Sophie Wörrishöffer
Lionel Forster, der Quarteron
Bearbeitet von Armin Wendt
Mit farbigen Vollbildern und Federzeichnungen
Saga
Sophie Wörrishöffer: Lionel Forster, der Quarteron. © 1922 Sophie Wörrishöffer. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711487587
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Es war im Beginn der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts. Auf der Veranda eines schönen, stattlichen Landhauses im fernen Virginien sassen zwei Herren bei der Kaffeetasse und der Zigarre plaudernd zusammen, behaglich den Schatten der hohen, alten Bäume vor dem Hause geniessend und nur hie und da in eine lebhaftere Unterhaltung verfallend, besonders dann, wenn von der Seite der Stallungen her eine helle, jugendfrische Stimme deutlich herüberklang oder der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes den Sand in nächster Nähe der Veranda hoch emporwarf.
Ein schlanker Knabe von fünfzehn oder sechzehn Jahren trieb den Rappen zu immer keckeren Sprüngen, er lachte lustig, und sein braunes Lockenhaar flatterte im Winde. „Der ‚Ajax’ kennt mich noch, Onkel Trevor!“ rief er. „Vorwärts, mein Tier!“
Und ohne eine Antwort zu erwarten, brauste er wieder davon, während der Besitzer des Landhauses, Mr. Trevor, ihm lächelnd und doch mit einem unterdrückten Seufzer nachsah. „Ein prächtiger Junge, der Lionel,“ sagte er, „hübsch, klug und tapfer! Hätte mir der Himmel einen solchen Sohn geschenkt, wie glücklich wäre ich gewesen!“
Der andre Herr schien seine Antwort sorgfältig zu überlegen. „Du lebst zu einsam, Charles,“ sagte er dann. „Seit deine arme Frau gestorben ist, bist du nicht mehr aus dem Hause gekommen, das macht dich melancholisch. Ich glaube, diese schwarzen Tiere, die Neger, sind oft dein einziger Umgang.“
Der Squire a) nickte. „Häufig genug,“ versetzte er. „Aber ich sehe in den armen Kerlen wahrhaftig niemals Tiere, Manfred, — sie haben es gut bei mir, und sie lieben mich aufrichtig.“
Ein Blitz, böse und zornig, flammte in den Augen des andern. „Ganz besonders dieser Lionel, nicht wahr, Charles? Weiss der Bursche überhaupt, dass in seinen Adern afrikanisches Blut fliesst, dass er dein Eigentum ist, wie das Pferd, auf dem er reitet, oder der Boden, auf dem er sich so selbstbewusst ergeht?“
Mr. Trevor nahm die Zigarre aus dem Munde. „Er weiss es nicht, Manfred,“ sagte er mit scharfer Betonung, „und ich wünsche auch nicht, dass er es erfahre! Eins will ich dir übrigens bei dieser Gelegenheit sagen,“ setzte er dann hinzu. „Lionel und alle meine sonstigen Sklaven, mehr als zweihundert an Zahl, sind längst durch testamentarische Bestimmung in Freiheit gesetzt.“
„Charles,“ rief der andere, „ich bitte dich, du wolltest deinem Erben die Summe von zweihunderttausend Dollar zugunsten dieser Schwarzen willkürlich entziehen? — Wahrhaftig, hättest du Kinder, so würde das nie und nimmer geschehen!“
Der Squire lächelte. „Du irrst, Manfred. Mein Grundsatz steht mir höher als alle persönliche Zuneigung — und überdies, wer sagt dir, dass ich meinen Nachfolger nicht liebe?“
„Ihn — den — den —“
Die Stimme des magern Herrn schien vor Aufregung zu ersticken, er konnte seinen Satz nicht vollenden, sondern murmelte, als ihn der Squire ruhig fragend ansah, nur ein verwirrtes: „Entschuldige, Charles!“ — Dann wandte er sich zur Tür, aus welcher in diesem Augenblick ein junger Mensch von etwa siebzehn Jahren, an einer Krücke gehend, hervortrat. „Nun, Philipp,“ rief er, „wie geht es dir heute, mein guter Junge?“
