Holger Hähle
Jahrgang 1963 - Eine Kindheit unter dem Einfluss der Kriegsgeneration und progressiven 68er
Ein Plädoyer zur Selbsterziehung
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Holger Hähle Jahrgang 1963 - Eine Kindheit unter dem Einfluss der Kriegsgeneration und progressiven 68er Ein Plädoyer zur Selbsterziehung Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort
Das kannst du nicht, das schaffst du nicht, lass das sein
Wilde Kinder sind hyperaktive Kinder
Gespräche verlaufen selten wie geplant
Kindergartenzeit
Herr Lühn und die alten Männer
Oma und Opa
Fußball ist toll, Schwimmen ist noch besser
Bandenbildung
Die Straße vor der Haustür als Spielparadies
Unsere Spielwiese reichte bis zum Horizont
Mit Baggern in eine neue Zeit
Abenteuer am Fluss
Mein Wald und ich
Klettern regt zum Denken an
Winterrodel
Kein Weihnachten ohne Streit und kein Streit ohne Weihnachtsbaum
Die Sonntagslüge
Mädchen sind Ziegen - meistens
Ein Zahnarzt auf Schulbesuch
Als ich in die fünfte Klasse kam
Lautstarke Beschimpfungen auf dem Flur
Klassenfeten
Religionsunterricht
Wieso fragen nie die anderen? Übertreibe ich?
Kreuzzug für meine Freiheit
In-A-Gadda-Da-Vida, ein Groove direkt aus der Hölle
Ein nächtliches Missgeschick
Aufsätze mal traditionell mal pädagogisch
Deutsche Grammatik und Rechtschreibung nach Hafersack
Cliquen
Klassenkeile und Eiertreten
Gedanken aus der Raucherecke
Hardcore Carsten mischt die Klasse auf
Erziehung zum kollektiven Schuldbewusstsein
Deutsche Schuld international
Eklat in der Freistunde
Sind Allianzen mit den Cliquen moralisch zu verantworten?
Ich mach mein Ding – Musik
Ich mach mein Ding – Sport
Die Musik AG ist tot, es lebe die Musikschule
Kunstkritik
Der Ernst des Lebens beginnt bald
Auf Leben und Tod
Nachwort
Bilder
Impressum neobooks
Es ist so schön zurückzuschauen. Gerne denke ich zurück, und gerne erzähle ich heute meinen Kindern von damals. Ich kann mich an so vieles erinnern, weil ich oft alleine spielte und gerade beim Spiel im Wald viele Mußestunden erlebte. Hoch oben in Baumkronen sitzend, überdachte ich, was mich bewegte. Über Dinge, die mich aufregten führte ich eine Art Tagebuch. Grundsätzlich bin ich nachtragend. Ich merke mir alles, was mir nicht passt. Ich hatte immer schon die Hoffnung, Dinge denen ich nicht gewachsen bin, später zu ändern. Wenn ich erst mal groß bin, wird sich schon alles finden. Darauf wollte ich vorbereitet sein.
Heute lächle ich über so manche Hürde, die ich damals genommen habe, als ich mir meiner selbst und meiner Umwelt bewusst wurde und anfing, Schritt aufzunehmen. Dabei habe ich reichlich Lehrgeld bezahlt. Ich bin sehr zufrieden über das, was doch noch aus mir geworden ist. Es ist wunderbar, dass ich die Erinnerung an meine Erlebnisse noch heute genießen kann. Es macht mich stolz, dass ich Schwierigkeiten als Herausforderung gesehen habe, zu verändern was mir missfiel. So bin ich an mir selbst gewachsen. Was diesen Stolz so besonders macht ist, dass er sich ausschließlich mit den eigenen Federn schmückt.
Dass das alles so möglich wurde, dafür musste ich manchmal mit Nachdruck sorgen. Erwachsene machen es Kindern nicht immer leicht und manchmal auch schwer. Wenn sich Lehrer herausgefordert fühlen, einer Mission gleich ihre politischen Glaubenskriege im Klassenzimmer auszutragen, dann mögen die engagierten Pädagogen der Gegenseite ihnen ungern das Feld kampflos überlassen.
Zwischen den Fronten fällt es schwer Orientierung zu finden, wenn auf Seite der Kinder noch keine grundsätzlichen Bewertungsmaßstäbe etabliert sind. Es tut gut, mit einem gewissen Abstand zu damals, zu erkennen, dass so manche Schuld, die ich auf mich genommen habe, einen erwachsenen Verantwortlichen hatte.
