«Und? Schmeckt er dir?», fragt Birgit, nachdem sie vom Espresso gekostet hat.
«Bei dir besonders gut», antwortet Richard, der neben ihr auf dem Sofa sitzt. «Nirgendwo sonst trinke ich lieber einen Espresso.
«Du Schmeichler. Aber das gehört ja dazu. Hätte er nicht ein bisschen stärker sein können?», fragt sie mit skeptischer Miene.
«Ich finde ihn stark genug», antwortet er und nimmt bestätigend einen Schluck.
Sie sieht auf ihre Uhr.
«Fast zwölf. Aber ich bin noch ganz wach.»
«Ich auch.»
«Das ist gut so.» Sie umarmt ihn, zieht ihn an sich, küsst ihn herzhaft auf den Mund, steht dann schnell vom Sofa auf. «Lass uns noch ein bisschen Musik hören.»
Sie geht zu der CD-Sammlung im vor allem mit Büchern bestückten Regal, dreht sich strahlend zu ihm.
«Klassik oder Jazz?», fragt sie.
«Lieber Klassik», antwortet er und verfolgt, wie sie eine CD gezielt auswählt und auflegt. Ihm gefällt, wie sie dabei ihren schlanken, eher sportlich geformten Körper bewegt, der keine ins Auge springenden Reize anbietet. Es wirkt natürlich, nicht geziert, wie er es von Iris kennt. Auch wenn ihr Körper jetzt unter dem langen, weit geschnittenen Sommerkleid nur zu erahnen ist, übt sie auf ihn eine starke erotische Anziehungskraft aus. Gleich werden sie in ihrem Bett liegen. Er kann es kaum erwarten. Bis dahin ist alles andere nur eine Art Vorspiel. Er genießt die sinnlich aufgeladene Atmosphäre, merkt, wie er nur noch von Birgit bestimmt wird.
Leise Kammermusik erklingt, den Komponisten kennt er nicht. Mit beschwingten Schritten und verträumt wirkendem Gesicht kommt sie zum Sofa zurück. Sie verharrt kurz, schaltet die Deckenlampe aus. Sie setzt sich neben ihn, streichelt sein Gesicht, schmiegt sich an ihn. Die birnenförmige Tischlampe aus Glas taucht den Raum in ein mildes Licht.
Richard fährt mit der Hand durch ihr Haar. Sie legt den Kopf auf seinen Schoß, schließt die Augen, überkreuzt die Beine auf der Sofalehne. Die jetzt in schnellem Tempo gespielte Kammermusik klingt für ihn aufgeregt und erwartungsvoll zugleich. Birgit hat die Lautstärke so weit herunter geregelt, dass manche Rhythmen verhuschen. Sie rekelt sich, seufzt voller Behagen.
«Was geht es mir gut», sagt sie.
«Und mir erst mal», sagt er.
«Das haben wir prima hinbekommen.»
«Was denn, Birgit?», fragt er, obwohl er sich denken kann, was sie meint. Er möchte es aber gern von ihr hören.
«Na unsere», sie überlegt kurz, versonnen lächelnd, «dass wir ein Paar geworden sind.»
«Ja. Fabelhaft.»
«Ziemlich schnell hat sich alles entwickelt. Für meine Verhältnisse jedenfalls.»
«Erst etwas gebremst, dann mit starker Beschleunigung.»
«Immer näher. Dann sind wir bei uns angekommen.»
«Ein schöner Ort.»
«Mein Lieblingsort.»
«Zuerst saß ich in deinem Wartezimmer, dann kam ich in dein Sprechzimmer und jetzt bin ich in deinem Wohnzimmer.»
«Und gleich liegst du zusammen mit mir in meinem Bett.»
«Das ist einfach nicht mehr zu steigern.»
Sie fährt mit ihrer Hand über seinen Hals, seine Schultern, knöpft sein Hemd weiter auf, streichelt seinen Oberkörper.
«Ich mag deinen Körper. Sehr. Er ist noch so fest, so schlank. Mit plumpen oder gar dicken Körpern habe ich ein Problem. Ich könnte nicht mit einem übergewichtigen Mann zusammen sein. Ihn nackt vor mir zu sehen, würde mich befremden. Ich könnte ihn nicht umarmen.»
«Aber als Hautärztin behandelst du sicherlich nicht nur Menschen mit schlanken Körpern. Wie gehst du damit um, wenn du eine Menge Fett vor dir hast?»
«Das sehe ich dann nicht privat, sondern rein beruflich. Ich abstrahiere dann.»
«Und heute? Musstest du abstrahieren?», fragt er.
«Ging so», antwortet sie. «Nicht der Rede wert. Heute habe ich auch einen Kollegen behandelt. Einen Internisten. Hatte eine allergische Reaktion.»
«Auch Ärzte werden krank.»
«Und machen auch krank. Leider. Hüte dich vor den Ärzten.»
«Mache ich. Und vor Ärztinnen.»
