die Mägde befestigten Körbe mit Speisen und
Wein an den Seiten des Flugzeugs und dann setzte er
sich selbst vor die Prinzessin auf das Zauberpferd; er
drehte den Zapfen, der den Flug nach aufwärts regelte,
und schwebte mit seinem Lieb dem jungen Tag entgegen.
Zunächst steuerte er ganz langsam und hielt sich
nahe am großen Turm, von wo man den Park, den die
ersten Strahlen der Sonne beschienen, überblicken
konnte. König Carmans lustwandelte dort mit seinen
Begleitern. Da hub Cleomades von seiner luftigen
Höhe aus zu reden an: »Herr, sucht Eure schöne
Tochter nicht, denn Euer Suchen ist umsonst. Ich
habe mich Eurer Tochter ergeben und sie hat mir ihre
Huld gewährt. Nun fliegen wir nach Spanien in mein
Heimatland, unser Hochzeitsfest zu halten. Und damit
Ihr wißt, wer Eure Tochter entführt: ich bin von edler
Art und weit in ferne Lande drang meines Namens
Ruhm, Cleomades heiße ich, mein Vater trägt die
Krone Spaniens.« Die Königin blickte in die Höhe
und rief: »Ach, mein Kind, wohin gehst du?« Dann
fiel sie bewußtlos vor Gram zu Boden. Während die
Herren und Damen des Hofes sich um die ohnmächtige
Königin bemühten, flog das Liebespaar in blitzschneller
Fahrt westwärts, der König Carmans aber
faßte sich an die Stirn und glaubte, ein schwerer
Traum habe ihn gequält.
Cleomades reiste mit der Prinzessin so lange durch
die Luft, bis an einem Dienstag Morgen die Sonne
vor ihren Augen die Türme Sevillas vergoldete. Da
sprach der Königssohn: »Nun freut Euch, süßes Lieb,
wir sind am Ziel!« »Herr,« sprach die Jungfrau, »ich
bitte Euch, Ihr wollet mich hier an einem geschützten
Orte absteigen lassen. Ich bedarf zunächst der Ruhe,
ehe ich vor Eure Eltern trete, denn ich zittere vor
Angst und Kälte.« Der Jüngling trug sie in einen Garten
von Pinien und Lorbeerbäumen, der sich außerhalb
der Mauern ausdehnte, und setzte sie unter einem
Olivenbaume ab. Die Jungfrau streckte sich ermattet
auf den grünen Rasen, und nachdem sie ein wenig geruht
hatte, begehrte sie zu essen. »Wenn es Euch nicht
mißfällt, Liebste,« sprach Cleomades, »so möchte ich
jetzt meine Eltern und meine Schwester aufsuchen
und sie bitten, Euch hier abzuholen.« »Holt sie, Herr,
und laßt mich indes hier ruhen. Die Glieder schmerzen
mich und ich kann mich so nicht vor dem Volke
zeigen.« »So erholt Euch, bis ich wiederkomme und
lauscht dem Sang der Vögel, die in den Zweigen zwitschern!
« Cleomades eilte in sein väterliches Schloß
und ließ die Jungfrau mit dem Pferd im Garten, die
sich mit Singen die Zeit vertrieb. Crompart, der Falsche,
hatte sich an diesem Morgen früh erhoben und
erging sich in dem nämlichen Garten, um Heilkräuter
zu sammeln. Er hörte das Lied der Jungfrau und
wandte sich der Gegend zu, aus der die Töne kamen.
Clarmondine erschrak, als sie das Scheusal erblickte;
sie verstummte augenblicklich und rief mit lauter
Stimme nach ihrem Geliebten. Crompart freute sich in
seinem treulosen Herzen, denn er glaubte, eine Gelegenheit
zur Rache gefunden zu haben. Überdies gefiel
ihm die Jungfrau, und er dachte, wenn er Marina nicht
bekommen könne, so wolle er wenigstens diese zu
seiner Liebsten machen. Als er sie nach Cleomades
rufen hörte, erriet er den Zusammenhang. »Erschreckt
nicht,« sagte er, »ich will Euch kein Leid tun!« »Herr,
mir graut vor Euch! Bitte, geht, denn gleich wird
Cleomades zurückkehren, dem ich angehöre.« »Eben
dieser ist es, der mich sendet,« entgegnete der Zwerg
listig, »er befiehlt Euch, daß Ihr zu ihm kommt; ich
werde Euch auf dem Roß zu ihm tragen, denn er lehrte
mich, es zu behandeln, und daran mögt ihr erkennen,
daß ich sein Vertrauter bin.« Die Jungfrau glaubte
den Worten des Schurken und erhob sich. Der
Bucklige setzte sie auf das Zauberpferd und band sie
fest, dann hing er Fleisch und Wein an die Seite des
Tieres und stieg selber auf. Hurtig drehte er den Zapfen,
und in rasender Fahrt erhob sich das Flugzeug in
die Wolken.