Der schlanke Knabe mit dem blassen Gesicht und den mädchenhaft weissen Händen grüsste freundlich. „Guten Abend, Papa, guten Abend, Onkel Charles! — O wenn ich bedenke, wie ruhig und untätig wir hier sitzen indes andre, Glücklichere für eine geheiligte Sache ihr Leben einsetzen! Schlacht nach Schlacht wird geschlagen, und die Konföderierten gewinnen immer. Wohin soll das führen?“
Sein Vater lachte behaglich. „Zum vollen Siege!“ versetzte er. „Das Banner der Südstaaten ist vom Himmel selbst geweiht.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Nimmer!“ bebte es über seine bleichen Lippen. „Nimmer! — Wäre ich ein kräftiger Mann, ein Mensch mit gesunden Gliedern, heute noch liesse ich mich für die Nationalarmee anwerben. Ich glaube sogar, auch du denkst wie ich, Onkel Charles?“
Der Squire reichte ihm lächelnd die Hand. „Ich denke so, Philipp, mein guter Junge,“ versetzte er, „ich habe dich lieb um deiner braven Gesinnung willen, aber wir dürfen über dieses Thema nicht so laut reden. Wenn heute ein Mann, der zweihundert Sklaven besitzt, für die Abolitionisten offen Partei nehmen wollte, so stände höchst wahrscheinlich von seinem Hause schon morgen kein Stein mehr auf dem andern.“
„Siehst du, Papa, dergleichen Greuel geschehen unter dem Banner der Südstaaten. — Fürwahr, Onkel Charles, ich bitte dich, vermache mir keinen einzigen Schwarzen, denn ich würde ihn sogleich laufen lassen.“
Das wohlwollende Antlitz des Gutsherrn wandte sich lächelnd zu dem erregten Knaben. „Ich vermache dir keinen Sklaven, mein guter Philipp, dessen darfst du sicher sein. Dein Onkel sorgt für dich, aber auf andre Weise, — durch ehrlich verdientes Geld.“
Es schien, als sei ein Schatten auf die ruhige, edelgeformte Stirn herabgesunken. Der Squire schüttelte leicht den Kopf. „Sonderbar,“ sagte er, „es ist nun heute schon zweimal von meiner Hinterlassenschaft gesprochen worden! Schickt mir der Tod seine Sendboten?“
„Torheit!“ rief hastig der Vetter. „Bist du abergläubisch, Freund Charles? Es tut mir leid, dich verstimmt zu haben. Es geschah unabsichtlich.“
Philipp bot seinem Verwandten herzlich die Hand. „Auch von mir, Onkel!“ sagte er mit einem offenen Aufblick der schönen blauen Augen. „Doch da kommt Lionel! Der Glückliche, er ist gesund und voll jugendlicher Kraft! Wahrhaftig, ich könnte ihn beneiden!“
Der Günstling des Hausherrn kam über den breiten Kiesweg dahergegangen und begrüsste schon von weitem durch ein fröhliches Kopfnicken die auf der Veranda versammelte Gesellschaft. „Nun, Onkel Charles,“ rief er, „hast du den Ajax bewundert? Wirklich, ich möchte ihn, wenn die Ferien zu Ende sind, nach Richmond mitnehmen!“
„Welch ein Unsinn!“ rief heftig Mr. Manfred Trevor.
Der Squire begütigte ihn. „Lionel soll das Pferd haben,“ sagte er, „und auch einen Schwarzen als Knecht dabei. Er ist jetzt kein Knabe mehr, sondern muss sich beizeiten auf den dereinstigen Plantagenbesitzer vorbereiten.“
Lionel flog dem väterlichen Freunde entgegen und umfasste ihn stürmisch mit beiden Armen. „Onkel Charles,“ rief er, „ach du goldener Onkel Charles, — den Ajax soll ich wirklich haben? Aber — aber ja, siehst du, auch einen Neger dabei? Der mein Eigentum wäre? Mein Sklave? Das kann nicht geschehen. Ich entsetze mich vor dem Gedanken, dass ein Mensch das Eigentum des andern sein könnte — ich mag an dieser Schmach meines Landes keinen Teil haben. Lieber, guter Onkel, bezahle für mich in Richmond einen freien Neger, willst du das?“
Der Squire nickte. „Du sollst den alten Ralph mit dir nehmen, Lionel. Er hat deine Eltern gekannt, hat dich selbst als kleines Kind auf den Armen getragen und ist mir mit Leib und Seele zugetan. Seinen Freibrief erhält er vor eurer Abreise.“
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