daß sich dein Auge daran erfreue, erfreust du doch die
ganze Welt!« Und wiederum hebt er an, die Hand auf
die Stirn gelegt, mit kleinen Schritten zierlich in der
Runde zu gehen, dabei weint er und betet: »O Frau,
dir singe ich Ehre und Preis mit Herz und Leib, mit
Hand und Fuß. Da droben singen sie Lobeshymnen:
laß mich dein treuer Tänzer sein und gib mir in deinem
himmlischen Palast eine kleine Wohnung, denn
dein bin ich ganz und gar.« Solange der Sang von
oben klingt, tanzt er ruhelos, bis ihm der Atem vergeht
und die Glieder den Dienst versagen: da sinkt er
in Ohnmacht taumelnd zu den Füßen der Himmelskönigin
nieder. Und siehe: die Strahlende neigt sich mit
gütigem Lächeln hernieder und fächelt ihn mit ihrem
Tüchlein, und mit ihrer süßen Gnadenhand kühlt sie
das Feuer seiner Schläfen.
Ein Mönch hatte von draußen diese Vorgänge mit
angesehen und heimlich den Abt geholt. Dieser ließ
am anderen Tage den Laienbruder vor sich laden. Der
Arme erschrak zu Tode, denn er glaubte, er solle
wegen seines Müßiggangs vertrieben werden. Er fiel
also voll Zagen vor dem Abt auf die Knie und sprach:
»O Herr, ich weiß, ich kann hier nicht bleiben, doch
ich will tun, was ihr befehlt. Ich will hinaus ins Elend
gehen!« Doch der Abt neigte sich voll Ehrfurcht,
küßte ihn und bat ihn, zu Gott für ihn und die Brüder
zu beten, damit sie einst von seinen Gnaden erben
möchten. Da ward der Arme vor Freude krank und
kam zu sterben. Als aber sein letztes Stündlein gekommen
war, da trugen der Engel Scharen den Tänzer
Unserer lieben Frau zum allerhöchsten Sternenzelt.
Der Judenknabe
Die Juden, die überall in der Welt verstreut sind, hatten
sich wie in jeder anderen guten Stadt, so auch in
Bourges niedergelassen und lebten dort nach ihrem
Gesetz. Nun geschah es, daß die schöne Osterzeit
nahte, und alle Welt feierte mit Glockentönen und Gesängen
die Auferstehung des Herrn. Männer, Frauen
und Kinder eilten in freudiger Hast zum Münster und
siehe, ein kleiner Judenknabe folgte den Gespielen in
das Gotteshaus, wie er ihnen sonst zum Spiele nachlief.
Er trat in den hohen Dom, da glänzten die Bilder,
gleißend von Gold, da funkelten die Gefäße, da glühten
die Kerzen, und Freude ergriff das Büblein, das
zuvor nie solches sah. Er tat den anderen Kindern
alles nach: bald schlug er sich an die Brust, bald bekreuzte
er sich und dann warf er sich nieder in den
Staub. Zwischendurch betrachtete er die Bilder und
besonders gefiel ihm eines: das war eine hoheitsvolle
Frau, die einen lächelnden Knaben an ihrer Brust
hielt. Als der Gottesdienst zu Ende war, ging alt und
jung zum heiligen Abendmahl, und jeder schlug sich
demütig vor dem Sakrament für seine Missetaten an
die Brust und flehte aus Herzensgrund um Erbarmen.
Das Kind trat mit den andern Christen vor und empfing
den Leib des Herrn, ohne zu wissen, was es tat.
Dabei kam es ihm vor, als ob das Bild der glorreichen
Jungfrau und Mutter aus seinem Rahmen heraustrete
und hinter dem Priester hergehend die Speise austeilen
helfe.
Indessen machten sich Vater und Mutter auf die
Suche nach dem Knaben, überall auf den Straßen
fragten sie nach ihm und jammerten, denn sie glaubten,
er sei ihnen genommen worden. Während noch
der Schmerz ihr Herz zerriß, traten die Christen, das
Herz voll Festesfreude, aus dem Gotteshaus. Das Judenbüblein
eilte heim und lief seinen Eltern entgegen.
Da fragte der Vater mit bösem Blick, wo es gewesen
sei, und das Knäblein antwortete furchtsam, es sei mit
den andern Kindern im Dom des Herrn gewesen und
habe vor dem goldenen Altar mit den andern gespeist.