Hier müssen wir unser Liebespaar seinem Schicksal
überlassen und geben es dem Leser anheim, sich
selber auszumalen, welche Gefahren und Abenteuer
die Liebenden noch zu bestehen hatten, bis sie endlich
wieder miteinander vereinigt wurden.
13. Altfranzösische Marienlegenden
Der Tänzer Unserer lieben Frau
Es war einmal ein Gaukler, der tanzend und springend
von Ort zu Ort zog, bis er der ewigen Wanderfahrt
und aller Weltlust müde ward. Da gab er all seine
Habe hin und trat in das Kloster zu Clairvaux ein.
Der neue Laienbruder war zwar schön und stattlich
von Gestalt, doch die Bräuche und Sitten des Klosters
kannte er nicht. Er hatte ja seine ganze Zeit mit Springen,
Tanzen und Räderschlagen verbracht und nie
hatte ein Mensch den Gedanken gehabt, ihm das Vaterunser,
das Ave oder gar das Kredo zu lehren. Voll
Demut staunte er alles im Kloster an, er sah, wie die
Brüder nie ihr frommes Schweigen brachen, und so
ging auch er wie ein Stummer umher, bis er von den
Brüdern verlacht und mit Zwang zum Reden gebracht
wurde. Er sah, wie jeder auf seine Weise dem Herrn
diente, wie die Priester am Altar ihr heiliges Amt
vollzogen, wie die Diakonen die Evangelien lasen,
wie die Klosterschüler im Chor den Psalter sangen,
und wie selbst der kleinste von ihnen ohne Zaudern
das Vaterunser aufsagen konnte. Da stand er beschämt:
ach er allein, er konnte nichts! Oft stand er
lauschend vor den Zellen und hörte Klagen und We-
herufe von drinnen hervortönen, und wie er den
Grund des Weinens reiflich überlegte, fand er, daß die
da drinnen Gott für ihre Schuld um Gnade anflehten.
»Ach,« sprach er, »was tue ich hier? Ich kann nichts
als müßig stehen und gaffen! Ich bin das Brot nicht
wert, das man mir gibt. Ach, wenn man es merkt, so
werden sie mich mit Schande verjagen, weil ich zu
gar nichts nütze bin!« In seinem Gram flüchtete er aus
des Tages Licht in eine unterirdische Kapelle, wo
zwischen Kerzen das Bild der Gottesmutter stand.
Dort verkroch er sich sorgenvoll in einen Winkel.
Plötzlich klang tief und voll die Münsterglocke, welche
die Brüder zur Messe lud. Er hob das Haupt und
sprang auf: »Soll ich hier liegen, während alle andern
wetteifern, Unsere Frau zu loben? Was säum' ich
noch? Bin ich nicht auch in mancherlei Künsten erfahren?
Nach Kräften dient ihr ein jeder, so will auch
ich tun, was ich kann!« Rasch warf er die lange Kutte
beiseite und gürtete sich sein dünnes Jäckchen um die
Lenden. Dann trat er demutsvoll vor das Bild der
Gottesmutter und sprach: »Dir, Königin ob allen Königinnen
befehle ich Seele und Leib! Zu dir komme
ich voll Vertrauen, oh nimm mit meinem Eifer vorlieb!
Die schönsten Spiele, die ich kann, wähle ich dir
zur Lust, so wie ein Böcklein auf der Heide vor seiner
Mutter hüpft und springt. Du verschmähst nie, was
dir ein Herz aus Liebe bietet, sieh, was ich habe,
bring ich dir!« Und während droben die Hymnen erschollen,
beginnt er mit vollen Kräften zu tanzen,
bald vor- und bald rückwärts, auf und nieder, er geht
auf den Händen durch die Kapelle und überschlägt
sich in der Luft, alle Arten von Tänzen springt er mit
kunstgerechtem Schwung, und nach jedem Tanz verneigt
er sich vor dem Bilde: »Das tu' ich nur für dich,
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