Johann Dieffenbach - Der Aether gegen den Schmerz

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Johann Friedrich Dieffenbach

Der Aether gegen den Schmerz

Vorrede

Bei der Herausgabe dieser Schrift beabsichtigte ich zweierlei. Zuerst wollte ich die neue, vielverheißende Entdeckung der Stillung des Schmerzes, in ihrem wahren Werthe darstellen. Zweitens durch sie zur Stillung der Schmerzen des Hungers der Armen mit beitragen. Könnte ich Beides erreichen, so würden die Abendstunden welche ich auf meine Arbeit verwendete, angenehm vollbracht sein.

Daß ich bei der Bearbeitung des Gegenstandes ohne Vorurtheile für oder wider gewesen bin, kann ein Jeder sehen, welcher diese Schrift durchblättern will. Wenn er vielleicht auf der einen Seite mich als Freund des Aethers ansieht, wird er auf der anderen mich für einen Gegner desselben halten; das kommt, weil ich das Für und das Wider erwogen, Andere gehört, und selbst gesehen habe.

Daß ich aber vorsichtig in meinem Urtheil gewesen bin, mitten im allgemeinen Aetherrausch, wird man mir nicht übel nehmen. Die sich im tiefsten Frieden gewaltig bewegende Zeit hat binnen Kurzem so viele Erfindungen und Entdeckungen geschaffen, welche, mit Enthusiasmus aufgenommen, zum Theil nur eine kurze Lebensdauer hatten, da sie nicht das leisteten, was man sich von ihnen versprach. Daraus entsprang die Furcht, es mögte mit dem Aether auch so sein.

Ich will einmal versuchen, einen Soldaten, welcher der wichtigsten neueren Erfindungen theilhaftig geworden wäre, ins Feld zu stellen. Er verläßt das älterliche Haus mit dem Daguerreotyp-Medaillon von Vater und Mutter auf der kindlichen Brust. Seine Waffe ist ein Percussions-Gewehr. Er ist bekleidet mit einem Waffenrock von Filztuch, darüber hängt ein Paletot von Macintosh; er trägt ungenähte, mit Holzstiften zusammengefügte Maschinen-Stiefeln. Seinen Leib umgiebt ein Gürtel mit einer Tasche von künstlichem Leder. Sie beherbergt Schießbaumwolle und conische Kugeln. Im Tornister befinden sich außer den Bekleidungsstücken zwei Flaschen, die eine mit Binellischem Wasser, die andere mit Schwefeläther gefüllt; jenes zur schnellen Blutstillung bei Verwundungen, dieser als Betäubungsmittel beim Ausschneiden von Kugeln, bei der Abnahme eines Beins u. s. w. Die zweihalsige Feldflasche aus welcher er nur Wasser trinkt, denn er gehört zum Mäßigkeitsverein, bildet den Athmungsapparat. Sein Eßsack enthält das neue Oelkuchenbrot. Das Magazin seines Helmes beherbergt ein Büchschen von Neusilber mit Streichzunder und Streichkerzchen, und statt der nicht mehr üblichen Pfeife eine Patent-Cigarrentasche mit Cigarren, darunter auch einige Brustcigarren beim Husten. So armirt und equipirt besteigt der junge Krieger den Eisenbahnwagen. Die Locomotive stößt ihren gellenden, herzzerreißenden Schrei aus, und mit sausender Windesschnelle führt ihn der Dampf zum Heere, und in zwei Tag- und zwei Nachtfahrten, er hat sein Oelkuchenbrot noch nicht verzehrt, sind die zweihundert Meilen durchflogen, und er blickt dem Feinde ins Angesicht! Er ist Artillerist. Sein Auge sieht mit Wonne die neuen, blanken galvano-plastisch plattirten sicheren Geschütze, aber statt dem Feinde Verderben zu bringen, zerspringen sie beim ersten Schuß und zerreißen die Glieder der Männer welche sich ihrem Dienste geweihet.

Von den hier bei einem einzigen Menschen in Anwendung gebrachten neuen Erfindungen, sind mehrere, welche so großes Aufsehen erregten, schnell wieder vergessen worden. Das Binellische Wasser, welches vor 15 bis 20 Jahren als untrügliches Blutstillungsmittel beinah so großes Aufsehen wie jetzt der Aether erregte, leistete nicht mehr wie kaltes Wasser. Das Filztuch hörte als Bekleidungsstoff bald wieder auf, weil es nicht hielt; der Macintosh ebenfalls, weil man dabei zwar von außen trocken blieb, aber von innen naß wurde; die conischen Kugeln sind noch nicht ins praktische Leben getreten; aber die schöne, weiße Schießbaumwolle hat wieder dem schwarzen Pulver weichen müssen, und statt den Tod zu geben, den bescheidenen Dienst einer heilenden Helferin bei Geschwüren übernehmen müssen.

