«Ich sehe dir an, dass dich etwas beschäftigt», sagt er.
«Es ist wegen uns. Es gibt da ein Problem», sagt sie ruhig.
«Was für ein Problem?», fragt er leise. Er ist beunruhigt, sein Herzschlag beschleunigt sich. Er weiß nicht, wie er sich verhalten soll, streicht Marmelade auf sein Brötchen.
Sie antwortet nicht sofort, schenkt sich eine Tasse Tee ein, trinkt einen Schluck.
«Gestern, Richard, das war ein so schöner Abend und eine noch schönere Nacht. Ich will mehr davon», sagt sie.
«Ach! Das kannst du haben. Mit Vergnügen. Nichts lieber als das», sagt Richard erleichtert.
«Wir werden also öfter zusammen sein?», fragt sie mit forschendem Blick.
«Natürlich. Was für eine Frage! Ich finde ja auch, dass wir uns zu wenig sehen. Höchste Zeit, das zu ändern», antwortet er.
«Wirklich?»
«Ja. Ich kann gar nicht genug von dir bekommen.»
«Wie meinst du das? Rein sexuell?», fragt sie und lacht leise.
«Rein sexuell», antwortet er, sich auf ihr Spielchen einlassend.
«Dachte es mir.»
«Und individuell», sagt er, ihre Hand streichelnd. Ihr Blick ist sanfter geworden.
«Gut, dass dir das noch eingefallen ist. Da hast du aber Glück gehabt. Du hast die Probe bestanden. Möchtest du noch Kaffee?»
«Ja, gern. Eine Tasse trinke ich noch.»
«Schön, dass du bis morgen bei mir bleibst», sagt sie den Kaffee einschenkend. «Dann fühle ich mich nicht so wie deine heimliche Geliebte.»
Überrascht sieht er sie an. Was geht heute Morgen bloß in ihr vor? So kennt er sie noch nicht. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Er weiß nicht, wie er sich verhalten soll.
«Du sollst dich nicht so fühlen», sagt er.
«Wie denn?», fragt sie. Er sucht nach einer Antwort, sein Denken scheint blockiert zu sein.
«Provoziere ich dich heute Morgen?», fragt sie.
«Ziemlich», antwortet er.
«Das ist auch beabsichtigt.»
«Warum eigentlich?»
«Ich brauche Klarheit. Nennen wir es einmal so.»
«Die kannst du haben. Sollte kein Problem sein.»
«Na schön. Bin ich etwa nicht deine Geliebte?», fragt sie.
«Nein. Das bist du auf keinen Fall», antwortet er.
«Was denn?»
«Die Frau, mit der ich zusammen bin. Meine Frau, meine Noch-Frau hat –», er unterbricht sich, sucht nach Worten, die ihr gefallen könnten.
«Ich höre.»
«Birgit, du bist für mich die Frau Nummer eins.»
«Nett. Und deine Frau die Nummer zwei.» Sie überlegt kurz. «Mit der du dann hin und wieder eine Nummer schiebst.»
«So kann man’s auch ausdrücken», meint Richard, der sich in die Enge getrieben fühlt. «Schon. Aber im Grunde ist ja meine Frau meine Geliebte«, sagt er und ärgert sich sofort, dass ihm das herausgerutscht ist. Birgit lacht sarkastisch.
«Charmant. Was für ein feiner Unterschied! Eine Frage der Perspektive. Du hältst dir also deine eigene Ehefrau als Geliebte.»
«Birgit, ich kann dich ja verstehen.»
«So?»
«Es ist nicht richtig, und ich werde es ändern.»
«Schön. Aber bitte zügig.»
«Kein Problem.»
«Wenn ich für dich die einzige Frau bin, mit der du schläfst, dann fühle ich mich auch rein medizinisch gesehen wohler. Man kann ja nie wissen. Eine gute Infektionsprophylaxe. Safety first. Das verstehst du doch, oder?»
«Natürlich.»
«Ich eigne mich nicht zur Geliebten, beziehungsweise Nummer eins. Dazu habe ich kein Talent. Ich will keine fremden Weiber neben mir haben. Da gibt es noch etwas, Richard», sagt sie mit mildem Lächeln.
«Oh je! Wenn das so weitergeht, fühle ich mich noch wie im Kreuzverhör», scherzt er.
«So schlimm ist es schon?», fragt sie, steht vom Stuhl auf, legt einen Arm um ihn, küsst ihn mehrmals auf den Mund.
«Ja. Zur Geliebten hast zu kein Talent, dafür aber zur Staatsanwältin.»
«Ach, Richard. Liebster, ich verhöre dich doch nicht», sagt sie und setzt sich wieder. «Wie käme ich denn dazu? Ich sage dir nur, was ich auf dem Herzen habe. Also, am Dienstagabend bin ich wieder bei dir vorbeigefahren. Ganz langsam. Es war mir ein Bedürfnis.»
