ibidemVerlag, Stuttgart
Einen Menschen aber, der die Wissenschaft einem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremden, äußerlichen Interessen entlehnten Standpunkt zu akkommodieren sucht, nenne ich „gemein“. (Karl Marx 1861-1863: 771)
Es handelt sich um ein Thema, das mit Ängsten und manchmal auch mit Abwehrhaltungen verbunden ist, die mehr oder weniger irrational unseren öffentlichen Diskurs verwirren. … Und darum ist es wichtig, dass wir eine rationale, auf Fakten gestützte Debatte zur Norm machen. (Joachim Gauck 2013 in Bezug auf die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien)
Inhaltsverzeichnis
Einleitende Bemerkungen
Wer schreibt?
Warum eine Streitschrift? Warum ein Essay?
An und gegen wen richtet sich der Text?
Was sind die zentralen Anliegen des Textes?
I. Does culture matter? Dogmen, Paradoxien und Fehlschlüsse der Kulturalismuskritik
Interkulturelle Belange ohne Kultur?
Du sollst meinen Namen nicht nennen (und Dir schon gar kein Bildnis von mir machen)
Terminologischer Exkurs: zur Definition zentraler Begriffe
Ethnisierung online und offline oder von der Scheinheiligkeit von Integrationsdiskursen
Ein etwas schlichtes Weltbild oder: die Alleinverantwortlichkeit des Sozialen
Den Wald vor lauter Bäumen nicht oder von Äpfeln und Birnen
Wie man’s macht, macht man’s falsch: integrationsrelevante Gruppendefinitionen zwischen Pauschalisierung und ethnisch-nationaler Spezifizierung
Kind mit dem Bade: weitere Dekonstruktionsversuche
Dogmen, Fehlschlüsse und Paradoxien ‚erster Ordnung‘
II. Schuld ist immer die Mehrheitsgesellschaft: Was sein soll, muss auch sein
Zwei Einseitigkeiten machen noch keine Zweiseitigkeit
In der Nacht der Ethnisierungsthese sind alle Zuwanderer grau, oder: hausgemachte Probleme der Mehrheitsgesellschaft?
Der Umgang mit den Tatsachen: von der Ausblendung und Selektion zur Verfälschung von Forschungsergebnissen
Höhere Kriminalitätsraten einzelner Zuwanderergruppen – auch eine Konstruktion der Mehrheitsbevölkerung und ihrer Institutionen?
Armutszuwanderung – Mythos und/oder Wirklichkeit? Oder von der interessengeleiteten Auswahl und Verfälschung der Tatsachen
Überall nur Diskriminierung und Vorurteile? Oder: der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Zuwanderung
(Fast) alle Antiziganisten? Zum politischen Missbrauch wissenschaftlicher Forschungsergebnisse
Täter und Opfer im Integrationsdiskurs, oder: die Vernebelung des Denkens durch generalisierte Schuldgefühle
Alles Rassismus? Zum inflationären Gebrauch eines Terminus
Vorurteile gegenüber Vorurteilen, oder: ihre Unvermeidbarkeit und ihr möglicher wahrer Kern
Worum ging es und was folgt daraus?
Nachwort: Cancel culture oder der Umgang eines renommierten deutschen Wissenschaftsverlags mit unliebsamen Thesen
Literaturverzeichnis
Einleitende Bemerkungen
Wer schreibt?
30 Jahre Leben in bi-kulturellen familiären Zusammenhängen und 15 Jahre Leben und Arbeiten in einem anderen europäischen Land haben die Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Herkunftsgruppen zum ‚Lebensthema‘ des Autors dieses Textes werden lassen. Mehr als 25 Jahre wissenschaftliche Beschäftigung mit solchen Beziehungen haben dieses Thema darüber hinaus auch zu seinem beruflich dominierenden Betätigungsfeld gemacht: In unterschiedlichen nationalen/regionalen Kontexten und in Bezug auf unterschiedliche Herkunftsgruppen hat er sich sowohl grundlagentheoretisch als auch empirisch intensiv mit diesem Thema befasst. Auf Basis solcher lebensgeschichtlichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Studien hat er unvermeidlich Grundüberzeugungen darüber entwickelt, welche Rolle solche Beziehungen im Zusammenleben von Menschen spielen und welche Faktoren Einfluss auf sie nehmen.
Warum eine Streitschrift? Warum ein Essay?
