geheilt. Als der
Kaiser dieses Wunder erfuhr, ließ er sie, da sein Bruder
gleichfalls hochgradig aussätzig geworden war, zu
sich kommen und bat sie unter großen Ehrungen um
die Heilung seines Bruders. Sie entgegnete, daß sie
ihn nur dann heilen könne, wenn er seine Schuld vor
aller Welt bekenne. Da er anderes gestand, das, was
er gegen sie gefehlt hatte, aber verheimlichte, so
wurde er nicht eher geheilt, bis er auf das Drängen des
Kaisers hin das gegen sie begangene Verbrechen
beichtete. Der Kaiser war untröstlich, da er sie nicht
erkannte. Als der Bruder geheilt war, berief sie den
Kaiser zu sich und besänftigte seinen Zorn gegen
jenen. Er aber erkannte sie während der Unterredung
an gewissen Zeichen, nahm sie wieder auf, und aller
Schmerz wurde in Freude verwandelt. Die Kaiserin
wurde später Nonne und diente auf das Ergebenste
der seligsten Jungfrau Maria.
12. Cleomades und das hölzerne Pferd
Im Lande Afrika herrschten einst drei reiche Könige.
Ihre Länder waren benachbart und die Könige waren
einander freundschaftich zugetan. Sie waren aber alle
drei erfahren in der schwarzen Kunst und in der Sternkunde.
Melocandis und Baldigant waren weise, edel,
schön und ritterlich, aber den dritten, welcher Crompart
hieß, verunzierte ein Buckel, seine Augen lagen
tief im Kopf und das Kinn hing ihm auf der Brust.
Diese drei Könige hatten davon reden hören, daß
König Marcadigas von Spanien drei wunderschöne
Töchter besitze. Zu diesen hatte sie vom bloßen Hörensagen
Liebe ergriffen, und sie beschlossen, um ihre
Hand anzuhalten. Crompart, der schlaue, riet: »Ihr
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