«Warum hast du mir nichts gesagt. Du hättest anrufen können oder einfach –»
«Klingeln sollen?», unterbricht sie ihn.
«Ja. Anrufen oder einfach klingeln. Ich war ja zu Hause. Ich hätte damit kein Problem gehabt. Aber du. Du möchtest ja nicht zu mir kommen, so lange mein Noch-Eheweib dort herumspukt.»
«Stimmt. Schade, dass deine Thusnelda noch nicht ausgezogen ist. Dann wäre alles noch schöner.»
«Finde ich auch.»
«Wir sind auf der Überholspur. Aber deine Frau bremst uns, weil sie mit dir noch unter einem Dach wohnt. In deiner wunderschönen Villa.»
«Das werde ich so schnell wie möglich ändern. Ich gehe nächste Woche zum Anwalt, werde alles beschleunigen, die Trennung schon mal einläuten. Es wird Zeit. Iris will sich ja auch scheiden lassen.»
«Dann dürfte es keine großen Probleme geben.»
«Eigentlich nicht.»
«Als ich gestern vom Auto aus den Park und die Villa betrachtete, kam ich mir wie eine Voyeurin vor. Und wie deine Geliebte, die aus deinem Privatleben ausgegrenzt ist. Es war schon ein eigenartiges Gefühl. Irgendwie befremdend.»
«Nur, weil ich nicht bei dir war. Dann wäre alles anders gewesen.»
«Bestimmt.» Sie streckt sich mit einem behaglichen Aufseufzen, lässt einige Sekunden verstreichen. «Schon was ich dort in der kurzen Zeit gesehen habe, war für mich faszinierend. Eine einzige Augenweide.»
«Demnächst wirst du dir alles ganz genau ansehen können. Außen und innen», sagt Richard, ihre Hand streichelnd.
«Ich kann’s kaum erwarten. Zusammen mit dir in deinem Prachtbau und deinem Park.»
«Wird Zeit. Ich freue mich auch schon darauf.»
«Ich lerne dich so besser kennen. Ich weiß dann, wie du dort lebst. Und was du aufgeben musst.» Sie trinkt einen Schluck Orangensaft, nickt nachdenklich. «Dass du auf diese Braunkohle-Connection wütend bist, kann ich gut verstehen.»
«Das werde ich auch bleiben. Es ist ein Angriff auf mein Privatleben, auf mein Eigentum, gegen den ich mich nicht mehr wehren kann. Ich fühle mich so machtlos. Als würde ich in einer Diktatur leben.»
«Riecht auch nach Diktatur. Du gehörst zu den vielen, die gehorchen müssen. Alles wird scheinbar legal entschieden. Was dir gehört, musst du gezwungenermaßen abgeben.»
«An Raubritter des Kapitalismus», sagt Richard grimmig.
«Das könnte von einem Kommunisten sein», sagt Birgit lächelnd.
«Wer weiß, vielleicht werde ich noch einer wegen dieser Braunkohlen-Clique, die schon lange gegen Menschenrechte verstößt.»
«Du und Kommunist? Das wirst du bestimmt nicht. Dafür bist du zu individuell gestrickt.» Sie sieht nachdenklich aus dem Wohnzimmerfenster in ihren klein, gepflegten Garten. «Es ist dein Eigentum und man vergreift sich daran.»
«Skrupellos», sagt Richard. «Etwas Vergleichbares werde ich nicht finden. Und selbst wenn, dann könnte ich es nicht mehr finanzieren. Damals passte wirklich alles. Der Super-Preis und die Großzügigkeit meines Vaters waren entscheidend.»
«Und du als Architekt hast ja einiges dazu beigetragen, dass aus dem alten Gemäuer ein Prachtbau geworden ist.»
«Dazu hätte ich heute keine Zeit mehr. Und auch keine Lust.»
«Ich weiß nicht, wie ich mich an deiner Stelle verhalten würde. Ich würde wohl auf die Barrikaden gehen. Oder sogar ausrasten.»
«Ausrasten? Du?», fragt Richard verwundert.
«Könnte doch sein», antwortet sie, die Augenbrauen zusammenziehend. «Nicht nur dann, wenn ich so eine Villa wie du hätte, sondern auch schon wegen meines bescheidenen Häuschens hier», sagt sie und unterstreicht das mit einer weit ausholenden Geste. «Es gehört mir, nur mir. Ich bin stolz darauf. Ich habe mir das alles selbst erarbeitet und musste recht sparsam leben, um es finanzieren zu können. Daraus lasse ich mich von niemandem vertreiben. Wenn es mir jemand wegnehmen wollte, würde ich zur Furie», sagt sie und hebt ihre geballte Faust, die zierlich aussieht.
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