Dem Aether aber wünschen wir, daß er sich halten möge, obgleich es schon anfängt stiller von ihm zu werden. Leistet er nur die Hälfte von dem, was man bis jetzt noch von ihm glaubt, so hat Jackson einen Theil der Schuld, mit welcher Amerika Europa verpflichtet ist, abgetragen, seinem Namen aber die Unsterblichkeit gesichert.

Allen den Aerzten welche mich mit Beiträgen und Notizen aus fremden Zeitschriften, so wohlwollend bei meiner Arbeit unterstützten, statte ich hiermit meinen ergebenen Dank ab, es sind die mir sehr werthen Herren Ender, Fürstenberg, v. Graefe, Henoch, La Pierre, Meyer, Reiche, Schuft, Straßmann und Völker.

Endlich kann ich nicht unerwähnt lassen, daß die Herren Buchhändler Hirschwald und Aber die mühevolle Verbreitung dieser Schrift, ohne irgend ein anderes Interesse, als das einen wohlthätigen Zweck zu fördern, übernommen haben, wofür ich denselben hiermit meine öffentliche Anerkennung ausdrücke.

Der schöne Traum, daß der Schmerz von uns genommen, ist zur Wirklichkeit geworden. Der Schmerz, dies höchste Bewußtwerden unserer irdischen Existenz, diese deutlichste Empfindung der Unvollkommenheit unseres Körpers, hat sich beugen müssen vor der Macht des menschlichen Geistes, vor der Macht des Aetherdunstes. Wohin wird, oder wohin kann diese große Entdeckung noch führen? Durch sie ist die halbe Todesbahn zurückgelegt, der Tod hat nur noch sein halbes Grauen. Fürchtet der Mensch nicht eben so sehr die Schmerzen des Todes als den Tod selbst, und erscheint unserer Phantasie die Pein einer großen chirurgischen Operation nicht fast eben so furchtbar als der Tod, und treibt uns nicht die höchste Noth dazu, um diesen abzuwehren?

Wie hoffnungs- und vertrauensvoll werden von nun an die Kranken auf die zu bestehende blutige Operation hinblicken, deren Schrecknisse vor allen ihren Sinnen verborgen bleiben, und statt deren wohl ein schönes Traumbild vor ihre Seele tritt, und das Erwachen schon ein Erwachen zur Genesung ist.

Wie vielen Unglücklichen, an großen chirurgischen Uebeln leidenden, verzehrt nicht die Furcht vor den Schmerzen der bevorstehenden Operation die letzten Lebenskräfte, der sie sich endlich erschöpft hingeben. Jetzt ist es ein fröhliches Hinblicken auf den tragischen Moment, dessen Handlung ihnen entrückt bleibt. War der zu Operirende sonst die erste, wichtigste Person, so ist er jetzt eigentlich gar nicht dabei zugegen.

Wenn es also nicht zweifelhaft ist, daß die Furcht vor einer großen chirurgischen Operation einen nachtheiligen Einfluß auf den Kranken haben kann, so hoffen wir auch, daß der Schmerz kein nothwendiges Attribut ihrer Ausführung sei, und daß seine Aufhebung nicht eine bloß augenblickliche Wohlthat, sondern auch ein Beförderungsmittel der Genesung sei. Dies kann aber erst die Zukunft lehren.

Was wir aus früheren Beobachtungen über schwere Verwundungen bei berauschten Personen wissen, zeigt uns, daß durch diesen Zustand eine bedenkliche Vergrößerung der Gefahr herbeigeführt wird, so daß man den Arzt, welcher einen Berauschten operirt hätte, für unwissend oder gewissenlos angesehen hätte. Sehr ungünstig zeigte sich aber die absichtliche Anwendung betäubender Mittel, wie des Opiums, des Bilsenkrauts, der Belladonna und anderer ähnlicher Narcotica zur Stillung des Schmerzes bei chirurgischen Operationen. Ohne ihn gänzlich zu unterdrücken, führten sie eine gefährliche Abspannung des ganzen Nervensystems herbei, wodurch der natürliche Krankheitsverlauf gestört, die Heilung verzögert, wenn nicht gar eine wirkliche Lebensgefahr dadurch herbeigeführt wurde. Selbst der künstlich bewirkte magnetische Schlaf zeigte sich als Schmerzstillungsmittel nicht vortheilhaft, und die danach zurückbleibende Abspannung des ganzen Körpers verschaffte auch dieser Methode keinen weiteren Eingang.

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