Da gibt es einiges, was ich schon damals sagen wollte. Ich habe es mir für heute aufgehoben, weil immer, wenn ich ansetzen wollte, gesagt wurde: „Werde erst mal älter, damit du weißt wovon du redest.“
Worauf ich meistens einlenkte, weil ihr ja soviel klüger wart. Aber auch heute kann ich viele eurer Wahrheiten nicht schlucken. Ich denke heute noch genauso wie damals. Gerade wenn ich die Vernunft anwendete, die Ihr mir voraus hattet, waren die Ergebnisse noch irritierender. Als Kind entschuldigte ich mir diese Irritationen als ein Zeichen dafür, dass ich tatsächlich noch viel zu lernen hatte. Das meine Vernunft eben noch unausgereift und unvollständig war, war zweifelsohne zutreffend. Mit zunehmendem Alter lösten sich die Irritationen aber nur sehr wenig auf. Hatte ich nichts dazugelernt? Selbst als ich schon sehr viel Logik und Vernunft gelernt hatte, blieb das so. Naturwissenschaften und Mathematik waren bereits zu meinen Lieblingsfächern geworden. Dank meiner Lehrer verstand ich Mathematik von Mengenlehre über Trigonometrie bis zu Differenzialgleichungen. Trotzdem blieb mein Problem bestehen. Mit Logik kam ich nicht weiter. Ich verstand immer noch sehr vieles aus der Erwachsenenwelt nicht. Insbesondere verstand ich nicht die Widersprüche zwischen den Erwachsenen. Ich sah nicht die politischen Scheuklappen und Schranken in ihren Köpfen, die sie mehr oder weniger autoritär oder antiautoritär oder antiautoritär-autoritär auftreten ließen.
Heute weiß ich, dass ich mit rationalem Nachdenken, mit Vernunft also, die Erwachsenenwelt nie verstehen konnte, denn Erwachsene sind total unlogisch. Egal aus welcher Generation sie stammten, welchen Führern sie dienten oder welchem ideologischen Lager sie angehörten. Ihr Verhalten wurde bestimmt von Ungeduld, Hektik, Gereiztheit, Neid, Hass, Nervosität, Angst, Stolz und tausend anderen Emotionen, die ihnen die Vernunft ausblendeten. Fast ihr ganzes Verhaltensrepertoire war Bauchgefühl. Vernunft war das, wohinter sie diese Gefühle versteckten. Vernunft war die Maske, durch die sie gesehen werden wollten. Vernunft war ihr Ablenkungsmanöver vom Wesentlichen. Vernunft war das Schattentheater zu ihren inneren Antreibern.
Es war ein Fehler zu glauben, Erwachsene meinen auch was sie sagen. Im Einzelfall kann das natürlich nie ausgeschlossen werden.
Es war ein Fehler zu glauben, dass die Vaterlandsliebe einiger älterer Lehrer allen galt, die in diesem Lande lebten. Viel zu spät bemerkte ich, dass ihr Rat, nicht so viel mit den Kindern von Gastarbeitern zu spielen, nicht wie behauptet, der besseren eigenen Sprachentwicklung galt.
Als an meiner Grundschule, einer katholischen Bekenntnisschule, ein kroatischer Junge einer Lehrerin mal wieder einen Streich spielte, schimpfte sie zur Klasse zugewandt: „Es wird Zeit, dass wir Deutsche uns gegen erneute Fremdbestimmung schützen.“
Ich dachte auch die Frömmigkeit so vieler Nachbarn und Tanten, sei echt. Im Idealfall wurde sie versucht oder angestrebt. Im häufigeren Standardfall war sie opportun.
Kritik daran ließ man nicht zu, nicht weil sie religiöse Gefühle verletzte, sondern weil sie die Anstrengungen diskreditierte, einen allgemein anerkannten Standard zu pflegen, der ihr Ansehen betraf. Es braucht allerdings reichlich Erfahrung, das zu erkennen. Als Kind bleibt man unwissend und irritiert.
Im Willen zur Wahrheit und zu meiner Entlastung muss ich darüber sprechen. War ich naiver als andere Kinder, als ich Eltern, Tanten und Lehrern unbedingten Glauben schenkte? Es ist enttäuschend für mich, erst nach langer Zeit die Ursache des Problems erkannt zu haben.
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