rückwärts fliegen könne, und gar gern wäre er nach
Spanien zurückgekehrt, aber so weit hatte ihn das
Roß schon getragen, daß er nicht mehr wußte, welche
Richtung er einschlagen müsse, und zudem war er
müde und hungrig, denn er reiste nun schon einen Tag
und eine Nacht mit ungeheurer Geschwindigkeit. Er
gedachte also, zur Erde herabzugleiten, um sich auszuruhen.
Er blickte unter sich und gewahrte, daß er
über einer weiten Ebene schwebte, durch welche sich
ein Fluß schlängelte. Ein festes und schönes Schloß
lag unter ihm, umgeben von Wäldern, Weinbergen
und Wiesen. Von Konstantinopel bis Österreich hätte
man kein prächtigeres Schloß finden können. Hier
herrschte ein König mit Namen Carmans, der eine
wunderschöne Tochter besaß. Neben dem Tor des
Schlosses bemerkte der Jüngling einen hohen Turm,
der aus Marmorstein gehauen und mit Blei gedeckt
war. Auf diesen Turm zu nahm er seinen Flug und
steuerte seine Maschine so, daß er auf der Spitze desselben
landete. Er stieg vom Roß und erblickte ein
kleines Pförtchen, durch welches er in das Innere des
Schlosses dringen konnte. Er ließ also sein Flugzeug
oben auf dem Dache und eilte die Stufen hinab, denn
der Hunger trieb ihn. Durch eine Flucht von prächtigen
Sälen irrte er, bis er in einen Raum gelangte, in
welchem eine Tafel aus Ebenholz und verziert mit
kostbaren Steinen gedeckt war. Mancherlei Speisen
luden da zum Mahle, und in goldenen Pokalen funkelte
der Wein. Fleisch und Wein aber waren ein Opfer,
welches die Bewohner dieses Landes am ersten des
Mai ihren Göttern darbrachten, um von ihnen Fruchtbarkeit
zu erflehen. Der König und seine Großen hatten
ein wenig von den Speisen genossen, dann hatten
sie sich in einen anderen Saal begeben, wo böhmische
Flötenspieler und deutsche Geiger zum Tanze auf-
spielten. Dort war der ganze Hof bis Morgengrauen in
ausgelassener Lust versammelt und so blieb die Ankunft
des Fliegers unbemerkt. Cleomades wusch sich
seine Hände an einem Wasserstrahl, der aus dem
Maule eines silbernen Löwen hervorsprudelte und
setzte sich zum Mahl, während die Klänge der Fiedeln
und Harfen aus dem Tanzsaal herübertönten. Als
er sich gütlich getan hatte, wandte er sich zur offenen
Tür des Saales und trat in ein Gemach, in dem ein
Mann von riesenmäßigem Wuchse, doch ohne Bart,
angekleidet auf einem Lager schlief, das von Waffen
aller Art rings umgeben war. Der Jüngling schlich
sich an dem Schläfer vorbei und trat in einen Säulengang,
der einen Blumengarten umgrenzte. Er stand
still und sah sich um. Das Gärtlein zeigte keinen anderen
Ausgang als eine Pforte aus Ebenholz; zu dieser
wandte sich der Königssohn und drückte auf die Klinke,
worauf sich die Türe mühelos öffnete. Cleomades
trat in ein Gemach von undenklicher Pracht; dieses
hatten der König und die Königin für ihre Tochter
Clarmondine hergerichtet, welche sie über alles liebten.