Diese Grundüberzeugungen sind mit der Zeit immer deutlicher in Gegensatz zu den in seinem beruflichen und privaten Umfeld vertretenen Überzeugungen geraten, was Anlass für vielfältige Diskussionen und einschlägige Publikationen gegeben hat. Die Resonanz auf diese Interventionen war durchweg enttäuschend: Entweder wurden sie überhaupt nicht wahrgenommen oder trafen bei den Adressaten auf keinerlei Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen zu überprüfen. Wenn man über Jahrzehnte hinweg dieselben aus der eigenen Sicht überzeugenden Argumente ins Feld führt und auf derartige Reaktionen stößt, baut sich unvermeidlich einiger Ärger auf, dem im Folgenden in entsprechendem Ton öffentlicher Ausdruck gegeben werden soll – selbstverständlich auf Basis der Annahme, dass die gelieferten Argumente jenseits eines solchen persönlichen Ärgers auch für andere mit diesem Thema Befassten zu einem besseren Verständnis der Probleme und Perspektiven von Integrationsprozessen beitragen.
Dass die daraus hervorgegangene ‚Streitschrift‘ die Form eines Essays angenommen hat, hängt mit den spezifischen Möglichkeiten zusammen, die dieses literarische Genre bietet. In gedrängter Form erlaubt es eine Entfaltung und Zuspitzung von Thesen, ohne in jedem Fall einen umfassenden und systematischen empirischen Beleg (in diesem Fall an der Literatur- und Diskussionslage) erbringen zu müssen 1. Tatsächlich hätte eine im strengen Sinne wissenschaftlich-akademische Beschäftigung mit der Vielfalt der angesprochenen Aspekte des Integrationsdiskurses den Rahmen einer einzelnen Publikation mit Sicherheit gesprengt. Wenn sie doch leistbar gewesen wäre, hätte sie darüber hinaus allenfalls das engere Fachpublikum erreicht; dies wäre dem Charakter einer Streitschrift, die auf ein möglichst breites Publikum zielt, nicht gerecht geworden. (Allerdings geht der Autor davon aus, dass die von ihm gelieferte Beschreibung des Diskussionsstandes in einem umfassenderen Kontext auch einer systematischen Überprüfung standhalten würde.)
Nicht zuletzt erlaubt es der Verzicht auf eine streng wissenschaftliche Vorgehensweise auch, persönliche Forschungserfahrungen mit dem Thema einzubringen, Erfahrungen, die grundlegend für die Anliegen des Essays waren und diese häufig besser veranschaulichen können als auf Allgemeingültigkeit zielende Argumentationen.
Tatsächlich bilden solche persönlichen Erfahrungen in der Forschung zu interkulturellen und Integrationsfragen den Ausgangspunkt und das Rückgrat des Textes. Dies hat unvermeidlich zur Folge, dass dieser Text immer wieder von konkreten Personen und Institutionen und nicht nur von theoretischen Positionen und Forschungsergebnissen handeln wird. Dort wo die dargestellten Positionen und Diskussionen öffentlich dokumentiert sind, werden die jeweiligen Autoren 2und ihre Texte benannt. In Bezug auf informelle Stellungnahmen und Debatten wird hingegen das mögliche Höchstmaß an Anonymisierung gewahrt: In diesem Fall werden die Namen der Beteiligten nicht genannt und nur die für den Nachvollzug der Sachlage notwendigen Informationen geliefert. Das schließt nicht aus, dass für ‚Insider‘ der Debatte aufgrund dieser Informationen auch in solchen Fällen erschließbar ist, um welche Personen bzw. Institutionen und um welche Forschungszusammenhänge es jeweils geht. Für diesen Fall kann nur unterstrichen werden, dass es dem Text nicht in erster Linie um die Zuschreibung persönlicher oder institutioneller Verantwortlichkeiten geht, sondern die beschriebenen Fehlleistungen strukturelle Defizite des Integrationsdiskurses betreffen. Eine der Thesen des Textes besteht ja gerade darin, dass diese Defizite den Integrationsdiskurs personen- und institutionenübergreifend charakterisieren.
An und gegen wen richtet sich der Text?
Neben Motivation und Genre des Textes ist seine Zielgruppe zu klären: Welches sind die Akteure des genannten ‚Mainstreamintegrationsdiskurses‘, über die berichtet und mit denen gestritten werden soll, die also sowohl Objekte als auch Adressaten der nachfolgenden kritischen Überlegungen sind?
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