Als der Vater hörte, daß das Kind die Kommunion
empfangen habe, da knirschte er vor Wut mit den
Zähnen. Ganz in der Nähe stand ein Glasofen mit loderndem
Feuer. Der Vater packte den Knaben unter
den Armen und warf ihn in die Flammen, dann versperrte
er den Ofen von außen, damit der Körper zu
Asche werde. Die Mutter des Knäbleins aber raufte
vor Schmerz ihre Haare und schrie, so daß das Volk
zusammenströmte und nach der Ursache ihres wilden
Gebarens fragte. Da erzählte sie den Leuten die Missetat
ihres Mannes. Die Leute öffneten den Ofen mit
Gewalt und blickten in die flackernde Glut und siehe:
der Knabe war heil und unversehrt. Zwar züngelten
die Flammen an ihm herauf, von allen Seiten umleckte
ihn das Feuer, aber er spielte mit den Funken, als
seien es Blümlein auf grüner Au. Da faßte die Menge
freudiges Staunen, und sie fragten das Knäblein, wie
ihm bei der Marter zumute gewesen sei? »Marter?«
erwiderte er, »ich fühlte keine! Als sich der Ofen
schloß, da erschien die hehre Frau, die ich dort im
Münster bei den Christen geschaut, wie sie dem Priester
half, die Speise auszuteilen. Sie stand neben mir
und hielt einen lächelnden Knaben an ihrer Brust,
mitten im Feuer stand sie, und mit ihrem weiten Mantel
wehrte sie die Flammen von mir ab. Ich habe
weder Schmerz noch Pein gefühlt. Wie durch einen
blühenden Garten schritt sie durch die Glut, wahrhaftig,
das muß eine gute und heilige Frau sein!« Als die
Leute dieses hörten, da lobten sie Gott und seine glorreiche
Mutter. Der alte Jude wurde in den Ofen geworfen
und zu Asche verbrannt, wie er es verdient
hatte, die Mutter aber ließ sich nebst ihrem Söhnlein
taufen, und das gleiche taten viele Juden um der seligsten
Jungfrau Maria willen, die den Judenknaben vor
dem Feuertod gerettet hatte.
Die Nonne und der Ritter
Einst lebte in einer Abtei, deren Sakristanin sie war,
eine Nonne von heiligmäßigem Wandel; ihr ganzer
Sinn war auf gute Werke gerichtet, sie betete fleißig
und ehrte Gott und seine Heiligen, vor allem aber verehrte
sie Tag und Nacht die Mutter Gottes. Jedesmal,
wenn die gewohnte Stunde gekommen war, kniete sie
allein vor dem Bilde Unserer lieben Frau nieder und
bat sie um Vergebung für ihre Sünden. Der Dienst
Mariens war ihre einzige Speise, und um die Dinge
dieser Welt sorgte sie sich nicht. Ihre guten Werke
würdigten sie so, daß sie eine Freundin Gottes und
der heiligen Jungfrau, der sie diente, wurde. So groß
war ihre Begnadung, daß die Kranken zu ihr kamen
und Genesung fanden, wenn ihre Hand sie berührte.
Lange Zeit verharrte sie so im Wohltun, bis der Teufel,
der das Gute wo er kann vernichtet, sie versuchte
und schließlich zu Fall brachte. Ein Ritter entführte
sie aus dem Kloster und verlockte sie durch Versprechungen,
daß sie sich ihm ganz zu eigen gab. Sie vergaß
ihren Eid und warf ihr Ordensgewand vor dem
Bild der Himmelskönigin beiseite, sie floh das Licht
und tauchte in die Finsternis. Wie ein Wanderer, dem
die Kerze verlöscht, auf nächtlichen Pfaden in den
Abgrund stürzt, so wandelte sie die finsteren Wege
der Welt, die ins endlose Feuer führen.
Zwei Jahre verharrte sie in sündiger Fleischeslust,
aber dann erinnerte sie sich plötzlich ihrer Meisterin
und Freundin, der heiligen Jungfrau, welche sie feige
verlassen hatte. Sie ward freudenlos und krank, als sie
ihrer Untreue gedachte. Es kam ein Tag, da ihr Geliebter
sie mit harten Worten tadelte, sie eine entlaufene
Nonne schalt und ihr aus Eifersucht ihren Fehl und
ihren Wandel vorhielt. Schmerzbewegt erwiderte sie
ihm: »Ihr redet wahr! Ich bin noch schlechter, als jemand
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