Sie zu bewachen diente der riesenhafte Eunuch,
der vor dem Gärtlein schlief. Eine Unzahl von Kerzen
erhellte den Raum und durch die Fenster brach schon
der junge Tag. Drei Betten standen in der Kammer, in
welchen drei Jungfrauen ruhten, aber auf der rechten
Seite stand das schönste Lager, das je ein Mensch ge-
sehen. Es war von Gold, und Hyazinthen, Topase,
Rubinen und Saphire funkelten daran, weiße Felle
waren über die seidenen Decken gebreitet. In diesem
Bett ruhte die schöne Königstochter. Cleomades näherte
sich dem Lager, erblickte die anmutige Schläferin
und neigte sich über sie. Als er ihre Wangen aus
Milch und Purpur sah, faßte er sich ein Herz und
küßte sie, worauf sie erwachte und mit einem tiefen
Atemzug ihre Augen öffnete. Sie erschrak gewaltig,
als sie einen Mann vor sich stehen sah. Cleomades
ließ sich vor ihr auf die Knie nieder, um sie zu begrüßen,
und sie erwiderte ihm: »Lieber Herr, wie kommt
Ihr hierher? In dies Gemach darf kein anderer treten
als der Königssohn von Arkadien, mit dem ich in
meiner Kindheit verlobt wurde, ohne ihn je gesehen
zu haben. Sagt, seid Ihr der? Wenn nicht, so seid Ihr
des Todes, und wenn Euer Leben fünffache Kraft
hätte.« »Schöne Maid,« sprach der Königssohn, »ich
bin der, von dem Ihr spracht und werde alles tun, was
Euch gefällt.« »Wer führte Euch hierher?« »Niemand
weiß, daß ich kam. Die Sehnsucht nach Euch, meiner
Braut, trieb mich hierher. Nun, nachdem ich Euch gesehen,
will ich mich unverzüglich wieder entfernen,
denn um nichts in der Welt möchte ich Euch lästig
sein.« Die Jungfrau wurde froh, denn sie glaubte den
Worten des Jünglings, der ihr überaus wohlgefiel.
Seine Schönheit ergriff ihr Herz mit den Flammen der
Liebe und ebenso fühlte sich unser Held von Amors
Pfeil verwundet. Clarmondine weckte nun ihre Dienerinnen
und diese waren so sprachlos vor Verwirrung
über die Anwesenheit des Fremden, daß sie dessen
höflichen Gruß mit keinem Wort erwiderten. Cleomades
beschloß, das Gemach zu verlassen, bis die Prinzessin
sich erhoben hätte; doch versprach er nicht
eher zu gehen, als es ihr gefiele. Der Jüngling trat in
den Blumengarten, wo er sich liebeskrank niederließ
und den Duft der Blüten einsog. Clarmondine kleidete
sich indessen an und erzählte dabei ihren drei Gespielinnen
von dem jungen Ritter, den sie noch immer für
ihren Verlobten hielt. Als sie fertig waren, begaben
sie sich alle vier zu dem Königssohn in den Garten,
und dieser suchte zunächst in Erfahrung zu bringen,
in welchem Lande er eigentlich sei. Dabei sah er die
Jungfrau mit verliebten Augen an und die Liebe
schlug ihre Wurzeln in ihren Herzen. Schon lange
saßen sie so da in Gespräche und stumme Blicke vertieft,
da spähte der Riese, der die Königstochter behüten
sollte, durch ein kleines Fensterchen in den Garten.
Er erstaunte über die Maßen, als er den Ritter
sah, und er wußte nicht, wie er hineingekommen sei,
denn er glaubte alle Eingänge wohlverwahrt zu haben.
Sogleich eilte er zum König, um ihm Bericht zu erstatten.
Dieser geriet über solche Nachricht in grenzenlose
Wut. Eilends begab er sich an das Fenster
und gewahrte ein liebliches Bild: seine Tochter wand
aus Blüten einen Kranz, während ihre Gespielinnen
die Blumen dazu pflückten und der Jüngling die Seide
zusammenflocht, um den Kranz zu binden. Der
König, rasend darüber, daß ein Mann bei seiner
Tochter weile, ließ die älteste der Wärterinnen rufen,
um von ihr Rechenschaft zu fordern. Sie erzählte ihm
alles, was sie von Cleomades wußte, aber der König
merkte sogleich die Unwahrheit seiner Worte, denn
sein künftiger Schwiegersohn war ihm wohlbekannt.
Hastig trat er in das Gärtlein, und die Liebenden
sprangen erschrocken vor ihm auf. Der Jüngling begrüßte
den König, ohne Furcht zu zeigen, doch dieser
blieb ihm die Antwort schuldig und gebot, ihn augenblicklich
zu fesseln. Die Knechte legten Hand an den
Königssohn, der sich ohne Gegenwehr binden ließ.
Die Jungfrau aber kniete vor dem Vater nieder und
sprach: »Herr, dieser Mann tat mir kein Leid. Er ist
der arkadische Prinz, mein Verlobter, den Ihr mir
selbst zum Gatten bestimmt habt.« Der König sah an
den Mienen seiner Tochter, daß sie sich keiner Schuld
bewußt war. »Tochter,« sagte er, »es ist nicht der, den
Читать дальше