«Es gibt Ausnahmen. Bei mir bist du in guten Händen.»
«Zweifellos. Als Patient und auch privat.»
Körper auf Körper genießt Richard in Birgits Schlafzimmer ihr erotisches Spiel, das noch immer den Reiz des Neuen hat, aber auch schon vertrauten Abläufen der Lust folgt. Eine Sinnlichkeit, die sich leidenschaftlich und im Gleichklang äußert. Theatralisches Beiwerk haben sie nicht nötig. Sie reden wenig, flüstern.
Birgits Freude am Sex überraschte Richard, als er zum ersten Mal mit ihr schlief. Vorher, es dauerte fast drei Wochen, schien sie auszuweichen, aufflammende Lust zwischen ihnen schnell zu drosseln oder gar zu neutralisieren. Er stufte es als Zurückhaltung und Vorsicht einer Medizinerin ein, die zum Körper ein anderes Verhältnis hat als er. Analytischer, mit anatomischem Blick, mehr auf die Funktion bezogen, nüchterner und damit weniger sinnlich, ziemlich antiseptisch, so vermutete er, würde sie sich beim Sex verhalten. Weil sie weitaus besser als über den Körper Bescheid wusste, kam er sich im Vergleich dazu naiv vor. Seine Spekulationen verunsicherten ihn zunächst, lösten sich auf, als er ihre anfängliche Reserviertheit verstand.
Ihr Körper steht für sie, so nennt sie es, unter Naturschutz. Ein einmaliges, kostbares Gut, das sie lebenslang bestmöglich pflegen und erhalten will. Mit einer strengen Zugangskontrolle wacht sie darüber. Das gilt für Ärzte ebenso wie für Männer, die sie kennenlernt. Liebeleien geht sie aus dem Weg. Ihr Körper ist für sie ein Privatgelände, in dem sich diejenigen aufhalten dürfen, die ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen und denen sie vertrauen kann. Frauen, die eine Art offenes Haus sind, in dem Männer ungeprüft verkehren, versteht sie nicht. Sie testet gründlich, wählt rigoros aus. Sie will nicht, dass ihr Körper für einen Mann ein Gebrauchsgegenstand ist. Dann würde sie sich entwertet fühlen. Sex ist für sie ein Geschenk, das sich ein Paar mit seinen Körpern macht. Er sollte ein Fest sein und dafür verlangt sie Exklusivität. Männer aus der 08/15-Liga stoßen sie ab. Von diesen Typen erwartet sie nur primitives Gestochere, Kerle, die beim Vögeln den Stier spielen und barbarisch brüllen, aber nichts anderes als lächerliche Dackel sind. Das Tierische beim Sex muss für sie menschlich verfeinert werden. Erst wenn sie von der Qualität des Mannes überzeugt ist und schon ein gewisses Vertrauen gewonnen hat, gibt sie sich hin. Wenn sie über Sex redet, neigt sie dazu, ihn mit etwas Pathos zu würzen. Richard, der sich bislang nach einem im Vergleich zu Birgit lässigeren sexuellen Auswahlverfahren gerichtet hat, schmunzelt nicht mehr darüber, sondern ist nun von ihrer Einstellung beeindruckt. Für ihn hat der Sex mit Birgit dadurch einen besonderen Reiz bekommen, in dem jetzt immer etwas Festliches mitschwingt.
Und auch heute Nacht erlebt er mit ihr zusammen wieder einen erotischen Festakt. Eine Intensität, die ihn überwältigt und alles andere vergessen lässt. Ihre Hingabe hat etwas Pures, Selbstverständliches. Sie sieht sich dabei nicht zu, wie er es schon bei anderen Frauen, besonders bei Iris, erlebt hat, sondern überlässt sich ganz ihrer Begierde, bewegt sich, als würde sie einem inneren harmonischen Rhythmus folgen. Sie redet kaum, flüstert nur einige Male seinen Namen oder kurze Sätze. Mal dirigiert sie, dann wieder er. Erotische Variationen spielen sie neugierig durch. Für Richard ist es ein scheinbar zeit- und grenzenloses Treiben in gemeinsamer Lust.
Am nächsten Morgen sieht ihn Birgit beim Frühstück prüfend an. Sie hat beide Arme auf den Tisch gestützt, den Kopf etwas zur Seite geneigt und die Stirn hochgezogen. Aus ihrem seidenen Bademantel wölben sich ihre mittelgroßen Brüste hervor. Ein schöner Anblick für Richard, an dem er sich jetzt aber nicht erfreuen kann, denn ihr Blick und ihr Schweigen verunsichern ihn. Er versucht, in ihrem Gesicht zu lesen, aber es bleibt ihm verschlossen. Es kommt ihm so vor, als würde sie bei ihm etwas diagnostizieren. Aber was? Er weicht ihrem Blick aus, nimmt ein Brötchen aus dem Brotkorb, schneidet es auf.
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